# taz.de -- Mali ein Jahr nach dem Putsch: Neuwahlen in weiter Ferne | |
> Am 18. August 2020 stürzte das Militär Malis gewählte Regierung. Heute | |
> überwiegt Pessimismus über die Zukunft, ein Neuanfang ist nicht in Sicht. | |
Bild: 21. August 2020: Drei Tage nach dem Umsturz jubelt Bamako | |
COTONOU taz | Der Jubel in Malis Hauptstadt Bamako war groß. Militärs | |
stürzten am 18. August 2020 den damaligen Präsidenten Ibrahim Boubacar | |
Keïta und beendeten damit eine korrupte, erfolglose und immer unbeliebter | |
werdende Regierung. Viele Menschen applaudierten. Ihre Hoffnungen, dass die | |
vom Militär eingesetzte Übergangsregierung zügig Reformen durchführt und | |
den Weg für Neuwahlen und einen Neuanfang ebnet, sind ein Jahr später aber | |
längst verflogen. Ein [1][weiterer Putsch im Mai 2021] festigte die | |
Kontrolle des Militärs, die bis Februar 2022 laufende Übergangsfrist bis zu | |
Neuwahlen steht mittlerweile in Frage. | |
„Die Situation ist sehr kompliziert. Wir haben jeden Tag Angst“, sagt Issa | |
Ballo am Telefon. Ballo lebt in Mopti im Zentrum Malis, wo die | |
Sicherheitslage derzeit am schlechtesten ist. In den 1990er Jahren hatte er | |
ein Reiseunternehmen aufgebaut, das Bootstouren auf dem Niger-Fluss und | |
Ausflüge ins Dogon-Land anbot und mehrere Fahrer und Touristenführer | |
beschäftigte. Das Geschäft lief gut, bis ab 2011 wegen des Vormarsches | |
islamistischer Rebellen die Sicherheitslage immer kritischer wurde. „Heute | |
traue ich mich nicht mehr aus der Stadt heraus.“ Die Überfälle durch | |
Banditen und Terroristen hätten längst die umliegenden Dörfer erreicht. | |
„Sie schauen uns zu und kontrollieren.“ | |
Islamistische Kämpfer würden die Frauen zwingen, schwarze Kleidung zu | |
tragen. Wer sich weigert, würde geschlagen. Männer dürften nicht mehr | |
rauchen. Dabei galt der Islam in Mali stets als tolerant. Er koexistiert | |
seit vielen hundert Jahre neben traditionellen Glaubensformen. Bis heute | |
bekennt sich die Mehrheit der malischen Bevölkerung zu dieser Auslegung und | |
nicht zum saudischen Wahhabismus. | |
Ballo sorgt sich auch um die Wirtschaft. „Nichts geht mehr. In unserer | |
Region haben die Dörfer immer untereinander Handel betrieben. Doch aus | |
[2][Sorge vor Angriffen und Überfällen] auf der Straße gibt es keinen | |
Austausch mehr.“ Er wird ärgerlich: „Wie kann man nur so leben? Wir | |
brauchen Sicherheit und Stabilität, damit wir wieder arbeiten können. Wir | |
wollen keine Almosen, sondern selbst Geld verdienen.“ | |
## Machtspiele in Bamako | |
Ernüchterung herrscht auch bei politischen Beobachtern in Bamako. Aly | |
Tounkara, Leiter des Zentrums für Sicherheits- und Strategieanalysen im | |
Sahel, sagt: „In vielen Bereichen wird die Praxis der Keïta-Regierung | |
fortgesetzt.“ Die Korruption, die in den vergangenen Jahren immer mehr | |
zugenommen hat, habe sich auch unter den neuen Machthabern fortgesetzt. „Es | |
gibt keine Sanktionen“, kritisiert er. | |
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Übergangsrat lange vor allem mit | |
sich selbst beschäftigt war und eigene Machtspiele spielte. Der erste | |
Interimspräsident Bah Ndaw wurde im Mai diesen Jahres von seinem Vize, | |
Oberst Assimi Goïta, abgesetzt, der schon den Putsch vom August 2020 | |
ausgeführt hatte, damals aber im Hintergrund blieb. Jetzt ernannte er sich | |
selbst zum Staatschef. Ndaw hatte noch versucht, den Einfluss des Militärs | |
einzudämmen. | |
Ende Juli hat der von Goita ernannte neue Premierminister, Choguel Maïga, | |
nun einen neuen Aktionsplan präsentiert: Unter anderem müsse der | |
Sicherheitssektor gestärkt werden. Auch solle die Übergangsregierung Geld | |
zur Verbesserung des Gesundheits- und Bildungssektors auftreiben. | |
Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sollen derweil nach wie vor wie | |
geplant am 27. Februar 2022 stattfinden. Das hat auch für die | |
internationale Gemeinschaft Priorität. In Mali sorgt das Datum aber für | |
Unverständnis. „Viel zu kurz“ nennt Hallé Ousmane Cissé, ehemaliger | |
Bürgermeister von Timbuktu, das Vorhaben. „Die große Mehrheit wird nicht | |
wählen können. Ist eine Wahl oder eine Regierung legitimiert, wenn nur 30 | |
Prozent der Bevölkerung überhaupt abstimmen konnten?“ | |
## „Banditen errichten Straßensperren“ | |
In seiner Stadt Timbuktu habe sich die Sicherheitslage zwar verbessert. | |
Doch in den Dörfern sei [3][die Bevölkerung weiterhin Banditen | |
ausgeliefert.] „Sie errichten Straßensperren und überfallen Reisende. Rund | |
um Feste wie Tabaski passiert das besonders häufig.“ Freie und transparente | |
Wahlen seien unvorstellbar. Cissés Meinung nach haben ohnehin andere Dinge | |
Priorität. „Wir müssen über eine Verfassungsreform sprechen. Das | |
Bildungssystem muss sich verbessern.“ | |
Unklar ist auch, wie sich die politische Klasse zu den Wahlen aufstellen | |
wird. Die zwei Personen, die Malis Politik im vergangenen Jahrzehnt | |
dominierten, fehlen: der im August 2020 gestürzte Präsident Ibrahim | |
Boubacar Keita und der im Dezember 2020 verstorbene Oppositionsführer | |
Soumaïla Cissé. Theoretisch klingt das nach einer Chance für den Neuanfang. | |
Ein Kandidat, der Mali einen könnte, integer und keine Marionette des | |
Militärs ist, ist allerdings nicht in Sicht. | |
Auch Kalfa Sanogo, Präsidentschaftskandidat von 2018, ist auf Nachfrage | |
zögerlich. „Es hängt von verschiedenen Faktoren ab, ob ich mich aufstellen | |
lasse“, sagt der Bürgermeister von Sikasso, der bedeutendsten Handelsstadt | |
im Süden des Landes. Immerhin sei die Sicherheitslage dort, anders als in | |
anderen Landesteilen, einigermaßen in Ordnung: „Das Leben funktioniert | |
normal.“ | |
18 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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