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# taz.de -- Poetin für den Bundestag: Kitschige Staatspoesie
> Katrin Göring-Eckardt will eine „Parlamentspoetin“ anheuern. Bitte nicht!
> Gefällige Auftragskunst fürs Grünen-Milieu braucht niemand.
Bild: Groschenromantik: Bundestagsvize Katrin Göring-Eckardt (hier 2011 als Ki…
Berlin taz | Hach, wie schön kann staatstragende Poesie – oder besser
Propaganda – sein. Gut illustriert zum Beispiel an der [1][„Du bist
Deutschland“-Kampagne], mit der die Bertelsmann-Stiftung die verunsicherte
Bevölkerung auf die brutalen Sozialstaatseingriffe der Agenda 2010
einschwören wollte. „Ein Schmetterling kann einen Taifun auslösen“,
dichtete damals Sandra Maischberger. Fußballer, Rapper, Schauspieler,
Prominente trugen Gedichtzeilen vor, deren Tenor war: Hört auf, euch zu
beschweren. „Wie wär’s, wenn du dich mal wieder selbst anfeuerst?“, und
„Behandele dein Land doch wie einen guten Freund, mecker nicht, sondern
biete ihm deine Hilfe an“, hieß es am Ende. Eine Kampagne, die auch heute
zu Recht noch Würgereize auslöst.
Es gibt einen Grund, warum man sich den grotesken neoliberalen Zeitgeist
von damals erneut ins Gedächtnis rufen sollte. Katrin Göring-Eckardt, als
Fraktionsvorsitzende der Bundestags-Grünen eine der damals größten
Hartz-IV-Befürworterinnen ihrer Partei, hat sich mit einem Vorschlag zu
Wort gemeldet. Nachdem man sie im Zuge der Ministerrochade ihrer Partei ins
Bundestagspräsidium abschob, will sie nun [2][eine „Parlamentspoetin“
anheuern]. Das Ziel [3][laut Göring-Eckardt]: „Mit Poesie einen diskursiven
Raum zwischen Parlament & lebendiger Sprache öffnen.“ Heißt übersetzt
vermutlich: Wohlige Auftragskunst im Dienst der Herrschenden und
Politikkitsch.
Vorbild ist Kanada, wo es bereits eine Parlamentspoetin gibt. Der
Vorschlag, eine solche Position im Bundestag zu schaffen, stammt von den
Schriftstellern Mithu Sanyal, Dmitrij Kapitelman und Simone Buchholz. In
der „Stellenbeschreibung“ [4][in der Süddeutschen Zeitung] heißt es, die
entsprechende Amtsträgerin solle unter anderem „politische Debatten und
Strömungen in Poesie oder Prosa gießen.“ Über „Leuchtschriften oder
Lichtinstallationen an der Bundestagsfassade“ solle die Arbeit des Poeten
publiziert werden. Klingt nach billiger Fassadenwerbung, ist es wohl auch.
Neben Kanada dürfte als Inspiration für den Vorschlag wohl die medial viel
beachtete Rede der schwarzen Dichterin Amanda Gorman dienen. Die damals
22-Jährige trug bei Joe Bidens Amtseinführung [5][ein Gedicht vor], das die
woke bubble der US-amerikanischen professionellen Managerklasse in
Entzückung versetzte. Die Harvard- und Privatschule-gestählte Staatspoetin
sprach davon, wie sie als „dünnes schwarzes Mädchen“ und „Nachfahrin von
Sklaven“ davon träumen könne, Präsidentin zu werden. Die zahlreich bei der
Amtseinführungsfeier vertretenen Lobbyisten werden ihre Kampagne in einigen
Jahrzehnten zweifellos unterstützen.
Dass diese Interessengruppen mit viel Geld an Demokratenpolitiker, die gern
ihre Taschen öffnen, die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung,
höhere Mindestlöhne und bessere Arbeitsrechtsstandards verhindern, fällt da
nicht ins Gewicht – obwohl die schwarze Lagerhausarbeiterin bei Amazon
davon ungleich mehr profitieren würde als von kitschigen
Politikinszenierungen, die der abgehängten Arbeiterschaft suggerieren soll,
dass es so etwas wie einen „Amerikanischen Traum“ doch noch gebe. Aber als
Staatspoetin kann man sich sein Publikum halt nicht aussuchen, wenn man
noch was werden will.
## Diversity soll im Mittelpunkt stehen
Die Grünen mit ihrem Hang zu Kitsch würden die unsäglich überhöhten
US-amerikanischen Politikinszenierungen sicher besonders gern nach
Deutschland holen. Während man gemeinsam mit der FDP die Aktienrente und
den 13-Stunden-Arbeitstag durchwinkt, kann ein wenig Groschenromantik bei
der Inszenierung sicher nicht schaden.
Diesen Braten hat die ehemalige Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth schon
2012 gerochen, als sie in der Talkshow von Benjamin von Stuckrad-Barre zu
einer Herzgeste von Göring-Eckardt sagte: „Das ist so eine Mischung aus
Tchibo-Werbung und dem eingebauten Wort zum Sonntag, was die Grünen jetzt
haben. Das ist dämlicher Kitsch. Etwas, das Leute brauchen, die harte
Entscheidungen wie Agenda 2010, Hartz IV und Jugoslawien-Krieg treffen,
aber dann mit Herzchen rumlaufen und ganz zuckersüß lächeln. So ’ne Bagage
habe ich richtig lieb.“ Tchibo-Werbung und Wort zum Sonntag. Das klingt ja
eigentlich schon fast poetisch.
Natürlich soll laut Vorstellung der Initiatoren das Thema Diversity im
Mittelpunkt stehen. Eine türkischstämmige Poetin, danach eine
Schriftstellerin aus Ruanda oder ein syrischer Maler sollen es sein. Eine
„Irritation“ oder einen „Störfaktor“ soll der Parlamentspoet aber auch
darstellen. Fragt sich nur, für wen, wenn die Kohle für dessen Arbeit aus
der Bundestagsverwaltung kommt. Zu erwarten sind wohl eher Gedichte über
die eigene Marginalisierung und die „Querdenker“-Bedrohung als über die
Hartz-IV-Vergangenheit des grünen Spitzenpersonals, Lobbyismus im Bundestag
oder die bedenkliche Überlagerung gesellschaftspolitischer
Modernisierungsanliegen gegenüber Verteilungsfragen.
## Empörung wird man vermissen
Ein Charles Bukowski, der mit derben Begriffen und politisch unkorrekter
Sprache dem Wohlstandsmilieu den Spiegel vorhält, hätte wohl (unabhängig
von seinem Ableben 1994) als „alter weißer Mann“ eh keine Chance. Zum Zuge
dürfte eher die institutionennahe Kulturszene kommen, die ohnehin am besten
weiß, wie man die eigene Arbeit so gestaltet, dass man möglichst viele
Bücher verkauft und Subventionen abgreift. Subversion ist vom
Parlamentspoeten nicht zu befürchten.
Eine kleine Anekdote zum Schluss: Als Wolf Biermann 2014 zum
Mauerfallgedenken in den Bundestag eingeladen wurde und Bundestagspräsident
Norbert Lammert ihn davon abhalten wollte, die Linkspartei (mit zugegeben
reaktionären Argumenten) zu provozieren, antwortete dieser: „Ich habe mir
in der DDR das Reden nicht abgewöhnt und das werde ich hier schon gar nicht
tun.“
11 Jan 2022
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=bq_MRWewv80&t=14s
[2] /!5823515/
[3] https://twitter.com/GoeringEckardt/status/1480562106344906754
[4] https://www.sueddeutsche.de/kultur/parlament-poesie-kraft-der-sprache-kanad…
[5] https://www.youtube.com/watch?v=LZ055ilIiN4
## AUTOREN
Jörg Wimalasena
## TAGS
Bundestag
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Kolumne Die Wahrheit
Katrin Göring-Eckardt
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US-Wahl 2024
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