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# taz.de -- Die Wahrheit: Wölfe mit vergifteter Wurst
> Vielerorts in Deutschland mangelt es immer noch an professioneller und
> einfühlsamer Wolfsberatung. Ein erschreckender Report.
Bild: In Tripsdrill bei Cleebronn ist die einfühlsame Wolfsberatung mit Lecker…
Viele Menschen wissen leider erschreckend wenig über die sogenannte
„Wolfsberatung“. Was macht eine gute Wolfsberatung aus, wie skizziert sich
ihr Aufgabenbereich, und woran erkennt man qualifiziertes
Beratungspersonal?
Für die Klärung dieser Fragen kommt ein Artikel im Kölner Stadtanzeiger
gerade recht. Darin klagt Simon Darscheid, stellvertretender
Landesvorsitzender des Schafzüchterverbands NRW, dass im benachbarten
Rheinland-Pfalz „vier Wolfsberater hauptamtlich beschäftigt“ seien, währe…
Nordrhein-Westfalen nur 70 ehrenamtliche Wolfsberater- und -beraterinnen
habe.
Das klingt zahlenmäßig zunächst gar nicht mal so schlecht. Doch Quantität
ist nicht gleich Qualität, Leidenschaft kompensiert keine Erfahrung. Denn
was Darscheid nicht sagt, wohl um den gewiss hoch engagierten Freiwilligen
nicht auf die Füße zu treten: Ein schlecht oder falsch beratener Wolf ist
wie ein unberatener Wolf.
Manche Experten vertreten sogar die Ansicht, es sei vermutlich besser, ein
Wolf würde gar nicht beraten, als von Laien komplett auf die falsche Spur
geschickt zu werden. Denn wo Wölfe die Resultate suboptimaler Beratungen
verinnerlichen und sie zu Maximen ihres Handelns machen, wird es selbst für
Profis zu einer Herkulesaufgabe, das eingeschliffene Fehlverhalten der
lernfähigen, aber auch sturen Tiere im Nachhinein zu korrigieren.
## Fatale Loyalität
Der Wolfsberater Hanno Kümmerlich (42) aus dem pfälzischen Kreis
Dibbgesheim kann seine Fassungslosigkeit über die konturlose Haltung des
Schafsfunktionärs Darscheid denn auch kaum verbergen: „Seine Loyalität
gegenüber den Hobbyberatern in allen Ehren, doch diese falsch verstandene
Rücksichtnahme kann sich fatal auswirken. Für Mensch und für Tier!“
Als mahnendes Beispiel führt er einen ehrenamtlichen brandenburgischen
Wolfsberater an, der gleich einem ganzen Rudel die Abkürzung über den viel
befahrenen Berliner Ring empfahl, was zu mehreren Toten sowie erheblichen
Sachschäden auf der Autobahn führte.
„Das ist wirklich Wahnsinn“, bestätigt auch Andreas (8). Der mit 84
Zentimeter Schulterhöhe hochgewachsene Wolfsrüde sitzt zusammen mit zwei
anderen Wölfen im Beratungszimmer 7.1 des nordrhein-westfälischen
Wolfsinformationszentrums Schlorgast.
„Ich war mal in Essen-Borbeck bei so einer ehrenamtlichen Wolfstussi.
Eigentlich hatte ich nur eine Frage betreffs Waldkindergärten, und wie sich
da die rechtliche Situation bei gelegentlichen Entnahmen darstellt – also
für mich, für die Erzieherinnen, für den Förster. Da erzählt die mir so
eine völlig unzusammenhängende Schwurbelstory mit Kuchen und Wein und einer
Großmutter. Never again!“ Er schüttelt sich und peitscht derart aufgeregt
mit dem Schwanz, dass er um ein Haar seinen dampfenden Becher mit Tee
(Wolfsmilch-Schafgarbe) vom Tisch fegt.
Unbeirrt fährt er fort: „Dann habe ich zum Glück die Anzeige von Herrn
Kümmerlich im Internet gelesen: ‚Monitoring, Coaching, Therapie: Ihr
persönlicher Wolfsberater berät Sie umfassend und kompetent in sämtlichen
Wolfsangelegenheiten.‘ Auch die Terminvereinbarung ging problemlos online.
Und jetzt sitze ich hier.“
Die beiden anderen nicken. „Herr Kümmerlich ist hochprofessionell. Obwohl
er keine unbequemen Wahrheiten scheut, steht bei ihm der Respekt an erster
Stelle. Das sieht man ja schon allein daran, dass er die unter
‚Wolfsforschern‘ …“ – der noch junge Wolfgang (4) spuckt verächtlich…
blutigen Rehrest auf den Teppich – „… lange Zeit üblichen, unpersönlich…
Kennzeichnungen wie ‚GW123m‘ endlich durch Eigennamen ersetzt hat.“ Das
sind ungewöhnlich viele Worte für den sonst so Schweigsamen. Umso stärker
ist Wolfgangs Lob zu gewichten.
## Moderne Realitäten
„Herrn Kümmerlichs Namensgebungen beweisen ja auch, dass
Diversitätskonzepte und nachhaltige Wolfsberatung keine einander
ausschließenden Kriterien sind“, ergänzt die dreijährige Oluwayemisi und
zollt dem aufrechten Bemühen des Wolfsagenten, auch hier die Realitäten
einer modernen und heterogenen Gesellschaft zu spiegeln, Anerkennung.
Die junge Wölfin mit dem um die Ohren geschlungenen bunten Tuch macht
unmissverständlich klar, warum sie hier ist. „Ein:e gute:r
Wolfsberater:in erzählt eben keine Märchen, sondern berät uns
verlässlich, wenn wir Schwierigkeiten mit elektrischen Schafschutzzäunen
oder Hütehündinnen haben. Da erwarte ich dann schon: Wo sind die
Schwachpunkte, an welcher Stelle komme ich am besten rüber, wem kann ich ne
vergiftete Wurst hinschmeißen und wer ist unbestechlich?“
Hanno Kümmerlich ergreift jetzt behutsam das Wort. „Um eine vertrauensvolle
Atmosphäre zu schaffen, muss natürlich auch das Setting stimmen.“ Er deutet
auf die in warmen Farben bezogenen Sessel, in denen die Wölfe sitzen. An
der Wand hängt das gerahmte Foto eines von der Sonne beschienenen Bergsees,
an dessen Ufer ein Hirschkadaver liegt. „Dann ist uns der folgende
Instrumentenkasten an die Hand gegeben: Information, Zuspruch, Empowerment
– ‚IZE‘ – sind die Grundlagen jeder soliden Wolfsberatung.“
Doch genug der Pressearbeit. Von nun an geht es wieder ausschließlich um
die Fragen seiner Schützlinge, wie korrektes Verhalten am Riss, die
unbezähmbare Wut auf Schafe, Carnivore-Diät, Wildrezepte, Welpenerziehung,
internationale Wolfswanderwege und irgendwas mit Andreas' Mutter.
In Schlorgast wird auch viel geweint – darauf deutet eine große Schachtel
mit Kleenex-Tüchern hin, die vor den Wölfen auf dem Couchtisch steht. Es
ist im Grunde kaum in Worte zu fassen, wie immens wichtig es für die Wölfe
ist, hier einen Safe Space gefunden zu haben, um gemeinsam in der Gruppe
loszulassen.
15 Dec 2021
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Schafe
Natur
Wölfe
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