# taz.de -- Staatsleistungen an Kirchen: Eine Idee der Weimarer Verfassung | |
> Jährlich zahlt der Staat eine halbe Milliarde Euro an die Kirchen. Die | |
> Ampel-Koalition will das stoppen. Die Forderung danach ist 100 Jahre alt. | |
Bild: Jährlich zahlt der Staat eine halbe Milliarde Euro an die Kirchen | |
BERLIN taz | „Mehr Fortschritt wagen“ möchte die Ampelkoalition. Dazu | |
gehört auch, Verträge hinter sich zu lassen, die zu Zeiten Napoleons | |
beschlossen wurden. Denn seit über 200 Jahren zahlen die Länder bis auf | |
Bremen und Hamburg jährlich Gelder an die Kirchen. Rund 591 Millionen Euro | |
gaben die Länder im vergangenen Jahr an die katholische und evangelische | |
Kirche. | |
Grund dafür ist etwa die Säkularisierung kirchlicher Gebiete Anfang des 19. | |
Jahrhunderts. Damals wurden Besitztümer der Kirche wie Ländereien und | |
Immobilien enteignet und den weltlichen Landesherren übertragen. Um | |
weiterhin laufende Kosten begleichen zu können, übernahm der Staat die | |
Finanzierung der Bischöfe und Kardinäle und anderer notwendiger Ausgaben. | |
Schon vor mehr als 100 Jahren hieß es in Artikel 138 der Weimarer | |
Reichsverfassung, dass diese Staatsleistungen an die | |
Religionsgesellschaften durch die Landesgesetzgebung abgelöst werden | |
sollten. Die Grundsätze hierfür hätte die Weimarer Republik aufstellen | |
sollen. Dazu kam es nicht. Auch in das Grundgesetz der BRD wurde dieses | |
Ablösegebot übernommen. Weiter ist seitdem nichts geschehen. | |
## Gesetzentwurf schon 2021 vorgestellt | |
Laut Koalitionsvertrag soll das jetzt geändert werden. „Wir schaffen in | |
einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen | |
fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen“, heißt es dort. Doch | |
was bedeutet das? Was braucht es, um das jahrhundertealte Vorhaben der | |
Weimarer Republik endlich umzusetzen? | |
Der FDP-Abgeordnete Benjamin Strasser erklärt: „Der Bund ist dafür | |
zuständig, den Rahmen festzulegen, in welchem die Verhandlungen zwischen | |
Ländern und Kirchen über die Ablösung der Staatsleistungen stattfinden. Der | |
Grundgedanke der Weimarer Verfassungsväter und -mütter war, dass der Bund | |
bei der Ablösung keine eigenen Interessen hat und so als unabhängiger | |
Makler zwischen den Interessen agieren kann.“ | |
Zu vereinbaren sind dabei drei Dinge: der Spielraum für die Höhe der | |
Entschädigungssumme, die Verhandlungszeit, die Kirche und Länder dafür | |
bekommen, und die Zeit, in der die Summe dann abbezahlt sein muss. | |
Strassers Partei stellte schon im Mai 2021 zusammen mit der Linken und den | |
Grünen im Bundestag einen Gesetzesentwurf vor. Dieser wurde damals von der | |
Großen Koalition abgelehnt. Der Entwurf sah eine fünfjährige Frist für den | |
Erlass von Gesetzen zur Ablösung der Staatsleistungen für die Länder vor. | |
Die Ablösung sollte dann binnen 20 Jahren abgeschlossen sein und hätte auch | |
in Raten erfolgen können. Als Ablösefaktor wurde das 18,6-Fache der | |
aktuellen jährlichen Leistungen vorgeschlagen. Das entspräche um die 11 | |
Milliarden Euro, die die Länder insgesamt innerhalb von 20 Jahren an die | |
Kirchen hätten zahlen sollen. Danach wären sie von den Staatsleistungen | |
befreit. | |
Unter anderem stimmte damals die SPD-Fraktion dem Entwurf nicht zu. Auch | |
der SPD-Abgeordnete Lars Castellucci sprach sich gegen den Entwurf aus. Das | |
heißt nicht, dass seine Partei dem Auftrag des Grundgesetzes, die | |
Staatsleistung abzuschaffen, nicht endlich nachkommen möchte. „Bisher | |
wurden in die Diskussion die Bundesländer nicht mit einbezogen, obwohl sie | |
die Kosten der Ablösung zu tragen haben, deshalb sind bisherige Vorschläge | |
auch nicht zustimmungsfähig gewesen“, sagt er. Eine finanzielle | |
Entflechtung von Staat und Kirche liege aber in beiderseitigem Interesse. | |
Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz, der den Gesetzesentwurf von | |
2021 mit ausarbeitete, ist überzeugt davon, dass auch die Kirchen ein | |
Interesse an der Abschaffung der Staatsleistungen haben. Für sie bedeute | |
das Emanzipation vom Staat und mehr Autarkie. Überzeugt werden muss also | |
niemand mehr. Vielmehr geht es jetzt darum, die angemessene Höhe der | |
Ablösesumme zu verhandeln – aufwendige Verhandlungen, die bisher immer | |
wieder aufgeschoben wurden, über ein Jahrhundert lang. | |
Es sei positiv, „dass die Koalition die Ablösung der Staatsleistungen | |
angehen will und dazu Gespräche mit Gebern und Empfängern der | |
Staatsleistungen sucht, also den Ländern, Landeskirchen und Diözesen“, so | |
ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland. Doch man solle die | |
Ablösesumme anhand des Äquivalenzprinzips ermitteln. Das heißt, für eine | |
wertgleiche Entschädigung sorgen, also einen Ersatz bieten für entgangene | |
Erträge, die zum Beispiel Ländereien erbracht hätten. Dabei könnten | |
beispielsweise auch enteignete Immobilien an die Kirchen zurückgegeben | |
werden. Bei der Berechnung der Höhe der Entschädigung würden die bisherigen | |
Zahlungen nicht mit einfließen. Den Ländern werde dann ermöglicht, nach | |
oben und unten moderat davon abzuweichen. | |
Auch Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, betont: | |
„Die Kirche wird sich einer weitergehenden Lösung nicht verschließen, wenn | |
und soweit diese ausgewogen ist.“ Die Entscheidung liege bei den einzelnen | |
Bistümern. Allerdings habe es bislang, nicht zuletzt wegen der damit | |
verbundenen sehr erheblichen Kostenverpflichtungen, keine diesbezügliche | |
Initiative des Bundes gegeben. Auf weitere Details wie konkrete geforderte | |
Ablösesummen wolle er derzeit nicht eingehen. In einer Stellungnahme zum im | |
vergangenen Jahr vorgelegten Gesetzentwurf hieß es, [1][dass die | |
katholische Kirche] es für sinnvoll halte, „die Bundesländer und Kirchen | |
frühzeitig in die Beratungen über ein Grundsätzegesetz einzubeziehen“. | |
Wenn es nach Rechtswissenschaftler Johann-Albrecht Haupt von der | |
Humanistischen Union ginge, haben Kirchen bereits mehr als genug bekommen. | |
Er ist Sprecher des „Bündnisses altrechtliche Staatsleistungen abschaffen“, | |
kurz BAStA, und setzt sich schon länger für die Ablösung der | |
Staatsleistungen ein. „Die 20-jährige Übergangspflicht, wie sie FDP, Grüne | |
und Linke vorgeschlagen hatten, sollte aber verkürzt werden. Denn diese | |
würde bedeuten, dass die Kirchen 24 Milliarden Euro zusätzlich bekämen“, | |
sagt er. Eine Ablösesumme sollte es ihm nach überhaupt nicht geben. | |
„Diese Forderung, die Staatsleistungen ohne jegliche Ablösesumme | |
einzustellen, ist schlicht nicht verfassungskonform“, erklärt der | |
[2][Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz]. „Es mag sein, dass Menschen | |
diesbezüglich ein Störgefühl empfinden. Jedoch muss eine faire Ablösesumme | |
ausgehandelt werden. Als Vergleich: Wenn man jahrelang zur Miete lebt, hat | |
man ja auch nicht Anspruch auf die Wohnung, auch wenn sie längst abgezahlt | |
wäre.“ Wenn es nach seiner Partei gehe, kann das kommende Gesetz so | |
aussehen wie der vorangehende Entwurf. Doch wahrscheinlich werden neue | |
Verhandlungen nötig sein. „Das Ganze ist kein trivialer Prozess. Es gibt 22 | |
Landeskirchen und 27 Bistümer“, erklärt von Notz. | |
Das Gesetz wird noch diese Legislaturperiode kommen, da ist sich Strasser | |
sicher. Bundesjustizministerium und Innenministerium müssen nur noch einen | |
Termin finden, um dieses zu entwerfen. Er plädiert dafür, das Gesetz als | |
Grundlage „möglichst schlank“ zu halten, das heißt, mit möglichst wenigen | |
Vorgaben, um den einzelnen Kirchen und Ländern möglichst viel Spielraum für | |
freie Verhandlungen untereinander zu lassen. Es sei nicht auszuschließen, | |
dass es bezüglich der 18,6-fachen Ablösesumme Korrekturen geben werde. | |
„Wir können jedenfalls keine weiteren 100 Jahre warten“, sagt von Notz. Es | |
werde zwar kurzfristig teuer werden, doch sei der Zeitpunkt erreicht, eine | |
Abhängigkeit aufzuheben, von der lange Zeit Länder und Kirchen profitiert | |
hatten. Das sei ein guter Gedanke der Väter und Mütter des Grundgesetzes | |
gewesen. | |
8 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
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