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# taz.de -- Dokumentarfilm über Plastikstühle: Im Garten sehen sie schnell ol…
> Ein Stuhl reist um die Welt: Der Regisseur Hauke Wendler folgt in seinen
> Dokumentarfilm „Monobloc“ einem unscheinbaren Plastikstuhl.
Bild: Der Monobloc im Einsatz, diesmal in grün
Eine Milliarde Exemplare sollen weltweit existieren. Kein anderes Möbel ist
so verbreitet wie der oft weiße, aber gern auch andersfarbige Plastikstuhl,
von dem die meisten nicht einmal wissen werden, dass er Monobloc heißt. 250
Millionen Exemplare hat allein die italienische Firma Ipae Progarden seit
den 1970er Jahren verkauft. Möglich war das, weil es auf das Design des
Stuhls kein Patent gibt, was bis heute weltweite Nachbauten ermöglicht.
Die Anfänge des Stuhls liegen im „Fauteuil 300“, einem Sessel, den der
französische Ingenieur Henry Massonnet auf dem Höhepunkt der
Kunststoffbegeisterung der 1960er Jahre für seine Société de Transformation
des Matières Plastiques (Gesellschaft für die Transformation von
Plastikmaterialien) entworfen hat. Auf Werbeprospekten der Anfangsjahre
sieht man einen Mann und eine Frau auf Plastiksesseln am Swimmingpool, die
sich anlachen, über eine goldene Plastikananas hinweg.
Ein dritter Stuhl am Tisch steht mit einem Bein weit über den Rand des
Beckens hinweg. Ein Vorbote unzähliger Plastikstühle, denen im Verlauf
eines Abends im Garten ein Bein abgebrochen ist. Der [1][Dokumentarfilmer
Hauke Wendler] hat dem unscheinbaren Alltagssitzmöbel einen Film gewidmet.
„Monobloc“ folgt dem Stuhl um die Welt.
Sorgsam heben die Mitarbeiterinnen des Vitra Design Museums ein Exemplar
des Stuhls zurück ins Regal. Links und rechts davon Stühle, die von dem
schlichten, aber praktischen Design inspiriert wurden. Diese Musealisierung
ist die eine Seite des Umgangs mit dem allgegenwärtigen Plastikmöbel, die
Wendler zeigt, die andere ist die als günstiges, praktisches Gartenmöbel.
## Ablehnung und Umwandlung
Die Passanten, die Wendler in einem Lastwagen mit Plastikstuhlinterieur zu
ihrer Meinung zu den Stühlen befragt, sind jedoch wenig begeistert: gehen
leicht kaputt, sehen im Garten schnell oll aus. Erstaunlich, wie viel
Ablehnung ein Stück Plastik erzeugen kann. Die Meinungen zum Monobloc
spiegeln die veränderte Wahrnehmung des Materials ebenso wie Debatten über
Nachhaltigkeit.
Unterdessen, das zeigt „Monobloc“, finden die Plastikstühle weltweit
Verwendung in einem Projekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen
Rollstühle zugänglich zu machen, für die die üblichen Modelle auf absehbare
Zeit unerschwinglich bleiben werden. Seit einer schleichenden Lähmung der
Beine bewegt sich die Bananenbäuerin Annet Nnabulime nur noch kriechend
über den Boden ihres Hauses in Uganda.
Vier Dollar im Schlussverkauf am Ende der Gartensaison hat Don
Schoendorfer in Kalifornien für die Plastikstühle bezahlt, die er anfangs
in seiner Garage auf Metallgestelle geschraubt hat. Die günstigen
Rollstühle, die er entwickelt hat, werden mittlerweile in einer kleinen
Fabrik hergestellt und stetig weiterentwickelt. Bis 2025 sollen zwei
Millionen Rollstühle weltweit verteilt worden sein.
Auf dem Weg in die Firmenzentrale in Mumbai zeichnet der indische
Plastikunternehmer Sanjeev Jain die Evolution des Monobloc nach: Um den
Preis zu reduzieren, wurde die Fertigung immer weiter verbilligt, immer
weniger Plastik verwendet, was den Stuhl weniger belastbar gemacht hat.
Jains Antwort: ein neuer Plastikstuhl, der wieder mehr Plastik verwendet,
stabiler ist, hochwertiger daherkommt. Jains Stuhl ist eine Rückkehr unter
indischen Vorzeichen zu dem Stuhl, den Massonnet am Anfang entworfen hatte.
Wendlers Film, der vom NDR koproduziert wurde, ist in formaler Hinsicht
ausgesprochen unspektakulär. Was bei der Filmmusik von Taco van Hettinga,
die ein und dasselbe Motiv wieder und wieder abwandelt, noch als Referenz
an den Minimalismus des Plastikstuhls durchgeht, ist bei den Bildern von
Kameramann Boris Mahlau schlicht uninspiriert.
Wendler selbst steuert leider auch noch ein paar Längen in der Erzählung
bei, um auf die richtige Länge für den Programmplatz zu kommen. Dennoch ist
„Monobloc“ unterhaltsam und insgesamt sehenswert, lässt der Film die
Zuschauer_innen den unprätentiösen Plastikstuhl doch mit anderen Augen
sehen. Wendler gibt dem Gartenstuhl eine Geschichte.
1 Feb 2022
## LINKS
[1] /Filmemacher-ueber-Abschiebungen/!5322848
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
Dokumentarfilm
Design
Möbel
Plastik
Rollstuhl
Filmrezension
Trans-Community
Film
Schwerpunkt Atomkraft
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