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# taz.de -- Reform der katholischen Kirche: Die Machtfrage gestellt
> Die katholische Kirche kann nicht mehr so bleiben, wie sie ist. Die Frage
> ist, ob sie sich im Sinne ihrer liberalen Mitglieder ändern wird.
Bild: Dreharbeiten für ARD-Doku „Wie Gott uns schuf“: Norbert Lammers ist …
Diese Woche haben 125 queere Menschen die Machtfrage in der katholischen
Kirche gestellt. Die [1][Initiative #OutInChurch gibt jenen
Mitarbeiter*innen der katholischen Kirche ein Gesicht], von denen man
wusste, dass es sie gibt, die sich aber versteckt halten sollten: Menschen,
die sich als lesbisch, schwul, bi, trans*, inter, queer und non-binär
identifizieren.
Die Praxis des „Don’t ask, don’t tell“, oder auf Deutsch: „Frag nicht…
nichts“, gehört seit vielen Jahrzehnten zur katholischen Kirche. Welche
katastrophalen Folgen die Nichtthematisierung haben kann, zeigen nicht nur
die [2][Gutachten zur sexualisierten Gewalt] in der Kirche. Auch die
Menschen der Initiative #OutInChurch sprechen von Suizidalität,
Diskriminierung, Einsamkeit.
Im Katechismus wird Homosexualität weiterhin als eine „schlimme Abirrung“
bezeichnet. Die Vorgesetzten von queeren Menschen im Bistum, in
Krankenhäusern, Schulen, Kitas, Hospizen oder in ihren Kirchengemeinden
haben daher Macht über sie. Wie viel Einfluss diese Macht auf ihr Leben
hat, bemisst sich daran, wie liberal oder konservativ die jeweiligen
Entscheidungsträger*innen sind.
Manche Menschen von #OutInChurch erzählen, dass sie schon lange in ihrer
Kirchengemeinde geoutet sind und kaum oder keine Probleme haben. Andere
haben mit der Initiative ihr Coming-out und erleben es als Befreiung. Sie
müssen aber mögliche Konsequenzen wie eine Kündigung noch abwarten.
## Einer der größten Arbeitgeber
Ein lesbisches Paar, das seit 40 Jahren eine Beziehung führt, macht diese
lange nach ihrer aktiven Zeit als Mitarbeiterinnen der katholischen Kirche
öffentlich. Bei anderen war die Angst vor dem beruflichen Aus zu groß. Sie
entschieden sich, anonymisiert Teil der Initiative zu sein.
Als queere Menschen kann ihnen ein Loyalitätsverstoß gegen die katholische
Kirche vorgeworfen werden. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
darf in Deutschland niemand aufgrund seiner Sexualität oder Religion
benachteiligt werden. Aber das Selbstbestimmungsrecht der
Religionsgesellschaften ist im Grundgesetz verankert und dieses schließt
ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht ein, das auf der
Loyalitätsverpflichtung fußt.
Die Mitarbeiter*innen sollen mit den Vorstellungen des Arbeitgebers
konform gehen und das auch im Privatleben. Die Kirche ist einer der größten
Arbeitgeber in Deutschland. Etwa 1,3 Millionen Menschen arbeiten im
kirchlichen Dienst.
Bundesjustizminister Marco Buschmann hat nach der Coming-out-Aktion
gesetzgeberische Konsequenzen gefordert: „Niemand darf wegen seiner oder
ihrer sexuellen Identität benachteiligt werden“, schrieb [3][der
FDP-Politiker am Montag auf Twitter.] „Bei allem Respekt vor dem
kirchlichen Selbstbestimmungsrecht insbesondere im verkündungsnahen Bereich
– dem muss auch die Kirche als einer der größten Arbeitgeber in Deutschland
Rechnung tragen.“
## Doppelmoral sichtbar gemacht
Die Ampelparteien haben im Koalitionsvertrag angekündigt zu prüfen, wie das
kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen angeglichen werden kann. Doch die
Macht liegt durch das höher wiegende kirchliche Selbstbestimmungsrecht bei
den einzelnen Bistümern. Einige Bischöfe haben bereits angekündigt, dass
ihre Mitarbeiter*innen keine Konsequenzen für das Coming-out zu
befürchten haben. Rechtssicherheit haben sie dadurch aber nicht.
Welche Macht können die Menschen von #OutInChurch mit ihrer Initiative
erlangen? Klar ist, dass die mutigen 125 Menschen die in so vielen
Bereichen der [4][katholischen Kirche herrschende Doppelmoral] für die
Öffentlichkeit erneut deutlich sichtbar machen. Einen schwulen katholischen
Jugendreferenten darf es geben, aber über seine Homosexualität soll er
bitte nicht sprechen.
Ähnlich wird seit Jahren mit geschiedenen Menschen verfahren oder auch mit
Priestern, die sich eigentlich dem Zölibat, also der verpflichtenden
Ehelosigkeit, verschrieben haben, aber mit Kenntnis vieler Menschen schon
über Jahre eine Beziehung führen. Solange sie die Beziehung nicht offiziell
machen, also heiraten oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen
wollen, werden sie geduldet.
Im Jahr 2002 wünschte sich ein Mensch aus meinem persönlichen Umfeld, nach
fünf Jahren Beziehung seine Freundin heiraten zu können. Das bedeutete für
ihn einen beruflichen Bruch, er war katholischer Priester. In Gesprächen
mit dem Vorgesetzten gab es keinen Vorwurf oder Verwunderung, sondern nur
eine Frage: „Wollen Sie das denn wirklich öffentlich machen?“
## Aussitzen wird nicht funktionieren
Das Pflichtzölibat abzuschaffen, dafür treten auch die Reformgruppen der
katholischen Kirche ein, wie etwa Maria 2.0. [5][Bei der dritten
Versammlung des kirchlichen Reformprojekts Synodaler Weg] soll vom 3. bis
5. Februar auch über die Veränderung der Sexualmoral im Katechismus
gesprochen werden. Doch auf [6][grundlegende Veränderungen,] die durch die
höchste Stelle der katholischen Kirche, den Vatikan und Papst, angestoßen
werden, wartet man vergebens. Auch in Deutschland bleibt es bislang bei
guten Vorsätzen, bei Gesprächsangeboten, bei Tolerierung. [7][Echte
Veränderungen folgen nicht], viele der progressiven Forderungen gibt es
schon seit Jahrzehnten.
Die aktuellen Ereignisse werden die katholische Kirche aber hoffentlich
länger beschäftigen: das mutige Coming-out, aber auch die [8][falsche
Aussage des emeritierten Papstes Benedikt XVI]. im Münchner Gutachten zur
sexualisierten Gewalt. Die Stadt München hat ihre Kapazitäten für
Kirchenaustritte nun verdreifacht, auch NRW meldet eine Rekordzahl an
Kirchenaustritten.
Die oft genutzte Taktik einiger Entscheidungsträger der katholischen
Kirche, die Füße stillzuhalten und zu warten, bis die öffentliche Aufregung
vorübergezogen ist, dürfte nicht mehr lange funktionieren. Auch Kardinal
Reinhard Marx sagte nun: „Es gibt keine Zukunft des Christentums in unserem
Land ohne eine erneuerte Kirche.“
Warum die Menschen, die bei #OutInChurch von ihren
Diskriminierungserfahrungen berichten, überhaupt Teil der Kirche sein
wollen, treibt viele um. Die Antwort kann nur eine individuelle sein.
Kirche ist, was vor Ort passiert, sagen aktive Mitglieder und berichten von
bereichernder Arbeit. Die katholische Kirche hat ihnen keinen Schutzraum
gegeben. Den müssen sie sich selbst holen. Mit dem gemeinschaftlichen
Coming-out haben sie das Machtinstrument des Schweigens gebrochen.
28 Jan 2022
## LINKS
[1] /Initiative-outinchurch/!5827805
[2] /Missbrauch-in-der-katholischen-Kirche/!5829334
[3] https://twitter.com/MarcoBuschmann/status/1485624394227621888?ref_src=twsrc…
[4] /Initiator-ueber-outinchurch/!5830053
[5] /Reformgremium-der-katholischen-Kirche/!5800657
[6] https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2F2020%2F45%2F…
[7] /Joseph-Ratzinger-und-der-Missbrauch/!5584862
[8] /Nach-Gutachten-zu-sexualisierter-Gewalt/!5830084
## AUTOREN
Linda Gerner
## TAGS
Katholische Kirche
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Schwerpunkt LGBTQIA
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