# taz.de -- Russische Athleten und Doping: Neutraler Schein, russisches Sein | |
> Russische Athleten müssen infolge des Dopingskandals auch in Peking noch | |
> als neutrales Team auftreten. Schlimm findet man das in der Heimat nicht. | |
Bild: Ohne Flagge und Wimpel, dennoch in Landesfarben: Russlands Athleten | |
PEKING taz | Wie gut, dass Anastasia Zadorina einen Studienabschluss in | |
Auswärtiger Politik und Diplomatie hat. So steht es in dem kleinen | |
Lebenslauf auf der Website der Modeschöpferin, deren Abendkleider die | |
Körper russischer Celebrities auf den großen Empfängen in Moskau oder Sankt | |
Petersburg schmücken. Seit 2018 stattet das von ihr kurz zuvor gegründete | |
Label Zasport die russischen Athleten für die Olympischen Spiele aus. | |
Hier ist in der Tat modische Diplomatie gefragt. Denn ein russisches | |
Team darf es bei Olympia seit 2018 eigentlich gar nicht mehr geben. Das ist | |
die Strafe für [1][jahrelanges, staatlich gefördertes Doping der | |
Spitzenathleten], das bei den Spielen 2014 im russischen Sotschi seinen | |
Höhepunkt hatte. Russische Athleten dürfen zwar teilnehmen, aber keine | |
staatlichen Insignien durch die olympischen Sportstätten tragen. | |
Anastasia Zadorina hat das bei der Präsentation des russischen | |
Olympiaoutfits im Dezember so auf den Punkt gebracht: „Bei der Gestaltung | |
der Kollektion stand unser Team vor der schwierigen Aufgabe, die nationale | |
Identität zu zeigen, ohne die staatlichen Symbole des Landes zu verwenden.“ | |
Die Russen sollen sich also wiederfinden im Design, ohne dass dabei allzu | |
dick aufgetragen wird. Und so finden sich zwar weder die russische Flagge | |
noch ein Wappen auf den Anoraks oder Trikots, aber doch die Staatsfarben | |
Weiß, Rot und Blau in Flammenform über den olympischen Ringen. | |
Als besondere Verbeugung vor dem Internationalen Olympischen Komitee darf | |
die römische Ziffernfolge XXIV für die 24. Winterspiele in der Geschichte | |
betrachtet werden. Russland, die wegen erwiesener Unsportlichkeit | |
eigentlich ausgeschlossene Nation, huldigt dem Olympismus wie kein anderes | |
der regulären Teilnehmerländer. | |
## Nicht allzu viel ausgelöst | |
Als [2][der Internationale Sportgerichtshof (CAS) 2020 entschieden hatte], | |
dass Russland zwei Jahre lang von allen Weltmeisterschaften und Olympischen | |
Spielen zu verbannen sei, und somit feststand, dass in Peking 2022 die | |
russische Nationalhymne nicht erklingen werde, löste das im Land der | |
Dopingtäter nicht allzu viel aus. Schnell gewöhnte man sich an Athleten, | |
die unter dem Wappen des jeweiligen nationalen Verbandes antraten. | |
Es störte in Russland kaum mehr jemanden, dass bei der Handball-WM das Team | |
aus Russland als Mannschaft des russischen Handballverbandes geführt wurde. | |
Und wenn statt der Nationalhymne ein Teil von Pjotr Tschaikowskis | |
Klavierkonzert Nr. 1 für russische Sieger einer Weltmeisterschaft | |
angestimmt worden ist, dann löste das auch außerhalb Russlands kein | |
Entsetzen mehr aus über die schamlosen Betrügereien, die [3][der kanadische | |
Jurist Richard McLaren für seine Berichte an die Welt-Antidopingagentur | |
Wada recherchiert hatte]. | |
## Nie neutral gewesen | |
Als neutrale Athleten, wie es die Wada gefordert hatte, sind russische | |
Sportler nie aufgetreten. Dass aus Russland bis heute kein echtes | |
Schuldeingeständnis gekommen ist, dass die Bestrafung auch deshalb | |
erfolgte, weil die für die Untersuchung der Dopingpraktiken angeforderten | |
Unterlagen aus dem Moskauer Dopinganalyselabor manipuliert wurden, bevor | |
sie endlich übergeben worden sind, mag einmal ein großer Aufreger in der | |
Sportwelt gewesen sein. Aus der olympischen Gegenwart ist das Thema | |
Staatsdoping in Russland beinahe ganz verschwunden. | |
Mit einer Delegation von mehr als 400 Personen reist das Russische | |
Olympische Komitee nach Peking. Die 149 Athleten aus der nun auch nicht | |
gerade unbedeutenden Wintersportnation Deutschland werden auf der | |
Eröffnungsfeier am Freitag in Peking keinen so machtvollen Auftritt | |
hinlegen wie die Russen. Und während die Deutschen keinen Spitzenpolitiker | |
aus der Heimat auf der Haupttribüne finden werden, dem sie zuwinken | |
könnten, wird [4][der russische Staatspräsident Wladimir Putin vor Ort | |
sein], um die Huldigungen der russischen Mannschaft entgegenzunehmen. Dabei | |
ist auch Putin nach dem Dopingverdikt gegen Russland eigentlich | |
unerwünscht. Warum er dennoch da ist? Ganz einfach: Weil ihn das | |
Internationale Olympische Komitee nicht einladen durfte, ist er kurzerhand | |
vom chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping mit einer Einladung versehen | |
worden. | |
## Medaillen zurück erhalten | |
In Russland selbst erinnert man sich ohnehin lieber an ein anderes Urteil | |
des Internationalen Sportgerichtshofs. Vier Jahre ist es her, als der | |
Spruch des CAS etliche russische Athletinnen, denen zuvor Medaillen | |
aberkannt worden waren und die gesperrt wurden, teilweise oder ganz | |
rehabilitiert hat. Die Beweise gegen sie hatten für eine Verurteilung nicht | |
ausgereicht. Und so erhielt Langläufer Alexander Legkow seine Goldmedaille | |
ebenso zurück wie der Skeletoni Alexander Tretjakow die seine. | |
Russland, das nach den ersten Dopingverfahren auf Platz drei des | |
Medaillenspiegels der Spiele von Sotschi zurückgefallen war, steht seitdem | |
wieder ganz vorne auf der Liste. Und so recht verstehen russische | |
Sportpolitiker immer noch nicht, wie es sein konnte, dass die 28 | |
rehabilitierten Athleten nicht zu den Olympischen Spielen vor vier Jahren | |
nach Pyeongchang reisen durften. | |
## Dopingdiskussionen fernhalten | |
Das IOC wollte seine Spiele wohl von großen Dopingdiskussionen freihalten. | |
Den aufgebrachten Russen entgegnete das IOC in einem Statement, dass es ja | |
keine Bestrafung sei, wenn man keine Einladung erhielt, und verwies auf ein | |
Zitat des Generalsekretärs des Sportgerichtshofs, wonach dieser gesagt hat, | |
dass das Urteil nicht bedeute, dass die Sportler unschuldig seien. Denn so | |
war das 2018 geregelt. | |
Auch damals durfte Russland als Sportnation nicht teilnehmen, sogar das | |
Russische Olympische Komitee war suspendiert. Russische Sportler durften | |
nur auf Einladung des IOC an den Wettbewerben in Pyeongchang teilnehmen. | |
Drei Tage nach den Spielen 2018 wurde die Suspendierung des Russischen | |
Olympischen Komitees wieder aufgehoben. Nun wird wieder in Russland | |
entschieden, wer zu den Spielen darf und wer nicht. | |
## Teil des Vertuschungsnetzwerks | |
Dabei fehlt Russland nach wie vor eine wichtige Voraussetzung, um am | |
internationalen Sportbetrieb, wie er vom IOC und den großen | |
Sportfachverbänden veranstaltet wird, teilzunehmen. Die russische | |
Antidopingagentur Rusada wartet immer noch auf die Anerkennung durch die | |
Wada, die ihr im Zuge des Staatsdopingskandals aberkannt worden ist. Auch | |
das geht aus dem McLaren-Report hervor: Die [5][Rusada war Teil des | |
Vertuschungsnetzwerks in Russland] und alles andere als eine | |
Kampforganisation gegen das Doping. Sie steht nun unter dauernder | |
Beobachtung der Wada. Immer wieder wurde festgestellt, dass die nationalen | |
Berichte der Rusada andere Daten aufwiesen als diejenigen, die von der | |
Rusada in das Meldesystem der Wada eingespielt worden sind. | |
Es gab Führungswechsel in der Rusada, die den Verdacht aufkommen ließen, | |
der russische Sport mische sich nach wie vor zu sehr in die Belange der | |
Organisation ein, die ihn überwachen soll. Im Sommer 2020 wurde mit Juri | |
Ganus ein Chef der Organisation abgesetzt, der kaum ein Blatt vor den Mund | |
genommen hatte, wenn es um die Dopingvergangenheit in Russland ging. | |
Finanzielle Ungereimtheiten wurden ihm vorgeworfen, und er musste seinen | |
Posten räumen. | |
## Konstruierte Vorwürfe | |
Ganus selbst bezeichnete die Vorwürfe als konstruiert. Erst im Dezember | |
wurde mit Veronika Loginowa eine neue Chefin installiert. Sie soll nun für | |
die Reintegration der Rusada in das weltweite Antidopingsystem sorgen. | |
Loginowa gehört der Disziplinarkommission des Russischen | |
Leichtathletikverbands an, der nun schon seit sieben Jahren vom | |
Internationalen Leichtathletikverband World Athletics ausgeschlossen ist | |
und es nicht schafft, glaubhafte Antidopinganstrengungen zu unternehmen. | |
Derartige Geschichten über die Schwierigkeiten der Neustrukturierung des | |
russischen Sports haben das Ansehen russischer Athleten über die Jahre | |
nicht gerade verbessert. Dennoch kommt es selten zu deutlichen Äußerungen | |
von Sportlern, die den Wettkampf gegen Konkurrenten aus Russland als unfair | |
anprangern. Einmal jedoch – bei der Biathlon-WM 2017 in Antholz – platzte | |
dem französischen Superstar Martin Fourcade der Kragen. Vor der | |
Siegerehrung der Mixed-Staffel applaudierte er den Russen höhnisch. Zuvor | |
hatte er kritisiert, dass mit Alexander Loginow ein überführter Doper von | |
den Russen nominiert worden war. Die üblichen Shakehands auf dem Podium gab | |
es dann nicht. | |
## Streit um Fourcade | |
In Russland hat man nicht vergessen, wie Fourcade damals agiert hat. In | |
Peking, wo im olympischen Dorf gerade die Wahl der Athletenvertreter beim | |
IOC läuft, steht auch Martin Fourcade, der fünffache Olympiasieger, zur | |
Wahl. Jelena Sochrjakowa, die russische Eisschnellläuferin, hat russischen | |
Medien gegenüber klargestellt, dass sie in keinem Fall für Fourcade stimmen | |
werde, „weil er viel gegen die Unseren gesagt hat“. Und Eisschnellläufer | |
Ruslan Sacharow kam prompt in Erklärungsnot, als er meinte, er habe für | |
Fourcade gestimmt. „Ich verurteile keine Leute, die Doper verurteilen“, | |
sagte er in einem Interview mit dem Nachrichtenportal sport-express.ru. Und | |
gegen Doping sei er sowieso. | |
Er habe schließlich 2014 in Sotschi zu den Athleten gehört, die bei der | |
Eröffnungsfeier den olympischen Eid vorgetragen hätten. Der lautet: „Im | |
Namen aller Athleten verspreche ich, dass wir an den Olympischen Spielen | |
teilnehmen und dabei die gültigen Regeln respektieren und befolgen und uns | |
dabei einem Sport ohne Doping und ohne Drogen verpflichten, im wahren Geist | |
der Sportlichkeit, für den Ruhm des Sports und die Ehre unserer | |
Mannschaft.“ Wenn es nur so einfach wäre. | |
4 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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