| # taz.de -- US-Sicherheitsexperte über Ukraine-Streit: „Eine neue Generation… | |
| > Wie Joe Biden und Wladimir Putin über die Ukraine reden, ist überholtes | |
| > Polittheater, findet Andrew Bacevich. | |
| Bild: Zwei mächtige Männer beim theatralischen Videoplausch: Joe Biden und de… | |
| taz am wochenende: Joe Biden und Wladimir Putin haben [1][in dieser Woche | |
| bei einer Videokonferenz] über die Ukraine Drohungen und Warnungen | |
| ausgetauscht. Ist das ein Zeichen für die Rückkehr zur Normalität in den | |
| internationalen Beziehungen? | |
| Andrew Bacevich: Es war vor allem ein theatralisches Ereignis. Putin hat | |
| die russische Position bestätigt, Biden die der USA und der westlichen | |
| Alliierten. Beide haben sich an ihr heimisches Publikum gerichtet. Viel | |
| wichtiger ist, welche Diplomatie hinter den Kulissen stattfindet. Wir | |
| müssen hoffen, dass beide Seiten es schaffen, die Differenzen | |
| auszugleichen, um einen Krieg in der Ukraine zu vermeiden. Der wäre in | |
| niemandes Interesse, auch nicht im russischen. Das gibt Anlass zu Hoffnung | |
| – ist aber keine Garantie. | |
| Welche Druckmittel hat Joe Biden in der Hand? | |
| Die USA und der Westen zeigen sich einig darin, Russland bestrafen zu | |
| wollen, falls es zu einer Militäraktion in der Ukraine käme. Putin ist | |
| kein netter Kerl, aber eine rationale Person. Die russische Ökonomie ist in | |
| das internationale Banksystem integriert. Würde sie daraus verbannt, wie | |
| die USA und die EU drohen, hätte das enorme Konsequenzen für die Russen. | |
| Putin ließ sich 2014 in der Krim-Krise nicht von Sanktionen beeindrucken. | |
| Warum sollte es diesmal anders sein? | |
| Die russischen Argumente in Bezug auf die Krim waren um einiges stärker, | |
| denn diese Region ist lange Zeit ein Teil von Russland gewesen, ihre | |
| strategische [2][Bedeutung für die nationale Sicherheit Russlands] ist | |
| unbestreitbar. Das rechtfertigt keine Militäraktion, aber es macht sie | |
| verständlich. | |
| Sie können Putins Perspektive also nachvollziehen? | |
| Wir Amerikaner sollten uns an unsere eigene Geschichte erinnern. Ich war | |
| jung, als die Kennedy-Regierung 1962 feststellte, dass die Sowjetunion | |
| Raketen nach Kuba bringen wollte. Wir fanden das Eindringen in unsere | |
| Einflusszone komplett inakzeptabel und waren bereit, einen Krieg zu | |
| riskieren. Es war eine Lektion für die Sowjets: Bleibt raus aus der | |
| US-Einflusszone! In Osteuropa und auch im Südchinesischen Meer geht heute | |
| Ähnliches vor sich. Die Russen und die Chinesen haben legitime | |
| Sicherheitsinteressen. | |
| Wo sehen Sie Auswege aus der Krise? | |
| Putin ist laut und deutlich gegen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine. | |
| Aber er verlangt im Augenblick etwas – eine generelle Absage an die | |
| Nato-Osterweiterung –, das er nicht bekommen wird. Das käme einer Vetomacht | |
| für Russland über die Nato-Politik gleich. Die Lösung der Krise wäre ein | |
| Mittelweg: Es muss einerseits Sicherheitsgarantien an Russland geben. | |
| Andererseits muss vermieden werden, dass die Ukraine offen ein Teil der | |
| russischen Einflusssphäre wird. | |
| Joe Bidens Amtsantritt hat hohe Erwartungen geweckt. Wie bewerten Sie ihn | |
| nun, nach elf Monaten als Präsident? | |
| Nicht gut. Aber das liegt auch daran, dass die Erwartungen an ihn | |
| unrealistisch waren. Er hat gesagt: Wählt mich, und alles wird geregelt. | |
| Die Feindseligkeit, die Trump ausgelöst hatte, brachte viele dazu, Bidens | |
| Versprechen ernster zu nehmen, als sie es verdienten. Es ist eines der | |
| schmutzigen kleinen Geheimnisse der amerikanischen Politik, dass wir schon | |
| viel zu lange der falschen Vorstellung anhängen, dass die Entscheidungen, | |
| die im Weißen Haus getroffen werden, über das Schicksal des Planeten | |
| entscheiden. | |
| Biden ist also nicht der mächtigste Mann der Welt? | |
| Er hat gesagt, die USA sind zurück und sitzen wieder am Kopf des Tischs. | |
| Das sind hohe Ansprüche. Wir wären besser dran, würden wir sie abschütteln. | |
| Diese eine vorherrschende Nation gibt es nicht. Nach Ende des Kalten Kriegs | |
| haben wir uns eingeredet, dass die Geschichte zu einem Ende gekommen und | |
| der Präsident der USA für alles zuständig wäre. Aber das war eine Illusion. | |
| Die Amerikaner sind konditioniert worden, zu glauben, dass wir die einzige | |
| Supermacht sind und es verdienen, sie für immer zu bleiben. Vielen fällt es | |
| schwer, intellektuell mit den geopolitischen Veränderungen der letzten 30, | |
| 40 Jahre Schritt zu halten. | |
| In diesem Herbst haben die USA das größte Militärbudget ihrer Geschichte | |
| beschlossen. | |
| Das zeigt, wie sehr sich das politische US-Establishment an die Idee | |
| klammert, dass wir die einzige existierende Supermacht seien. Trotz der | |
| Enttäuschung des Irak-Kriegs und trotz des Scheiterns des Afghanistan | |
| Kriegs, die beide [3][nicht ernsthaft analysiert worden] sind. | |
| Welche Supermächte sehen Sie auf der internationale Bühne? | |
| Die USA gehören sicher dazu. Außerdem China, das heute als fast | |
| gleichrangig zu betrachten ist. Dann folgen die Mächte aus der zweiten | |
| Reihe. Die EU. Russland. Und möglicherweise Japan und Länder wie die | |
| Türkei. Es gibt eine ganze Reihe von Akteuren, deren Interessen zufrieden | |
| gestellt werden müssen, wenn wir so etwas wie internationale Stabilität | |
| haben wollen. | |
| Außenpolitisch hat Joe Biden es mit jeder Menge Krisen zu tun. Neben der | |
| Ukraine war da der chaotische Rückzug aus Afghanistan und die Zunahme der | |
| Spannungen im Südchinesischen Meer. | |
| Der Abzug aus Afghanistan war total vermasselt. Das rechtfertigt | |
| Schuldzuweisungen. Aber ich halte das strategische Scheitern von 20 Jahren | |
| Krieg für wichtiger als das Chaos bei den Evakuierungen. Wir haben | |
| versucht, das Land zu befrieden, eine Nation aufzubauen, Sicherheitskräfte | |
| zu bilden. Und wir sind mit allem gescheitert. Dafür sollten wir nicht | |
| Biden, sondern seinen Vorgängern George W. Bush und Barack Obama | |
| verantwortlich machen. | |
| Und was halten Sie von Bidens Chinapolitik? | |
| China nimmt heute die Rolle einer Großmacht für sich in Anspruch. Daran | |
| müssen wir uns gewöhnen. Als die USA im Zweiten Weltkrieg gegen das | |
| imperiale Japan vorgingen und es besiegten, wurden die USA zur | |
| entscheidenden Macht im Pazifik. Dieser Status war lange unangefochten. Das | |
| hat sich nun geändert, und die USA sind unzufrieden damit, dass eine Nation | |
| in der Region nicht bereit ist, sich ihrer Hegemonie zu beugen. Der | |
| U-Boot-Deal mit Großbritannien und Australien ist dafür ein Zeichen. Aber | |
| ich glaube nicht, dass die Biden-Regierung einen klaren [4][Plan für den | |
| Umgang mit China] hat. | |
| Als Präsidentschaftskandidat hat Joe Biden mit seiner Erfahrung geworben | |
| und damit, dass er sowohl die US-Senatoren als auch Xi Jinping und Wladimir | |
| Putin persönlich kennt. Hilft ihm das jetzt? | |
| Nicht besonders. Zu einem gewissen Grad ist er vielleicht sogar ein | |
| Gefangener seiner Vergangenheit. Man könnte sagen, dass wir eine neue | |
| Generation von Führungskräften brauchen. | |
| Haben die USA diese Verjüngung nicht bereits hinter sich? | |
| Barack Obama hat versucht, ein neuer Präsident zu sein. Aber er war nicht | |
| in der Lage, es umzusetzen. Auf eine andere, seltsame Art wollte auch Trump | |
| diese Person sein – einer, der erklärt, dass der Status quo und das Denken | |
| des außenpolitischen Establishments veraltet sind. Aber er war weder | |
| intellektuell noch charakterlich fähig, eine Alternative zu bieten. Dies | |
| ist eine große Lücke in unserer Politik. Wir haben eine Republikanische | |
| Partei, die keine Prinzipien hat. Sie existiert nur noch, um zu blockieren. | |
| Und wir haben eine Demokratische Partei, die in Fragen der Außenpolitik | |
| weitgehend in der Vergangenheit stecken geblieben ist. Wir brauchen eine | |
| außenpolitische Vision, die den Bedingungen der Ära nach dem Kalten Krieg | |
| entspricht. | |
| Immerhin will Biden eine Politik, die auf den Klimawandel reagiert. | |
| Ja, in der Hinsicht hat er sich [5][klar und leidenschaftlich geäußert]. | |
| Aber er kann über die Klimakrise sagen, was er will – wenn der Kongress | |
| nicht mitmacht, hat er kaum Möglichkeiten, Veränderungen wirklich | |
| durchzusetzen. Als Amerikaner muss ich sagen, dass unsere Bevölkerung nicht | |
| die nötige Ernsthaftigkeit gegenüber dem Klimawandel an den Tag legt. Wir | |
| klammern uns an unseren „Way of Life“, in dessen Mittelpunkt Konsum, eine | |
| große Auswahlmöglichkeit und Flexibilität stehen. Das ist unsere Definition | |
| von Freiheit. | |
| Was müsste geschehen, um diese Idee von Freiheit zu verändern? | |
| Es kann sein, dass das erst passiert, wenn andere in der Welt die Führung | |
| übernehmen. | |
| 11 Dec 2021 | |
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