| # taz.de -- Medien in Österreich: Das böse Geld | |
| > Die Zeitschrift „Tagebuch“ in Österreich finanziert sich vor allem aus | |
| > Verkäufen, um unabhängig zu sein. Nach zwei Jahren wird aber das Geld | |
| > knapp. | |
| Bild: Die Zeitschrift hat nicht nur Österreich im Blick: hier die deutsche Lin… | |
| Journalismus soll unabhängig sein. Doch in Österreich beeinflusste [1][die | |
| Bundesregierung den Medienmarkt] durch Werbeanzeigen zugunsten der | |
| Boulevardzeitungen. Das ergab eine [2][Analyse der Forschungsgesellschaft | |
| Medienhaus Wien], die der Medienforscher Andy Kaltenbrunner leitete. „Es | |
| provoziert auch Misstrauen beim Publikum und letztlich Schwierigkeiten für | |
| Journalismus mit einem Selbstverständnis als kritische vierte Gewalt“, | |
| urteilt er auf taz-Anfrage. | |
| Aber es gibt auch kleinere Medien in Österreich, die bewusst auf Anzeigen | |
| verzichten, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren. „Eine ebenso interessante | |
| wie herausfordernde Option“, sagt Kaltenbrunner. Herausfordernd, denn Geld | |
| kostet Journalismus trotzdem. Die kleinen Medien werben deshalb besonders | |
| um Abonnent*innen, wie [3][die linke Monatszeitschrift Tagebuch]. | |
| Sie wurde im Oktober 2019, kurz vor der Pandemie, gegründet und | |
| beansprucht, die einzige dezidiert linke Zeitschrift in Österreich zu sein. | |
| „Wir haben aber keinen abgeriegelten Begriff von links“, erklärt Samuel | |
| Stuhlpfarrer. Er ist Verleger, Herausgeber und Leiter der Redaktion des | |
| Tagebuchs. Neben ihm gibt es noch fünf weitere Redaktionsmitglieder und | |
| mehrere freie Autor*innen, die für das Magazin schreiben. Links bedeute, | |
| eine Perspektive von unten und die gegebenen Verhältnisse einzuordnen. | |
| Im Heft zeigt sich das zwischen bunten handgemalten Illustrationen | |
| beispielsweise durch eine eindrucksvolle Reportage über Fischer in | |
| Pakistan, welche selbst nie Fisch bekommen. Eine andere erzählt die | |
| Geschichten mehrerer Häftlinge in Zeiten von Corona. Oder die | |
| Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl legt dar, wie [4][sich die | |
| Konservativen in Österreich] nach Sebastian Kurz entwickeln könnten. Die | |
| Texte lesen sich angenehm bodenständig und in den Interviews wird geduzt. | |
| „Zumindest dort, wo wir die Menschen vorher schon kennen. Wir machen das | |
| transparent und wandeln es nicht im Nachhinein in ein Sie um“, bestätigt | |
| Stuhlpfarrer. | |
| ## Die Reichweite fehlt | |
| Das Magazin setzt sich nicht nur mit Österreich auseinander. Die aktuelle | |
| Titelgeschichte analysiert [5][die Wahlniederlage der deutschen | |
| Linkspartei]. Zum Ende hin stellt das Tagebuch Romane und Sachbücher vor, | |
| die sich unter anderem mit Arbeit, Revolution und Rechten beschäftigen. | |
| Auffällig ist: Im ganzen Magazin sind fünf Anzeigen zu finden. Beim | |
| Tagebuch sollen maximal 10 Prozent des wirtschaftlichen Gesamtergebnisses | |
| von Inseraten kommen. | |
| „Wir verkaufen Inserate, aber sie sollen nicht das Geschäft tragen“, | |
| erklärt Samuel Stuhlpfarrer. Darum könne das Tagebuch nein sagen, wenn ein | |
| Angebot an der eigenen Glaubwürdigkeit kratze. Statt der Werbeanzeigen | |
| sollen Leser*innen das Tagebuch finanzieren. Im kleinen Österreich sei | |
| das besonders schwer, so Andy Kaltenbrunner, die notwendige Reichweite | |
| herzustellen, um den teuren Teil der Herstellung zu finanzieren: | |
| journalistische Geschichten und das Know-how. Ein einzelnes Heft kostet den | |
| Verlag bei niedriger Auflage mehr als bei einer hohen, „die Economy of | |
| Scale ist da gnadenlos“, sagt Kaltenbrunner. Das merkt auch das Tagebuch | |
| mit einer aktuellen Auflage von 5.000 Exemplaren. | |
| Es war geplant, das Magazin auch in Buchhandlungen oder an Bahnhöfen zu | |
| verkaufen. Doch die Coronapandemie erschwere das der jungen Zeitschrift. | |
| Statt des Bahnhofsverkaufs konzentriert sie sich auf Abonnent*innen. Aber | |
| aktuell seien es noch zu wenige, darum startete das Tagebuch im November | |
| die Kampagne „Mehr werden“. | |
| ## Der große Sprungt bleibt noch aus | |
| Ein ähnliches Beispiel ist das anzeigenfreie Dossier in Österreich. Ein | |
| [6][Investigativportal, das Anfang 2021] ebenfalls mit den Finanzen kämpfte | |
| und auch eine Kampagne startete, um sein eigenes Bestehen zu sichern. Darin | |
| warb das Portal um 1.000 neue Mitglieder – nach eigenen Angaben mit Erfolg. | |
| [7][Die Crowdfunding-Seite] zeigt ein Diagramm, das im Monat der Kampagne | |
| von 2.159 auf 5.030 Mitglieder springt. | |
| Einen solchen Erfolg kann Samuel Stuhlpfarrer für die Tagebuch-Kampagne | |
| noch nicht vorzeigen. Es laufe bisher „durchwachsen“, sagt er etwas | |
| zerknirscht. Die genaue Anzahl würden sie generell nicht veröffentlichen. | |
| Stetig kämen aber neue Abonnent*innen zu den bisher mehr als tausend | |
| hinzu, aber sie hätten sich einen größeren Sprung erhofft, der sei bisher | |
| allerdings ausgeblieben. Dafür unterstützt nun [8][eine Autorin | |
| überraschend die junge Zeitschrift]. Raphaela Edelbauer gewann im November | |
| den Österreichischen Buchpreis und will die Hälfte des 20.000-Euro-Gewinns | |
| dem Tagebuch überweisen. | |
| 2 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Medienexpertin-zu-Oesterreichs-Presse/!5782400 | |
| [2] http://www.mhw.at/cgi-bin/page.pl?id=383 | |
| [3] https://www.horizont.at/medien/news/start-der-neuen-monatszeitschrift-tageb… | |
| [4] /FPOe-und-Medien-in-Oesterreich/!5359297 | |
| [5] https://tagebuch.at/politik/fuer-die-linke-spur-zu-langsam/ | |
| [6] https://www.derstandard.de/story/2000125762750/rechercheplattform-dossier-k… | |
| [7] https://crowdfunding.dossier.at/ | |
| [8] https://twitter.com/TAGEBUCHat/status/1460879977499570184 | |
| ## AUTOREN | |
| David Muschenich | |
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