| # taz.de -- Bundeswehr in Mali: Im Wüstensumpf | |
| > Der bisher schwerste Anschlag auf deutsche Soldaten in Mali hat nicht nur | |
| > mit Islamisten zu tun. Malis Staat wird insgesamt immer instabiler. | |
| Bild: Unsicheres Terrain: Deutsche UN-Patrouille in der Region Gao | |
| Berlin taz | Die Autobombe explodierte um 6.28 Uhr Ortszeit. Ein | |
| Selbstmordattentäter steuerte am Freitagfrüh sein mit Sprengstoff | |
| beladenes Fahrzeug in eine „temporäre Operationsbasis“ der UN-Mission in | |
| Mali (Minusma) – in Malis Wüste ist so eine Basis, [1][schreibt der | |
| Fachblog Bruxelles2], „ein Kreis gepanzerter Fahrzeuge, wie man es in der | |
| Wüste oder im Wilden Westen macht, der das Lager schützt“. 13 UN-Soldaten, | |
| davon zwölf Deutsche und ein Belgier, wurden verletzt. Es ist der schwerste | |
| Anschlag auf die Bundeswehr in Mali in den acht Jahren ihrer Präsenz, die | |
| erst im Mai vom Bundestag verlängert wurde. | |
| Der Anschlag ereignete sich tief in Malis Saharawüste, [2][laut UN-Mission] | |
| „nahe des Dorfes Ichagara in der Gemeinde Tarkint, Region Gao“. Lokale | |
| Berichte nennen auch das Dorf al-Moustarat. Die Gegend liegt 180 Kilometer | |
| nördlich der Regionalhauptstadt Gao, wo [3][das deutsche UN-Kontingent] | |
| stationiert ist. | |
| Was suchten deutsche Blauhelmsoldaten mitten in Malis Kriegsgebiet? Die | |
| Gemeinde Tarkint – sie ist fast 30.000 Quadratkilometer groß, zählt aber | |
| weniger als 20.000 Menschen – hat in vergangenen Jahren schwere Schlachten | |
| zwischen französischen Elitetruppen und islamistischen Terrorgruppen | |
| erlebt. Sie ist eine Geburtsstätte des bewaffneten islamistischen | |
| Untergrunds der Sahelzone. Erst im März 2020 starben 30 Soldaten der | |
| malischen Armee bei einem Angriff auf die Militärbasis von Tarkint. | |
| Schon viele Jahre vorher galt [4][der Bürgermeister von Tarkint], Baba Ould | |
| Cheikh, als einer der prominentesten Schmuggler Nordmalis – die alten | |
| Transsahararouten können sehr lukrativ sein für den grenzüberschreitenden | |
| Handel mit Menschen, Waffen, Drogen und anderen offiziell unerwünschten | |
| Waren. Die Welt wurde darauf 2009 aufmerksam, als in Tarkint ein Flugzeug | |
| aus Venezuela mit 10 Tonnen Kokain an Bord landete, sicherlich nicht ohne | |
| Wissen staatlicher Stellen, und dort ausgebrannt vorgefunden wurde. | |
| Gerüchten zufolge wurden zwei Tonnen Kokain damals in der Wüste vergraben. | |
| Die Schmuggler der Region bauten sich damals prächtige Villen in Gao und | |
| der Regionalhauptstadt Kidal weiter nördlich, geduldet von Malis damaliger | |
| Regierung und in bestem Einvernehmen mit Libyens Gaddafi-Regime. Mit ihren | |
| Geschäften finanzierten sich Rebellenführer der Tuareg-Volksgruppe sowie | |
| flüchtige Islamisten aus Algerien, teils in Konkurrenz zueinander, zuweilen | |
| taktisch verbündet. Aus der algerischen [5][AQMI (Al-Qaida im Islamischen | |
| Maghreb)] entstand unter anderem die [6][„Bewegung für Einheit und Dschihad | |
| in Westafrika“ (Mujao)], die 2012–2013 zusammen mit anderen bewaffneten | |
| Gruppen den Norden Malis beherrschte, bis Frankreich mit Tausenden Soldaten | |
| intervenierte. | |
| Das Dorf al-Moustarat, das jetzt in Zusammenhang mit dem Anschlag auf die | |
| Bundeswehr genannt wird, bezeichnen EU-Sanktionsbeschlüsse als Heimat des | |
| Mujao-Gründers Abderrahmane Ould el-Amar. In al-Moustarat verübte auch | |
| Malis aktuell wichtigste islamistische Terrorgruppe [7][JNIM (Gruppe für | |
| die Unterstützung des Islams und der Muslime)] 2017 ihren ersten | |
| Selbstmordanschlag auf Malis Armee. Und der Sohn des Bürgermeisters von | |
| Tarkint, Mimi Ould Bana Oujld Cheikh, ist einer der prominentesten | |
| islamistischen Terrorhäftlinge Malis – er wird für blutige Anschläge in | |
| Burkina Faso und der Elfenbeinküste verantwortlich gemacht. | |
| ## Gefährdetes Friedensabkommen mit den Tuareg | |
| Die 2013 nach Frankreichs Militärintervention gegründete [8][UN-Mission | |
| Minusma] ist im Aktionsgebiet dieser Islamisten aktiv und hat mehr Tote zu | |
| beklagen als jede andere UN-Mission der Welt. Aber der Kampf gegen | |
| Terrorgruppen gehört nicht zu ihren Aufgaben – das ist der französischen | |
| Antiterroroperation „Barkhane“ vorbehalten. Die zentrale UN-Aufgabe in | |
| Mali besteht darin, im Windschatten der Terrorbekämpfung das | |
| Friedensabkommen von Algier umzusetzen, das 2015 den Krieg zwischen Malis | |
| Regierung und den Tuareg-Rebellen Nordmalis beendete. Diese international | |
| wenig beachtete zweite Front der Konflikte Malis ist der Hintergrund der | |
| Operation, die zum Angriff auf die Bundeswehr führte. | |
| Bis heute werden Teile Nordmalis nicht von der Regierung verwaltet, sondern | |
| von den Tuareg-Rebellen, die dort 2012 die Macht übernahmen, ihren | |
| kurzlebigen eigenen Staat „Azawad“ ausriefen und auch nach Frankreichs | |
| Militärintervention gegen Islamisten 2013 die Oberhand behielten. Dies gilt | |
| vor allem für die Regionalhauptstadt Kidal nördlich von Gao nahe der | |
| algerischen Grenze. Das Friedensabkommen von Algier sieht nun eine | |
| Autonomieregelung vor, mit gemeinsamen Armeeeinheiten aus | |
| Regierungssoldaten, Tuareg-Rebellen und regierungstreuen Milizen. Zu diesem | |
| Zweck bildet Malis Armee seit einigen Jahren sogenannte rekonstituierte | |
| Bataillone aus, die in den drei nordmalischen Regionalhauptstädten | |
| Timbuktu, Gao und Kidal stationiert werden sollen. | |
| Es ist ein umstrittenes Konzept. Manche Tuareg-Rebellen fürchten eine | |
| Infiltration ihrer Feinde in ihre Hochburgen. Manche Politiker in Malis | |
| ferner Hauptstadt Bamako geißeln einen Ausverkauf des malischen | |
| Staatsgebiets an Separatisten. Und die radikalen Islamisten haben kein | |
| Interesse an Frieden. In Gao antworteten sie Anfang 2017 auf die | |
| Einrichtung der ersten rekonstituierten Einheiten mit dem bis dahin | |
| blutigsten Selbstmordanschlag der malischen Geschichte – rund 60 Soldaten | |
| starben. | |
| Kidal, wo anders als in Gao und Timbuktu die in der [9][„Koordination der | |
| Azawad-Bewegungen“ (CMA)] zusammengeschlossenen Tuareg-Rebellen bis heute | |
| faktisch regieren, erweist sich als besonders problematisch – vor allem, | |
| weil der Ort tief im islamistischen Feindesland liegt. Die erste | |
| rekonstituierte Armeekompanie für Kidal erreichte den Ort am 13. Februar | |
| 2020, nach drei Tagen Fahrt aus Gao durch die Wüste, mit einer Eskorte von | |
| 200 UN-Blauhelmsoldaten. Die zweite Kompanie musste im Mai 2020 zeitweilig | |
| umkehren. | |
| Jetzt ist die dritte Kompanie an der Reihe, zum Schutz ihrer Verlegung war | |
| die deutsche UN-Einheit unterwegs. Die vom Selbstmordattentäter getroffene | |
| Operationsbasis, [10][erläutert Minusma], „war eingerichtet worden, um den | |
| Durchzug der dritten Kompanie des rekonstituierten Bataillons der malischen | |
| Armee nach Kidal abzusichern, die am Vortag Ziel eines Sprengstoffanschlags | |
| geworden war“. Näheres über diesen Anschlag ist nicht bekannt – aber am T… | |
| danach zur Absicherung Blauhelme hinzuschicken, die ansonsten nicht zur | |
| Terrorbekämpfung dienen, ist zumindest riskant. | |
| ## Zwei Putsche und viel Unmut | |
| Malis explosive Innenpolitik macht solche Operationen noch gewagter. Im | |
| August 2020 und erneut im Mai 2021 putschten unzufriedene Soldaten in Malis | |
| Hauptstadt Bamako – erst gegen die gewählte Regierung, dann gegen die aus | |
| dem ersten Putsch hervorgegangene Übergangsregierung. Der Drahtzieher des | |
| ersten Putsches, der unter anderem in Deutschland ausgebildete Oberst der | |
| malischen Spezialkräfte Assimi Goïta, ist seit dem zweiten Putsch Malis | |
| Präsident. Und sein neuer Premierminsiter Choguel Maïga ist Malis | |
| prominentester Kritiker des Friedensabkommens von 2015 mit den Tuareg. | |
| Maïga fordert als Premier zwar offiziell bloß eine „kritische | |
| Korrekturlektüre“ des Abkommens. Aber das genügt, um die Tuareg-Rebellen | |
| auf die Palme zu bringen. Prominente Vertreter des Rebellendachverbandes | |
| CMA nutzten den sechsten Jahrestag der Unterzeichnung am 20. Juni für eine | |
| klare Warnung. „Bei einer Korrekturlektüre des Abkommens können wir auch | |
| wieder auf den Tisch legen, was wir damals nicht durchsetzen konnten“, | |
| sagte CMA-Führungsmitglied Tilla Ag Zaini auf einer [11][Pressekonferenz in | |
| Bamako]. „Niemand ist mit dem Abkommen zufrieden. Uns hat die | |
| internationale Gemeinschaft gezwungen, es zu unterschreiben. Wir wollten | |
| nicht.“ Die CMA traut der Militärregierung in Bamako noch weniger als deren | |
| Vorgängern. Am 13. April wurde mitten in Bamako CMA-Präsident Sidi Brahim | |
| Ould Sidatt vor seinem Haus erschossen. | |
| Das alles ist ein denkbar ungünstiger Kontext für jeden Versuch, jetzt in | |
| der Tuareg-Hochburg Kidal Regierungssoldaten zu stationieren, und sei es | |
| zusammen mit Rebellen. Frankreich, das 2013 den Vormarsch der Islamisten in | |
| Mali stoppte, hat aus Protest gegen Malis zweiten Putsch seine militärische | |
| Zusammenarbeit mit Malis Armee aufgekündigt und will seine | |
| Antiterroroperation „Barkhane“ herunterfahren. Die bewaffneten Islamisten | |
| wittern Morgenluft, die Tuareg und andere Ethnien bereiten sich darauf vor, | |
| sich zukünftig alleine schützen zu müssen. | |
| Nach UN-Angaben sind im gesamten Norden Malis derzeit nur 14 von 131 | |
| staatlichen Verwaltungschefs tatsächlich vor Ort präsent. Der [12][jüngste | |
| Mali-Bericht des UN-Sicherheitsrats] führt aus: „Die Abwesenheit | |
| staatlicher Amtsträger hat ein Sicherheitsvakuum geschaffen und bewaffnete | |
| Gruppen agieren weiterhin als einzige Gewährleister von Sicherheit.“ | |
| 27 Jun 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.bruxelles2.eu/2021/06/attaque-au-vehicule-suicide-contre-la-minu… | |
| [2] https://twitter.com/UN_MINUSMA/status/1408362562027245568 | |
| [3] https://www.bundeswehr.de/de/einsaetze-bundeswehr/mali-einsaetze/minusma-bu… | |
| [4] https://maliactu.net/mali-chez-baba-fils-trafic-de-pere-en-fils/?__cf_chl_j… | |
| [5] https://ecfr.eu/special/sahel_mapping/aqim | |
| [6] https://ecfr.eu/special/sahel_mapping/mujao | |
| [7] https://www.csis.org/programs/past-projects/transnational-threats-project/t… | |
| [8] https://minusma.unmissions.org/en | |
| [9] https://ecfr.eu/special/sahel_mapping/cma | |
| [10] https://twitter.com/UN_MINUSMA/status/1408468260681621507 | |
| [11] https://www.maliweb.net/la-situation-politique-et-securitaire-au-nord/acco… | |
| [12] https://minusma.unmissions.org/sites/default/files/s_2021_519_e.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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