| # taz.de -- Englisch als Fremdsprache: Eine Frage der sozialen Herkunft | |
| > Mathematische Regeln vergessen, französisch verlernt? Egal. Aber ab einem | |
| > gewissen beruflichen Status erwarten alle, man spreche fließend Englisch. | |
| Bild: Baerbock kann über die Kritik an ihrem deutschen Akzent im Englischen la… | |
| Es ist jetzt über einen Monat her, dass sich die Öffentlichkeit über | |
| Annalena Baerbocks Englisch lustig gemacht hat. Mittlerweile haben es alle | |
| schon vergessen – ich nicht. Immer, wenn sich Menschen über das Englisch | |
| von Politiker*innen oder anderen Personen der Öffentlichkeit, die | |
| offenkundig ein gutes englisches Vokabular und eben nur einen deutschen | |
| Akzent haben, lustig machen, verunsichert mich das. [1][Baerbock hat in | |
| London studiert], ihr kann das egal sein, weshalb sie mit Humor kontern | |
| konnte. | |
| Ich hatte acht Jahre lang Englisch in der Schule und das ist jetzt auch | |
| schon 13 Jahre her. Natürlich schaue ich ab und an Serien auf Englisch, | |
| aber sprechen tue ich es nicht, mit wem auch? Ich bin nicht wie Gen Z mit | |
| englischsprachigen YouTuber*innen, Instagram-Kanälen und TikToks auf | |
| Englisch aufgewachsen. Bücher lese ich hauptsächlich auf Deutsch, damit ich | |
| sie auch meiner Mutter borgen kann. | |
| Meine Eltern haben in Jugoslawien Russisch in der Schule gelernt, sie | |
| können also wirklich gar kein Englisch. Klar, kann ich es dagegen schon, | |
| natürlich verstehe ich alles und kann auch alles, was ich will, ausdrücken, | |
| aber es klingt nicht besonders intellektuell. Um dagegen etwas zu machen, | |
| könnte ich Fortgeschrittenen-Sprachkurse besuchen, aber ich bin ehrlich | |
| gesagt gerade genug damit beschäftigt, [2][meine Muttersprache Bosnisch] | |
| nicht zu verlernen, wann soll ich da noch mein Englisch perfektionieren? | |
| ## Auslandssemester waren nicht drin | |
| Ich habe nie ein Auslandssemester absolviert, wie bei vielen | |
| Arbeiter*innenkindern war das auch bei mir einfach nicht drin. Heute | |
| werde ich als Journalistin ab und an auf internationale Kongresse | |
| eingeladen – Vorträge auf Englisch halten? Eine Horrorvorstellung für mich. | |
| Es ist, als würden alle erwarten, dass man ab einem gewissen beruflichen | |
| Status [3][fließend Englisch spricht] und die Unsicherheiten seiner | |
| früheren sozialen Herkunft überwindet. Woher aber diese Erwartungen? | |
| Ich habe Deutsch studiert, ich arbeite in Österreich. Dass ich nach sechs | |
| Jahren Französisch in der Schule kaum mehr was kann, schockt niemanden. | |
| Wenn ich von meinen kaum vorhandenen Mathekenntnissen erzähle, nicken alle | |
| wissend – aber Englisch? Muss man in den Kreisen, in denen ich mich | |
| beruflich bewege, fließend beherrschen, sonst stimmt irgendwas nicht, und | |
| wenn du Pech hast, macht man sich am Ende auch noch im Internet lustig über | |
| dein Englisch. | |
| Nein, ich werde an dieser Stelle nicht sagen, wie ungerecht es ist, dass | |
| von Native Speakern niemand erwartet, dass sie Deutsch oder Bosnisch nur | |
| ansatzweise so sprechen, wie wir alle Englisch. Das tut nichts zur Sache, | |
| außerdem ist Englisch tatsächlich sehr einfach, zumindest die Basics. Eine | |
| Sprache auf akademischem Niveau zu beherrschen ist aber in jeder Sprache | |
| schwer. Ich bin froh, dass ich mittlerweile auf Deutsch akademische | |
| Diskurse führen kann, der Weg dahin war mühselig – und jetzt dasselbe noch | |
| auf Englisch? Uff. | |
| 30 Jan 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Melisa Erkurt | |
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