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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Neue Indies aus den USA
> Das Festival „Unknown Pleasures“ im Kino Arsenal bietet eine Reihe von
> ausgesucht dringlichen amerikanischen Produktionen.
Bild: Still aus „The Sleeping Negro“ (Skinner Myers, USA 2021, 15.1.)
Auch genug von zu viel Netflix glotzen über Weihnachten und Neujahr? Die
zweite Staffel von „Emily in Paris“ schon durch, dieser quietschebunten und
eigentlich wirklich schrecklichen Serie, von der man trotzdem so wenig
lassen kann, wie von billigen Lebkuchen, auch wenn man weiß, dass beides
einem nicht gut tut?
Dann bietet einem die inzwischen bereits zwölfte Ausgabe des [1][„Unknown
Pleasures“-Filmfestival] im Arsenal ein gutes Detoxing, zumindest was das
Audiovisuelle betrifft. Die ausgesucht dringlichen amerikanischen
Independent-Produktionen, die hier noch bis zum 19. Januar gezeigt werden,
sind das perfekte Kontrastprogramm zu Emily und ihren seichten Abenteuern
in Paris.
Hier werden Filme gezeigt, die auch mal mit praktisch null Budget auskommen
oder maximal so viel kosten wie eines dieser grotesken Outfits, mit denen
Emily in ihrer Agentur herumspaziert. Etwa „The Gifts of time“ von Alfred
Guzzetti, der schon seit fast 50 Jahren Experimentalfilme und
Dokumentationen dreht und der weiß, dass er mit seinen Sachen ohnehin kein
Geld verdienen kann.
## Ganz normale Menschen
Oder wie wäre es, anstatt dem ständigen und fast schon hysterischen
Overacting aus „Emily“ einfach mal wieder ganz normale Menschen auf der
Leinwand erleben zu dürfen? Hier bietet sich ganz gut „Down with the
King“von Diego Ongaro an, der von einem Rapper in der Lebenskrise erzählt
und in dem auch ein echter Rapper (der große Freddie Gibbs) die Hauptrolle
spielt. Und in dem auch sonst vor allem Laiendarsteller zu sehen sind.
Von den Themen her geht es bei den „Unknown Pleasures“ sowieso um weit
mehr, als bloß darum, ob einem dieser oder jener Fummel besser steht. „The
Sleeping Negro“ von Skinner Myers beispielsweise ist der bestmögliche
„Black Lives Matter“-Streifen, den man sich gerade so vorstellen kann.
Myers selbst spielt in seinem Debütfilm die Hauptrolle, einen Schwarzen
Mann, dessen Namen man nicht erfährt.
Und von Beginn an, schon als die ersten Verse des wieder schwer in Mode
gekommenen BLM-Vordenkers James Baldwin gedroppt werden, ist klar, dass man
hier ein Werk zu sehen bekommt, das sich die Critical-Whiteness-Anhänger
immer gewünscht haben. Auch wenn – aber das sei wirklich nur ganz am Rande
gesagt – die Netflix-Serie „Dear White People“ zu dem Thema tatsächlich
auch so einiges zu sagen weiß.
Man erlebt hier diesen Schwarzen Mann in den USA, dem es eigentlich ganz
gut zu gehen scheint. Schicke Bude, im Job respektiert, hübsche Freundin,
alles scheint zu passen. Allerdings ist sein Chef natürlich ein Weißer –
scheint anders ja nicht möglich zu sein, nicht nur in den USA.
Der schleimt sich bei ihm ein, schenkt ihm scheinbar einfach mal so ein
handsigniertes Buch von besagtem James Baldwin – den lesen Schwarze ja
schließlich so gerne – und trägt ihm auf, krumme Deals zu machen. Deren
Opfer, so stellt sich am Ende des Films heraus und das ist jetzt eigentlich
kein richtiger Spoiler: natürlich arme Schwarze.
## Der Konflikt eskaliert
Es ist sicherlich alles arg lehrbuch- und auch holzschnittartig in diesem
Film. Hier die Diskussion mit dem besten Freund, der meint: Diskriminierung
Schwarzer, das sei ja wohl eher vorbei. Dann der Streit mit der Freundin,
einer Weißen. Privilegien Weißer, auch das gebe es doch eigentlich gar
nicht, sagt diese. Der Konflikt eskaliert und dann fällt es tatsächlich,
das N-Wort.
Sämtliche BLM-Themen werden heruntergerasselt. Wer bislang in einer Höhle
lebte und von Black Lives Matter nichts gehört hatte, weiß nach „The
Sleeping Negro“ über deren Anliegen bestens Bescheid. Ein Film wie ein
Seminar also. Einerseits. Denn andererseits fesselt er und zieht einen
wirklich rein in sein Thema.
Weil er eine unglaubliche Energie entfaltet. Weil man spürt, dass Myers
große Wut in sich haben muss, ein Anliegen hat, weil man merkt, hier will
jemand unbedingt etwas loswerden. Und die eingestreuten drastischen Szenen,
in denen der Schwarze ohne Namen sein Schicksal mit seinen Vorfahren, den
gefühlt ebenfalls namenlosen Sklaven in den USA, verknüpft sieht, macht den
Film noch stärker.
Die US-Indies, die bei „Unknown Pleasures“ gezeigt werden, stammen aus den
letzten Jahren. Aber da wir es hier ja mit einem richtigen Festival zu tun
haben, gibt es auch eine kleine Werkschau. Eine Hommage an die weitgehend
vergessene Regisseurin Joan Micklin Silver, die erst vor zwei Jahren
gestorben ist. Und von dieser sind auch ein paar abgehangenere Filme zu
sehen. Darunter „Between The Lines“ (1977) und „Crossing Delancey (1988).
7 Jan 2022
## LINKS
[1] https://www.arsenal-berlin.de/kino-arsenal/programm/einzelansicht/article/8…
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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