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# taz.de -- Reaktionen auf den Putsch in Mali: Kontraproduktive Sanktionen
> Nach dem Putsch in Mali hat Westafrika drakonische Strafen verhängt.
> Dabei kann die Übergangsregierung sehr wohl Erfolge vorweisen.
Bild: Die Grenze zwischen Mali und der Elfenbeinküste wurde als Teil der Sankt…
Die jüngere Geschichte Malis lässt sich entlang verschiedener Stränge
erzählen. Einer beginnt im Frühsommer 2020. Damals [1][versammelten sich
Zehntausende zu Massendemonstrationen in Bamako], mobilisiert von einer
Regenbogenkoalition aus linken, zivilgesellschaftlichen und religiösen
Kräften. Die Menschen forderten den Rücktritt von Präsident Ibrahim
Boubacar Keita. Dieser fiel insbesondere durch Korruption und
Vetternwirtschaft auf – zudem zeigte er sich unfähig, gegen die
Vielfachkrise im Norden und Zentrum des Landes vorzugehen, nicht zuletzt
gegen den dschihadistischen Terror.
Umso größer war der Jubel, als die Armee intervenierte und eine aus
Militärs und Zivilist:innen zusammengesetzte Übergangsregierung
bildete. Bereits damals betonte die westafrikanische
Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas, dass Putsche unakzeptabel seien.
Gleichzeitig war offenkundig, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung den
Putsch befürwortete, die Ecowas vereinbarte daher mit ihrem Mitgliedstaat
Mali eine 18-monatige Übergangsfrist.
Im Mai 2021 erhielt diese Vereinbarung erste Risse, als es zu einem
neuerlichen Putsch kam, [2][der allerdings eher einem internen Stühlerücken
glich]. Anfang 2022 kollabierten die Beziehungen zur Ecowas vollends.
Aufhänger war die Ankündigung der Übergangsregierung, die Wahlen um bis zu
5 Jahre zu verschieben, vornehmlich aus Sicherheitsgründen.
Die Ankündigung ging aus einer Serie „Nationaler Versammlungen“ hervor, bei
denen in Hunderten lokalen, regionalen und landesweiten Konferenzen
Eckpunkte zum Wiederaufbau Malis diskutiert wurden – unter starker
Beteiligung sämtlicher Bevölkerungskreise. Unbeeindruckt davon verhängte
die Ecowas drakonische Sanktionen, darunter die Schließung der Grenzen zu
Mali, das Einfrieren staatlicher Vermögen und die Beschränkung des Handels
auf lebensnotwendige Güter. International wird dieses Vorgehen gutgeheißen,
selbst in der taz wurden die Sanktionen am 11. Januar auf der Titelseite
als unvermeidbar bezeichnet.
## Desaströse Konsequenzen
Wer so argumentiert, verkennt nicht nur die innenpolitische Lage in Mali,
auch die fragwürdigen Motive der Ecowas werden verschleiert, ganz zu
schweigen von den desaströsen Konsequenzen der Sanktionen. Vor allem die
Übergangsregierung muss differenzierter betrachtet werden. Sie ist weder
fehlerfrei noch charismatisch, aber ihre Erfolge können sich durchaus sehen
lassen – auch jenseits der Nationalen Versammlungen, deren Durchführung
eines ihrer zentralen Versprechen war.
Sie verfolgt mit Verve Korruption und Veruntreuung, was bereits mehrere
Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft hinter Gitter gebracht hat; sie
betreibt eine solide Wirtschaftspolitik, Investitionen genießen Priorität;
und sie geht entschieden gegen dschihadistische Gruppierungen vor, mit
ersten Erfolgen. Spätestens vor diesem Hintergrund dürfte deutlich werden,
weshalb die Sanktionen hochgradig kontraproduktiv sind: Erstens, weil sie
Mali einem ökonomischen Stresstest aussetzen, zusätzlich zur Corona-,
Klima- und Sicherheitskrise. Zweitens, weil sie den demokratischen Aufbruch
unterminieren.
Es sind vor allem die etablierten politischen Parteien, die die aktuellen
Entwicklungen boykottieren, also jene Kräfte, die aus Sicht der Bevölkerung
den Karren maßgeblich in den Dreck gefahren haben. Nach hinten verlegte
Wahlen bergen auch das Versprechen, dass sich auf Basis politischer und
institutioneller Reformen neue politische Gruppierungen in Stellung bringen
können.
Drittens, weil sie gesellschaftliche Spannungen zuspitzen, einer der
gefährlichsten Risse verläuft mittlerweile zwischen [3][einflussreichen
religiösen Führern wie Mahmoud Dicko] und Ousmane Madani Haïdara, die sich
teils für, teils gegen die Verschiebung der Wahlen aussprechen. Viertens,
weil sie die Hinwendung zu islamistischen Kräften begünstigen, aber auch zu
Ländern wie Russland, Türkei oder China. So waren es nicht zufällig
Russland und China, die im UN-Sicherheitsrat eine ausgerechnet von
Frankreich eingebrachte Resolution verhindert haben, mit der die
Ecowas-Sanktionen unterstützt werden sollten.
## Viele Regierungen treibt die Angst um
Denn die Bevölkerung durchschaut das Spiel der überwiegend prowestlich
ausgerichteten Ecowas: Diese maßt sich an, im Interesse der malischen
Bevölkerung zu handeln, doch die Ecowas wird überall in Westafrika als
Gewerkschaft der politischen Klasse verspottet. Viele Regierungen treibt
die Angst um, dass es ähnlich wie in Mali zu Massenprotesten kommen könnte.
Denn die generelle Unzufriedenheit ist hoch, vor allem junge Menschen sind
von der offiziellen Politik extrem entfremdet.
Will Europa nicht jede Glaubwürdigkeit verlieren, muss es endlich lernen
zuzuhören. Putsche sind nichts, was verniedlicht werden sollte. Aber es ist
paternalistisch, ja zynisch, davon zu reden, die Demokratie in Mali retten
zu wollen, dabei jedoch zu ignorieren, dass eine deutliche Mehrheit der
Gesellschaft den aktuellen Weg für richtig befindet. Und was für die
Demokratiefrage gilt, trifft auch auf die Friedensfrage zu: Die
Malier:innen wissen, dass [4][der Konflikt gegen Dschihadisten nicht mit
Waffengewalt zu gewinnen ist], sondern nur durch tiefgreifende
sozial-ökologische Transformationen.
Dennoch sind sie auf militärische Unterstützung in puncto Ausbildung und
Material angewiesen. Denn wo dschihadistische Kräfte Beinfreiheit genießen,
drohen Verhältnisse wie in Somalia, Afghanistan oder zwischenzeitlich Irak.
Kurzum: Mali braucht kritisch-solidarische Begleitung, nicht aber
Sanktionen.
Dafür muss Deutschland seine Nibelungentreue gegenüber Frankreich endlich
aufkündigen. Die ehemalige Kolonialmacht h[5][at sich im Sahel verrannt]:
Sie agiert selbstherrlich, verfolgt immer wieder eigene Interessen und
setzt viel zu stark auf militärische Lösungen. Stattdessen gilt es, die
Übergangsregierung zu stärken – bei gleichzeitiger Tuchfühlung mit
Zivilgesellschaft und sozialen Basisinitiativen.
24 Jan 2022
## LINKS
[1] /Proteste-gegen-Praesident-Keita-in-Mali/!5698963
[2] /Mali-ein-Jahr-nach-dem-Putsch/!5789726
[3] /Proteste-gegen-den-Praesidenten-von-Mali/!5690805
[4] /Extremismus-in-Westafrika/!5820956
[5] /Gewalt-bei-Protesten-in-Niger/!5815696
## AUTOREN
Olaf Bernau
## TAGS
Mali
Putsch
Sanktionen
Demokratie
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