# taz.de -- Debatte um die Öffentlich-Rechtlichen: Viel meinen, wenig wissen | |
> Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es Reformbedarf, daran zweifelt | |
> niemand. Doch ein Konzept legen auch die jüngsten Kritiker nicht vor. | |
Bild: Nicht jede Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist unbedingt zur A… | |
Ein Gedankenexperiment: Würde man über die Medienkrise so reden, wie man | |
über die Coronakrise redet, dann klänge das in etwa wie folgt: „Die | |
Inzidenz an Falschinformation pro 100.000 Einwohner*innen ist erneut | |
auf ein Rekordhoch gestiegen. Die Kapazitäten für Faktenchecks werden | |
knapp. Immer mehr Journalist*innen verlassen den Beruf, Grund sind | |
Überlastung und finanziell miese Zukunftsaussichten.“ | |
In einem solchen Paralleluniversum würden wir uns täglich vergewissern, | |
dass wir die Informationshygieneregeln einhalten, dass wir nicht | |
irgendjemanden an der Kitatür versehentlich [1][mit halbgaren Gerüchten, | |
Fake News und müden Hot Takes] infizieren, die sich anschließend | |
exponentiell verbreiten könnten. Und wir würden fordern, dass die | |
zuständigen Behörden sofort ausgebaut, erneuert und [2][digital auf den | |
neuesten Stand gebracht werden müssen.] Koste es, was es wolle.Die | |
„zuständigen Behörden“ wären natürlich: die Sender des | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunks. | |
Stattdessen passiert dies: [3][Die britische Regierung kündigte am Sonntag | |
an, der BBC, Vorbild des öffentlich-rechtlichen Nachkriegsrundfunks in | |
Deutschland, die Finanzierung zu entziehen]. Die konservative Regierung | |
Johnsons ist einerseits von der Angst getrieben, der Rundfunk habe sie auf | |
dem Kieker, andererseits will man von #Partygate ablenken – und obendrein | |
sammelt man Punkte bei Geringverdienenden, für die sich ein Wegfall der | |
Rundfunkgebühr bemerkbar machen würde. Gewürzt hat Medienministerin Nadine | |
Dorries die Ankündigung diese Woche mit dem Seitenhieb, dass zu wenige | |
Menschen aus der Arbeiter:innenklasse im Rundfunk vertreten seien. | |
Das stimmt. Eine Definanzierung hilft dagegen allerdings kaum. | |
Keinen Tag später nutzte im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt die dortige | |
CDU-Fraktion den Moment. Man strebe an, dass langfristig Das Erste | |
abgeschafft werden solle, sagte ein Parlamentarier der Mitteldeutschen | |
Zeitung und achtete darauf, noch mitzuteilen: Im öffentlich-rechtlichen | |
Rundfunk höre man zu viele Klimaschutz-Befürworter*innen und zu viel | |
Gendersprache. Ist natürlich klar, dass sich alle sofort darüber empörten. | |
[4][Bis die CDU Sachsen-Anhalt dann umgehend klarstellte: Ach, „abschaffen“ | |
hatte man ja gar nicht gemeint]. Mehr so „umwandeln“. Ein Konzept hat man | |
nicht. Ums kurz zu machen: Man hat keine Ahnung, wovon man redet. Aber das | |
mit dem Klimaschutz und der Gendersprache hat man zum Glück mal | |
untergebracht. | |
## Schwerfällige Behördenstruktur | |
Das ist drüben im Vereinigten Königreich ganz genau wie in Deutschland, das | |
Niveau, auf dem seit Jahren über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk | |
diskutiert wird. „Staatsfunk“-Paranoia und Antielitäres von rechts; feuchte | |
Privatisierungsträume aus dem neoliberalen Lager; und dazwischen der | |
berechtigte Ärger derer, denen gerade zusätzlich zum verdreifachten | |
Gaspreis auch noch die achtzehnsechsunddreißig abgebucht worden sind – für | |
Inhalte, die sie womöglich woanders schneller, besser, moderner bekommen. | |
Ohne Zweifel besteht beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Reformbedarf. | |
Ganz klar handelt es sich um eine schwerfällige Behördenstruktur, in der | |
jedes Mal, wenn es darum geht, etwas sinnvoll zu verändern, politische, | |
bürokratische und finanzielle Interessen aneinander zerren. | |
Klar ist auch, dass der Rundfunk an vielen Stellen zu viel Geld ausgibt. | |
Die Gehälter der Senderchef*innen werden häufig genannt, sie betragen | |
ein Vielfaches von dem, was Ärzt*innen, Professor*innen oder | |
Lehrer*innen bekommen. | |
Mehr noch verdienen häufig die „Gesichter“ der Sender, berühmte | |
Moderator*innen wie Anne Will oder Thomas Gottschalk, die für ihre | |
Prominenz gut bezahlt werden, um nicht zur Konkurrenz abzuwandern. | |
Vergleichsweise viel Geld kosten auch Hunderte austauschbare Krimis jedes | |
Jahr. Und dann sind da die Lizenzen für Sportübertragungen, mit denen die | |
Sender die wahnwitzigen Beträge im Profisport mitfinanzieren. Richtig ist | |
aber auch, dass ARD und ZDF in den letzten Jahren bereits auf | |
Übertragungslizenzen verzichtet haben. Und auch die „Gesichter“ wandern | |
immer mal zu den Privaten ab. Zuletzt Quizmaster Jörg Pilawa. Die Sender | |
werden bei Honorarverhandlungen zugeknöpfter. | |
## Rundfunk am Reißbrett | |
Für den Kleinkram der Bilanzen interessiert sich bei hiesigen und anderen | |
populistischen Rundfunkdebatten aber sowieso niemand. Denn würde man | |
konkret werden, hätte man ja wieder die Mehrheit gegen sich. Darum | |
profilieren sich Politiker*innen mit vager Kritik am Rundfunk, fordern | |
aber nicht, „Wetten, dass..?“ abzuschaffen, das „Traumschiff“ oder den | |
„Münster-Tatort“. | |
Würde man heute noch einmal einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk am | |
Reißbrett entwerfen, sähe er sicher ganz anders aus. Und selbstverständlich | |
hat keines der Programme, wie wir sie heute kennen, lieben und hassen, eine | |
Berechtigung für die Ewigkeit. Auch Das Erste hat die nicht. | |
Wir wissen schlicht nicht, wer in 30 Jahren noch lineares Fernsehen gucken | |
möchte. Vielleicht niemand. Von daher hätte auch ein Vorschlag wie der aus | |
Sachsen-Anhalt immer Beachtung verdient. | |
Hätte. Wenn er denn mit einem Konzept daherkäme und sich nicht zu bequem | |
wäre, auch intelligent die Folgefragen zu stellen. Welche Einsparungen sind | |
durch den Vorschlag zu erwarten und sind diese angemessen? Könnte der | |
gesellschaftliche Auftrag der Sender unter diesen Bedingungen noch erfüllt | |
werden? Entspricht der Vorschlag dem Bedarf von abgehängten Regionen ebenso | |
wie dem eines jungen, vernetzten, weltpolitisch interessierten Publikums? | |
„Öffentlich-rechtlicher Rundfunk zu groß und zu teuer“ rufen ist dagegen | |
nicht schwer. | |
## Beteiligungsforum für Bürger*innenjournalismus | |
Das Gedankenexperiment vom Anfang des Textes ist in Wahrheit gar keines. Es | |
ist die Realität, denn die Coronakrise ist auch eine Informationskrise. Ein | |
moderner öffentlich-rechtlicher Rundfunk könnte dieser und anderen Krisen | |
begegnen. Mit hochwertig recherchierter Information auf allen Kanälen; als | |
Beteiligungsforum für Bürger*innenjournalismus; und eben auch als | |
Plattform und Arbeitgeber*in für Kultur und Unterhaltung. | |
Ein privater Rundfunk, [5][der allerhöchstens etablierte Formate von ARD | |
und ZDF übernimmt und kopiert], wird diese Aufgaben kaum übernehmen. | |
23 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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