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# taz.de -- Schwulenfeindlichkeit in Hamburg: „Homophobia is real, Leute“
> Sind die Gäste einer Schwulenbar nahe der Reeperbahn aus homophoben Motiv
> attackiert worden? Für die Betreiber steht fest: Die Hemmschwelle sinkt.
Bild: Seit sich die Szene nicht nur hinter verschlossenen Türen trifft, werden…
Hamburg taz | An diesem Dezemberabend liegt die Talstraße auf St. Pauli
verlassen da. Nur wenige Schritte sind es von der Reeperbahn hierher, aber
kein Mensch ist unterwegs. Trübe leuchtet die Reklame des Gay Kinos, wenige
Meter weiter ist der Baldachin der Wunderbar ausgezogen, samt seinen
Fransen – als sei nie was gewesen. „Wir steh’n auf Jungs“, steht an sei…
Stirnseite.
Drinnen ist es ziemlich voll, ein paar Frauen sind da und viele junge
Männer. Am Tresen ist noch ein Hocker frei. „Was willst du trinken?“, fragt
der Mann hinter der Bar. Über ihm schweben Discokugeln, eine neben der
anderen, und als sei das noch nicht genug, ist die Decke komplett mit
silbern glänzender Folie ausgeschlagen. An den Wänden stehen Sessel, in
denen sich die Gäste lümmeln, ein Weihnachtsbaum in der Ecke blinkt in
unregelmäßigen Abständen rot auf.
[1][Die Wunderbar] steht in dem Ruf, St. Paulis „schwules Wohnzimmer“ zu
sein: trotzdem ein Ort, an dem erst einmal alle willkommen sind, egal
welchen Geschlechts und welcher sexuellen Orientierung. „Es gibt hier
Regeln“, sagt Barchef René, der den ganzen Abend durch die Räume schwirrt,
in einer Verschnaufpause, und zählt auf: „Kein Rassismus, keine Homophobie,
keine Drogen“. Am Wochenende gibt es einen Türsteher, der schaut, wer
reinkommt, aber es gebe eigentlich nie Ärger. „In elf Jahren gab es eine
Schlägerei, die dauerte 30 Sekunden.“
Draußen vor der Tür allerdings existiert eine andere Welt, [2][vor wenigen
Wochen] war das schmerzhaft zu spüren. Die Wunderbar feierte Halloween,
draußen auf der Straße waren Bänke und Tische aufgestellt, die zahlreichen
Gäste waren kostümiert und in bester Stimmung, als eine Gruppe sehr junger
Männer von der Reeperbahn her vorbeikam.
Was genau dann passierte, ermittelt derzeit die Polizei, aber alle in der
Bar stimmen darin überein, dass es zu einem Wortgefecht kam, in dessen
Verlauf das Wort „Schwuchteln“ fiel, worauf die so Angesprochenen etwas
gesagt haben sollen wie „Geht weiter“, der Wortlaut ist nicht ganz klar.
Die Polizei sagt, die beiden Angegriffenen seien als „Engelchen und
Teufelchen“ verkleidet und gut als schwul zu erkennen gewesen.
Jedenfalls gingen zwei der jungen Männer von der Reeperbahn auf die beiden
Gäste der Wunderbar zu und schlugen ihnen ins Gesicht. Zwischendurch sollen
sie sich kurz entfernt haben, kamen dann aber wieder und machten weiter.
Sie hörten erst auf, als Passanten und der herbeigeeilte Türsteher
dazwischen gingen.
Der herbeigerufenen Polizei gelang es, die beiden Täter festzunehmen, sie
sind 18 und wieder auf freiem Fuß und waren bis dahin durch Drogen- und
Gewaltdelikte aufgefallen, aber nicht durch schwulenfeindliche Übergriffe.
Die beiden schweigen, doch inzwischen geht die Polizei von einem homophoben
Tatmotiv aus, weswegen die Staatsschutzabteilung des LKA den Fall an sich
gezogen hat.
„Ein schwacher Trost: Zwei dieser Arschgeigen konnte die Polizei
schnappen“, postete Wunderbar-Eigentümer Axel Strehlitz am nächsten Tag auf
Facebook und bat die Angegriffenen, sich zu melden, „damit wir auch anderen
mitfühlenden Gästen Infos geben können, wie es euch geht“.
Die beiden hatten die Party nach dem Angriff verlassen, meldeten sich dann
aber bei Strehlitz, der einen Screenshot der Nachricht des einen auf
Facebook veröffentlichte: „hallo, hallo, hallo! sorry, fell asleep. sind
mit dicker lippe und blutenden ohren davongekommen. sind körperlich ok, nur
noch in schock.“ Und weiter: „ich bin einfach so fassungslos. homophobia is
real leute.“
## Neue Qualität der Gewalt
Drinnen am Tresen der Wunderbar, neben dem rot blinkenden Weihnachtsbaum,
treten bei Barchef René die Kinnmuskeln hervor, als die Rede auf den
Halloween-Zwischenfall kommt. Ob er wütend ist? „Ja.“ Sein Bar-Kollege
Stephan sagt, dass er mit seinem Mann auf St. Pauli wohnt und die Erfahrung
macht, dass die homophobe Hemmschwelle sinkt. „Aber das Gäste angegriffen
wurden, hatten wir bisher nicht“, sagt Barchef René.
Wunderbar-Eigentümer Axel Strehlitz sagt am Telefon, dass ihm bei der
Geschichte die Galle hochkomme, er fühle sich zurück in die 80er Jahre
gebeamt. Eines der beiden Opfer habe zu ihm gesagt: „Vielleicht waren wir
auch zu provokant angezogen?“ Die beiden seien junge, sehr intelligente
Personen. „Da geht mir die Hutschnur hoch“, poltert Strehlitz.
Axel Strehlitz ist auf dem Kiez kein Nobody, neben der Wunderbar betreibt
er weitere Läden, unter anderem zusammen mit dem ehemaligen FC St.
Pauli-Präsidenten Corny Littmann das futuristische Klubhaus am
Spielbudendenplatz. Strehlitz erzählt, dass sie während der Coronazeit wie
viele andere Bars in Hamburg die Wunderbar-Gastrononie auf die Straße
verlagert hatten. „Damit war schwules Leben plötzlich öffentlich sichtbar.�…
Blöde Bemerkungen habe es vor der Wunderbar seitdem andauernd gegeben.
Strehlitz findet es gut, dass der Staatsschutz jetzt in der Sache
ermittelt. Der Innensenator, erzählt er, habe sich über Zoom mit dem Team
der Wunderbar unterhalten und versprochen, das Thema in der
Innenministerkonferenz anzubringen. Es gab 3 Wochen nach dem Vorfall auch
eine Solidaritätsdemo auf St. Pauli, Motto: „Der Kiez ist bunt“. 200
Menschen versammelten sich vor Strehlitz’ Klubhaus auf der Reeperbahn, bei
eisigen Temperaturen. Die Demo endete vor der Wunderbar.
## Staatsschutz ermittelt
Und doch, findet Strehlitz, läuft derzeit irgendwas schief. Vor dem Café
Keese, auch eine Institution auf der Reeperbahn, sei eine Dragqueen
angegriffen worden. Und nur wenige Meter von der Wunderbar entfernt, vor
der S-Bahn-Station an der Ecke zur Talstraße, seien zwei Wochen vor
Halloween vier Männer „zunächst verbal beleidigt und im weiteren Verlauf
körperlich attackiert“ worden, so der Polizeibericht.
Der Angriff sei offenbar homophob motiviert gewesen. Durch die Faustschläge
hätten zwei der Männer schwere Gesichtsfrakturen erlitten und ins
Krankenhaus eingeliefert werden müssen, die Täter seien geflüchtet.
Auch diesen Fall hat der Staatsschutz übernommen, er läuft wie der Angriff
vor der Wunderbar unter „Hasskriminalität.“ Der Staatsschutz hat gerade gut
zu tun.
11 Jan 2022
## LINKS
[1] https://wunderbar-hamburg.de/
[2] /Schwulenfeindlichkeit-in-Hamburg/!5809559
## AUTOREN
Daniel Wiese
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
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Homophobie
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Hasskriminalität
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