# taz.de -- Streit mit Investor der Karwendelbahn: Eine Bahn auf Irrfahrt | |
> Ein schwäbischer Investor hat sich in die Karwendelbahn in Mittenwald | |
> eingekauft. Seitdem streiten er und die Gemeinde. Eine Provinzposse. | |
Bild: Die Karwendelbahn in einer Aufnahme von 2012 | |
Mittenwald taz | Es ist der Stolz der Mittenwalder Bürgerschaft, dass sie | |
die Karwendelbahn gebaut haben“, sagt Gudrun Rademacher, Chefin des | |
Restaurants „Post“ in der bayerischen Marktgemeinde ganz im Süden | |
Deutschlands. Über ein Jahrzehnt haben sie an dieser Bahn gebaut, die vom | |
Tal rauf zur westlichen Karwendelspitze auf 2.244 Metern Höhe fährt. Trotz | |
vieler Widrigkeiten, Finanznot und einer unsachgemäßen Sprengung wurde sie | |
1967 eröffnet. | |
Und nun? Schon seit Jahren folgt ein Gerichtsprozess auf den nächsten im | |
Kampf um die Bahn. Alles wird immer kleinteiliger, irrwitziger und | |
brutaler. Mittenwalds Bürgermeister Enrico Corongiu weiß gar nicht, wo er | |
anfangen soll, um über den Streit mit dem Investor Wolfgang Reich zu | |
erzählen. „Insgesamt hat es sicher mehr als 40 zivilrechtliche Verfahren | |
gegeben“, sagt der Sozialdemokrat, der seit März 2020 im Rathaus regiert. | |
Die meisten davon hat noch sein Vorgänger von der CSU durchgefochten. | |
Corongiu hat den Unternehmer Reich das letzte Mal vor dem Münchner | |
Oberlandesgericht gesehen. Da wurde über dessen Klage gegen den | |
Bebauungsplan für das Gelände an der Talstation der Bahn geurteilt. | |
Ergebnis, so Corongiu: „Es gab im Plan den Fehler, dass die Zufahrten etwa | |
zu Garagen und Stellplätzen nicht im Text festgesetzt sind.“ Laut Gericht | |
könne das aber bereinigt werden. Wolfgang Reich hingegen sagt der taz: „Der | |
Bebauungsplan wurde für unwirksam erklärt. Er ist ein enteignungsgleicher | |
Vorgang.“ Die Deutungen gehen auseinander, in allen Dingen. | |
Der Unternehmer sagt über den Bürgermeister: „Der soll mich einfach in Ruhe | |
lassen. Ich klage, die klagen, das ist mir egal.“ Wolfgang Reich, 42 Jahre | |
alt, leitet im schwäbischen Heidenheim an der Brenz ein weit verzweigtes | |
Geflecht an Firmen. Unterstützt wird er von seinem Vater Wolfgang Erhard | |
Reich. Der ist Rechtsanwalt und führt auch die Prozesse. | |
## Der Investor verglich einen Lokalreporter mit Goebbels | |
Und da gibt es den Lokaljournalisten C.S., beim Garmisch-Partenkirchner | |
Tagblatt ist er seit vielen Jahren für Mittenwald zuständig. „Gefühlt 2.000 | |
Artikel“, so sagt er, hat er schon über die Causa verfasst. Seinen Namen | |
möchte S. in diesem Zusammenhang nicht in den Medien sehen. Reich meint, S. | |
schreibe parteiisch für den Bürgermeister und gegen ihn. [1][Deswegen | |
verglich er ihn mit dem NS-Propagandaminister Joseph Goebbels, S. sei ein | |
„Hetzer“]. Der Journalist fand, dass man sich auch in seinem Beruf nicht | |
alles gefallen lassen muss – und handelte. | |
Er klagte gegen Reich, so sagt er der taz, „weil ich mich nicht in die Nähe | |
von Massenmördern bringen lasse“. Nach mehreren Prozessen hat nun das | |
Münchner Oberlandesgericht Reich untersagt, den Journalisten in die Nähe | |
von Joseph Goebbels zu stellen. Tut er es dennoch, drohen bis zu 250.000 | |
Euro Ordnungsgeld oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten. S. sagt: „Ich | |
möchte ein kleines Beispiel geben, dass man sich als Journalist wehren kann | |
und nicht alles hinnehmen muss.“ | |
In Mittenwald in den Straßen im alten Dorf mit den bunt bemalten Fassaden | |
ist meist einiges los. Von den Einheimischen erzählt einem so ziemlich | |
jedeR, dass der Bahnbetreiber Wolfgang Reich ja vorbestraft ist. 2014 wurde | |
er rechtskräftig vom Landgericht Stuttgart zu eineinhalb Jahren auf | |
Bewährung verurteilt. Vom Vermögen seiner verschiedenen Firmen hat er sich | |
selbst Privatkredite genehmigt. | |
Die Konsortium AG von Wolfgang Reich, die sich hauptsächlich an | |
Immobilienprojekten beteiligt, kaufte im Jahr 2012 die Mehrheit an der | |
Karwendelbahn. Die Gemeinde Mittenwald hält nur einen Minderheitenanteil. | |
Reich erinnert sich: „Eine Woche nachdem ich hierhergekommen bin, gab es | |
schon den ersten Zoff.“ Immer wieder werfe man ihm „Knüppel zwischen die | |
Beine“. | |
Der ehemalige Bürgermeister reagiert auf eine Anfrage dieser Zeitung nicht. | |
Sie haben über einen Campingplatz gestritten, den Reich auf dem Parkplatz | |
der Bahn errichtet hatte – ohne Genehmigung. An einem Ferienhaus auf dem | |
Grundstück der Bahn hatte Reich einen Freisitz angebaut – illegal und über | |
die Grundstücksgrenze hinweg. Abgebaut wurde der Sitz per gerichtlicher | |
Zwangsvollstreckung, zum Schutz kam die Polizei mit. | |
## Der Bürgermeister darf die Bahn nicht betreten | |
Oben auf der Bergstation baut Wolfgang Reich an einer Bierbrauerei, eine | |
Schnapsbrennerei ist schon fertig. Genehmigungen dafür hat er keine | |
eingeholt. Er sagt, die Brauerei befinde sich im bestehenden Gebäude, da | |
brauche es keine Erlaubnis. Für die Brennerei werde er sich um die | |
zollrechtlichen Erfordernisse kümmern. Gebaut worden sei „spontan“ in der | |
Lockdown-Zeit. Und Reich meint: „Die Brauerei und die Brennerei errichte | |
ich, weil ich es geil finde.“ Gemeinde und Landratsamt | |
Garmisch-Partenkirchen hingegen sind der Ansicht, dass es für beide | |
Projekte einer Genehmigung bedarf. | |
Die BehördenvertreterInnen dürfen nicht mehr mit der Karwendelbahn fahren. | |
Denn Reich hat ein Betretungsverbot für das gesamte Gelände ausgesprochen – | |
gegenüber Bürgermeister Corongiu, den MitarbeiterInnen der Gemeinde sowie | |
denen des Landratsamtes. Enrico Corongiu, 43 Jahre alt, sagt über die | |
1.311 Höhenmeter zwischen Tal und Bergstation: „Ich bin noch ganz gut zu | |
Fuß und komme da auch ohne Bahn rauf.“ | |
Auch der Journalist C.S. hat ein Betretungsverbot. Das nimmt er noch | |
leichter hin als die Vergleiche mit Goebbels. „Als Journalist braucht man | |
ein dickes Fell“, meint er, „aber hier ist die Grenze weit überschritten.�… | |
Gerade in der Zeit von Corona, von Verschwörungsgläubigkeit, zunehmendem | |
Autoritarismus und Rechtsextremismus sind MedienvertreterInnen Ziel | |
verbaler und tätlicher Angriffe. | |
Wolfgang Reich führt über die Talstation seiner Karwendelbahn, große | |
Bergkulisse dahinter. Er meint: „Ich möchte hier eine richtig tolle | |
Gaststätte bauen in den nächsten Jahren.“ Hinten steht das Ferienhaus mit | |
dem abgerissenen Freisitz, daneben will er ein identisches bauen. | |
Schöne Pläne? Bürgermeister Corongiu sagt: „Mag sein. Für uns ist aber | |
relevant, dass dort eine Bergbahn betrieben wird und eine gewisse Anzahl an | |
Parkplätzen zur Verfügung steht.“ Für alles andere sollten Bauvoranfragen | |
und Bauanträge gestellt werden. | |
## „Wir ärgern uns, das beruht auf Gegenseitigkeit“ | |
Im Mai 2019 kam es zu einer Durchsuchung der Heidenheimer Firmenräume durch | |
die Staatsanwaltschaft. Wegen des Tatvorwurfs „Untreue zum Nachteil der | |
Karwendelbahn AG“ wurden Unterlagen beschlagnahmt. Was ist daraus geworden? | |
„Das Verfahren läuft noch“, sagt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft | |
München II. „Das Material ist sehr umfangreich.“ | |
Als Aktiengesellschaft muss die Bahn Hauptversammlungen für die Aktionäre | |
abhalten. Für die Gemeinde ist das Geschehen dort wichtig, die | |
MittenwalderInnen interessiert es, viele von ihnen halten traditionsgemäß | |
eine Aktie. | |
Früher waren die Treffen in München, jetzt sind sie in Berlin. „Von den | |
normalen Bürgern fährt da kaum einer mehr hin“, sagt Corongiu. | |
Die Versammlungen muss man sich in etwa so vorstellen: Die Gemeinde ist | |
Minderheitenaktionär, sie wird dort vom Gemeinderat vertreten und besteht | |
aus einer neutralen Leitung, die nicht aus dem Reich-Lager kommt. Das setzt | |
sie gerichtlich durch. Diese Leitung wird aber nicht reingelassen. | |
Die Folge: Prozesse über Prozesse, ob Treffen rechtmäßig waren oder nicht. | |
Der Vorstand Reich bezeichnete laut Protokoll den damaligen Bürgermeister | |
als „größten Steuerverschwender in Deutschland“. | |
Was passiert in Mittenwald? Will ein maßloser Investor mit maßlosem Ego | |
demonstrieren, dass er alles durchsetzen, dass er eine Gemeinde dominieren | |
kann? Oder hat er gute Ansätze, die aber sabotiert werden? „Der | |
Bürgermeister und der Gemeinderat haben nicht mehr das Sagen, und das | |
verkraften sie nicht“, meint Reich. Und weiter: „Wir ärgern uns, das beruht | |
auf Gegenseitigkeit.“ | |
Findet Bürgermeister Corongiu das nicht alles ziemlich irre? „Ja, das zieht | |
sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Lustig ist es nicht.“ | |
19 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/karwendelbahn-mittenwald-prozess-nazi-… | |
## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
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