# taz.de -- Betrugsverdacht bei Großprojekt: Schmiergelder bei Stuttgart 21? | |
> Der Enthüller des Wirecard-Skandals berichtet von möglicher Korruption | |
> bei Stuttgart 21. Die Deutsche Bahn weist die Vorwürfe zurück. | |
Bild: Umstrittenes Großprojekt Stuttgart 21: Die Kosten explodieren, mögliche… | |
Stuttgart taz | [1][Stuttgart 21] macht Fortschritte. Messen lässt sich | |
dies an immer längeren Umwegen, die Reisende vom Bahnhofsvorplatz zu den | |
Bahnsteigen des alten Kopfbahnhofs nehmen müssen. Auf dem Weg um die 400 | |
Meter lange Baugrube des neuen Tiefbahnhofs hat die Deutsche Bahn (DB) | |
Sitzbänke aufgestellt, von denen die teuerste Baustelle Deutschlands | |
einsehbar ist. Ein Blick in einen gigantischen Korruptionssumpf, ist einem | |
Bericht der Financial Times (FT) zu glauben. | |
Demnach seien die bislang veranschlagten Kosten von 8,2 Milliarden Euro für | |
den neuen Stuttgarter Bahnknoten durch Missmanagement und Korruption | |
aufgebläht worden, beruft sich die britische Zeitung auf zwei Whistleblower | |
aus dem [2][Staatskonzern Deutsche Bahn]. Dem Bericht aus der vergangenen | |
Woche zufolge sollen beide die Compliance-Abteilung des Unternehmens im | |
Jahr 2016 mehrfach informiert haben, dass Vorgesetzte überflüssige Arbeiten | |
in Auftrag gegeben und dafür vermutlich Schmiergelder erhalten haben. Durch | |
das Fehlverhalten sei ein Schaden von 600 Millionen Euro entstanden, | |
rechnete einer der Hinweisgeber den internen Korruptionsbekämpfern vor. Die | |
Bahn habe zwar in 2016 eine Untersuchung eingeleitet, aber nach mehr als | |
einem Jahr ohne Erkenntnisse beendet. Die Whistleblower seien schikaniert, | |
einer Ende 2016 gefeuert worden. | |
Auf taz-Anfrage weist die Bahn den Bericht „als nicht zutreffend“ zurück. | |
Der Vorwurf, man sei den Hinweisen nicht ernsthaft nachgegangen, sei | |
„völlig falsch“. Alles sei umfassend geprüft, Rechtsverstöße seien nicht | |
festgestellt worden. Bei der Projektgesellschaft von Stuttgart 21 (PSU) sei | |
ein Kontrollsystem implementiert, das „maximalen Schutz vor Korruption und | |
Wirtschaftskriminalität im Projekt Stuttgart 21 sicherstellt“. Dabei sei | |
auch die Wirtschaftsprüfgesellschaft PwC eingebunden. | |
Wer hat recht? FT-Autor Olaf Storbeck ist preisgekrönter | |
Investigativjournalist. Er deckte mit dem britischen FT-Kollegen Dan McCrum | |
den Wirecard-Skandal auf. Nach Storbecks Informanten ging in Stuttgart etwa | |
die Verlegung einer U-Bahn-Haltestelle, die dem Bau im Weg war, zulasten | |
der Bahn. Der Stadt Stuttgart wurde – anders als gesetzlich möglich – | |
nichts dafür berechnet. Angeblich, um keine schlafenden Hunde zu wecken. | |
Nach taz-Recherchen geht es um die Haltestelle „Staatsgalerie“, die von | |
2014 bis Sommer 2020 unter Regie der Städtischen Straßenbahngesellschaft | |
(SSB) umgebaut wurde. 100 Millionen Euro stellte die SSB der Bahn dafür in | |
Rechnung – so wie es eine 2012 geschlossene Kreuzungsvereinbarung als | |
S21-Folgemaßnahme vorsah. Dies bestätigt ein Stadtsprecher. Allerdings ist | |
der Wortlaut der Vereinbarung geheim. Wie auch der Vertrag zu einer | |
Stadtbahntunnel-Verlegung nördlich des Tiefbahnhofs von 2011. Über beide | |
Verträge hatten die Partner zuvor jahrelang gestritten. Wobei sich die SSB | |
durchsetzte, wie häppchenweise durchsickerte. So übernahm die Bahn etwa | |
Mehrkosten von 22,4 Millionen Euro für einen SSB-Sonderwunsch, die | |
Ausschleifung einer neuen Stadtbahntrasse aus dem Tunnel. Obwohl dies keine | |
S21-Folgemaßnahme war. | |
## Seit Baubeginn ständig umgeplant | |
Von dem Deal profitierte auch die Bahn. Offenbar wurde der Baukostenanteil | |
der SSB zumindest auf Papier größer, als er tatsächlich war. Wodurch sich | |
Bundesmittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) abrufen | |
ließen. Auf diese Weise soll die Bahn rund 140 Millionen von insgesamt 200 | |
Millionen Euro Stadtbahn-Umbaukosten „refinanziert“ haben. Die | |
GVFG-Millionen, zweckgebunden für Ausbau des Nahverkehrs, fehlten dafür | |
woanders im Land. | |
Nachlesen lassen sich die Finanzflüsse nicht, da die Bahn ihre PSU von der | |
Offenlegung der Jahresabschlüsse befreit. Der Konzernabschluss verrät nur, | |
dass die Gesellschaft Ende 2020 rund 2,2 Millionen Euro Eigenkapital hatte. | |
Plausibel erscheint der FT-Vorwurf der Misswirtschaft. Auch weil das | |
Projekt seit Baubeginn im Februar 2010 dutzendfach umgeplant worden war. | |
Zuletzt im Juni, als in einem Teilstück des 58 Kilometer langen | |
Tunnelsystems den Tunnelbauern eine Straßenbrücke im Weg stand. Ihre | |
Gründungspfähle, die mitten in die Röhre ragen würden, sollten abgesägt, | |
die Reststücke in die Außenschale des Tunnels betoniert werden. Doch die | |
Geologie im Neckartal verlangte komplexere Lösungen, die nur eine Baufirma | |
bundesweit beherrscht. Sie erhielt den Zuschlag. Zu welchen Kosten, | |
verschweigt die PSU. | |
Man prüfe derzeit, ob sich aus dem in der FT geschilderten Sachverhalt ein | |
Anfangsverdacht für strafrechtlich relevantes Verhalten ergibt, sagt eine | |
Sprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Für Ergebnisse sei es noch zu | |
früh. | |
Rasche [3][Aufklärung forderte bereits Baden-Württembergs Verkehrsminister | |
Winfried Hermann]. Die Projektpartner haben der Bahn bereits 1,55 | |
Milliarden Euro für den Tiefbahnhof überwiesen. „Deshalb haben wir auch | |
einen Anspruch auf Information“, so der Grünen-Politiker. Dem will die Bahn | |
nachkommen und „allen berechtigen Stellen die Ergebnisse der Untersuchungen | |
mit maximaler Transparenz mitteilen“. Dafür bietet sich der 9. Dezember an, | |
der Welt-Anti-Korruptions-Tag. | |
2 Dec 2021 | |
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[1] /Zehn-Jahre-Stuttgart-21/!5657742 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Lessat | |
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