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# taz.de -- Urteil in Straßburg: Teilsieg türkischer Jurist:innen
> Der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte hat die Inhaftierung von
> Mitgliedern der türkischen Justiz für rechtswidrig erklärt.
Bild: Während des Putschversuchs in der Türkei am 15. Juli 2016
Berlin taz | Die Türkei hat die Rechte von 427 inhaftierten türkischen
Richter:innen und Staatsanwält:innen verletzt. Dies hat der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg am Dienstag
entschieden. Die Betroffenen erhalten je eine Entschädigung von (nur) 5.000
Euro.
Nach dem Putschversuch vom Juli 2016, für den die Türkei den in den USA
lebenden Prediger Fetullah Gülen verantwortlich macht, wurde etwa ein
Viertel der türkischen [1][Richter:innen und Staatsanwält:innen
entlassen]: mehr als 4.000 Personen. Einige hundert wurden auch inhaftiert.
Ihnen wird die Mitgliedschaft in der angeblichen Gülen-Terrororganisation
FETÖ vorgeworfen. Dabei kamen auch schwarze Listen zum Einsatz, die bereits
vor dem Putschversuch vorbereitet worden waren.
Das konservative Gülen-Netzwerk war ursprünglich mit dem türkischen
Staatschef Recep Tayyip Erdoğan (AKP) verbündet, ab 2012 hatte jedoch ein
Machtkampf begonnen, den die Regierungspartei nach dem gescheiterten
Militärputsch für sich entschied. Viele Mitglieder der türkischen Justiz
waren tatsächlich Gülenist:innen.
Im konkreten Fall hatten 427 türkische Richter:innen und
Staatsanwält:innen den Straßburger Gerichtshof angerufen. Auch sie
waren 2016 unter Terrorverdacht verhaftet und die meisten von ihnen
inzwischen verurteilt worden.
## Fast alle Urteile sind noch nicht rechtskräftig
Die türkischen Urteile gegen die Richter:innen und
Staatsanwält:innen sind fast alle noch nicht rechtskräftig. Die
Betroffenen warten noch auf das Urteil der zweiten Instanz. Sie sitzen wohl
überwiegend immer noch in Haft.
Die türkische Regierung hatte geltend gemacht, dass eine Klage in Straßburg
noch gar nicht möglich sei, weil zunächst der Ausgang des türkischen
Rechtswegs abgewartet werden müsse. Diesen Einwand wies der Straßburger
Gerichtshof jedoch zurück. Es sei klar, mit welchen Entscheidungen die
Betroffenen rechnen müssen.
Es war absehbar, dass die Massenklage in Straßburg gute Chancen haben
würde. In drei Piloturteilen zu einzelnen Richtern (Hakan Baş, Alparslan
Altan und Erdal Tercan) hatte der EGMR ab April 2019 deutlich gemacht, dass
die Inhaftierung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstieß,
weil sie „ohne vernünftigen Verdacht“ erfolgte. Ihnen konnte keine konkrete
Verwicklung in den Putsch nachgewiesen werden.
Im jetzigen Verfahren ging es vor allem um die Frage, ob die 427
Richter:innen und Staatsanwält:innen in Untersuchungshaft genommen
werden durften. Eigentlich schützt das türkische Recht die Mitglieder der
Justiz vor solchen Eingriffen. Doch es gibt eine Ausnahme, wenn sie auf
frischer Tat ertappt werden. Auf diese Ausnahme berief sich die türkische
Regierung. Die Mitgliedschaft in der Gülen-Terrororganisation FETÖ sei eine
andauernde Tat, die bis zum Zeitpunkt der Verhaftung währte.
Diese Logik wies der EGMR nun als abwegig zurück. Die Mitgliedschaft in
einer Organisation könne keine „in flagranti“-Tat sein. Die Inhaftierung
der 427 Jurist:innen sei daher schon nach türkischem Recht illegal und
verletzte das Freiheitsrecht der Betroffenen. Auf die Prüfung anderer
Vorwürfe verzichtete der Gerichtshof.
Beim Straßburger Gerichtshof sind noch über 500 ähnliche Klagen von
türkischen Richter:innen und Staatsanwält:innen anhängig. Gegen das
Urteil der siebenköpfigen EGMR-Kammer kann die türkische Regierung noch die
17-köpfige Große Kammer des EGMR anrufen.
23 Nov 2021
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## AUTOREN
Christian Rath
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Gülen-Bewegung
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