Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bewegung in Berlin: Durch Grauzonen navigieren
> Am Samstag ruft ein breites Bündnis zu einer Großdemonstration gegen das
> PKK-Verbot auf. Am Donnerstag geht es um Bespitzelung der Polizei.
Bild: Fahnen der syrischen PKK-Schwesterpartei YPG / YPJ während einer Demonst…
Grau ist nicht nur der November, grau sind auch viele moralische
Entscheidungen. Als politisch aktive Person verbringt mensch nicht
unwesentlich viel Zeit damit, entscheiden zu müssen, was moralisch richtig
ist und was nicht.
„Die einen Freiheitskämpfer:innen sind des anderen Terrorist:innen“ –
diese nicht mehr ganz so frische Weisheit wird seit dem kalten Krieg immer
wieder gerne zitiert, wenn von sicherer Wärme des eigenen Zuhauses über die
Legitimität dieser oder jener bewaffneten Widerstandsbewegung diskutiert
wird.
Auch wenn der Satz etwas abgedroschen ist, verdeutlicht er ein moralisches
Dilemma: Auf der einen Seite ist Terrorismus eine hinterhältige, meist auf
unschuldige Zivilisten abzielende Taktik, die zu Recht universell geächtet
ist. Auf der anderen Seite wird der Vorwurf des Terrorismus nur allzu gerne
von autokratischen (und auch weniger autokratischen) Regierungen genutzt,
um ganze Widerstandsbewegungen zu diskreditieren und die eigene Repression
zu rechtfertigen. Wie lässt sich angesichts dieser Widersprüche
transnationale Solidarität aufrechterhalten?
Ein Paradebeispiel dafür ist das Verbot der kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Nachdem der Konflikt der PKK mit dem türkischen Staat Anfang der neunziger
Jahre auch in Deutschland spürbar eskalierte, stufte die BRD die PKK auf
Druck der türkischen Regierung als terroristische Vereinigung ein.
Das Verbot ermöglichte dem deutschen Staat umfassend gegen die Strukturen
der kurdischen Freiheitsbewegung vorzugehen, zahlreiche politische
kurdische Vereine wurden verboten und Aktvist:innen kriminalisiert. Sehr
zur Freude des türkischen Staats. Daran hat sich bis heute – 28 Jahre nach
dem Verbot – wenig geändert.
Dabei ist die Situation der Kurd:innen vor Ort so schlimm wie lange
nicht. In der Türkei ist unter Erdogan eine friedliche Lösung des Konflikts
in weite Ferne gerückt, kurdische Aktivist:innen werden schon aufgrund
von Facebook-Posts verhaftet.
In Rojava, den von der syrischen Schwesterpartei der PKK kontrollierten
Gebieten in Nordsyrien, sterben dutzende Zivilist:innen durch türkische
Drohnenangriffe. Noch 2015 für die heldenhafte Verteidigung der Stadt
Kobane gegen den Islamischen Staat bejubelt, ist von der Bundesregierung
heute keinerlei Unterstützung mehr zu erwarten.
Eine sofortige Aufhebung des Verbotes fordert daher ein Bündnis linker und
kurdischer Gruppierungen, die am Samstag zu einer [1][bundesweiten Demo
unter dem Motto „PKK-Verbot aufheben! Krieg beenden, politische Lösung
fördern!“] mobilisieren (Samstag, 27.11., 12 Uhr, Hermannplatz)
Weniger Probleme mit moralischen Dilemmata hatte offenbar Mark Kennedy,
auch bekannt unter seinem Decknamen Mark Stone. [2][Kennedy war ein Spitzel
der britischen Polizei], der jahrelang vor allem umweltaktivistische und
globalisierungskritische Strukturen in ganz Europa unterwanderte.
[3][Während dieser Zeit führte er mehrere Beziehungen zu Frauen], einige
seiner Undercover-Kollegen zeugten bei ähnlichen Einsätzen sogar mehrere
Kinder. Schon 2010 wurde der Spitzel glücklicherweise von
Aktivist:innen enttarnt, restlos aufgeklärt ist der Fall bis heute
nicht – besonders das Ausmaß der Beteiligung deutscher Behörden liegt noch
im Dunkeln.
Wie ist es, wenn sich alles an einem Menschen, den man jahrelang vertrauen
und schätzen gelernt hat, als komplette Lüge herausstellt?
Der in Berlin lebende Aktivist Jason Kirkpatrick war damals eng mit dem
Spitzel befreundet. Bis heute kämpft er für eine lückenlose Aufklärung des
Falls und berichtet in einer [4][Online-Veranstaltung von Ende Gelände
Berlin über die nicht ganz unberechtigte Paranoia polizeilicher
Unterwanderung] (Donnerstag, 25. 11., 19 Uhr, [5][online])
Dass der Staat romantische Beziehungen nutzt, um an Informationen seiner
vermeintlichen Gegner:innen zu kommen, lässt sich auch als besonders
perfide Auswüchse patriarchaler Unterdrückung verstehen. Doch auch ohne
Polizeispitzel ist Gewalt für viele Frauen, Trans- und nichtbinäre Personen
trauriger Alltag.
Erst im September [6][verbrannte sich Ella], eine geflüchtete Transfrau aus
dem Iran, öffentlich, weil sie die Diskriminierung der Gesellschaft und der
Behörden nicht mehr aushalten konnte. [7][Weitgehend unbemerkt hingegen ist
die Zahl der Gewaltdelikte in Partnerschaften während der Pandemie rapide
gestiegen.]
Anlässlich des internationalen Tages der Beseitigung von Gewalt gegen
Frauen* (bzw. FLINTA* – Personen), findet am Donnerstag einen [8][Demo
unter dem Motto „We take the Power“] in Marzahn statt. Cis-Männer sind
nicht erwünscht und werden gebeten, sich im Rahmen anderer Aktionen für die
Sache einzusetzen. (Donnerstag, 25. 11., 18 Uhr, S-Bahnhof Marzahn)
24 Nov 2021
## LINKS
[1] https://verbotaufheben.noblogs.org/aufruf/
[2] /Verdeckter-Ermittler-in-linker-Szene/!5127867
[3] /Partnerin-von-Polizeispitzel-im-Interview/!5023784
[4] https://verbotaufheben.noblogs.org/aufruf/
[5] https://nextcloud.plattform-n.org/apps/bbb/b/iZWMrZCtSWwpyJEF
[6] /Oeffentlicher-Suizid-einer-TransFrau/!5802383
[7] /Gewalt-gegen-Frauen-in-der-Pandemie/!5817391
[8] https://antifa-nordost.org/12227/25-nov-2021-demo-in-marzahn-international-…
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
taz Plan
Polizei
Kolumne Bewegung
Coronaleugner
PKK
Gülen-Bewegung
Türkei
Polizei Berlin
Polizei
## ARTIKEL ZUM THEMA
Urteil in Straßburg: Teilsieg türkischer Jurist:innen
Der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte hat die Inhaftierung von
Mitgliedern der türkischen Justiz für rechtswidrig erklärt.
Pizzabäcker Mahmut Güneş aus Bochum: In der Türkei verurteilt
Der Deutsch-Kurde Mahmut Güneş soll Propaganda für die kurdische
Arbeiterpartei PKK betrieben haben. Das Urteil: fast drei Jahre Haft.
Kurdische Symbole in Deutschland: Rechtslage? Mal so, mal so
Ob das Zeigen von Symbolen der kurdischen Milizen YPG und YPJ gestattet
ist, entscheidet die Polizei nach Gutdünken. Verboten ist nur die PKK.
Britischer Spitzel in Deutschland: Wer deckte Polizeispion Kennedy?
Seit Jahren kämpft Jason Kirkpatrick um Aufklärung: Was wollte der
Ermittler in seinem Haus? Jetzt zieht er vor Gericht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.