# taz.de -- Roman von Ex-“Wiener“-Chefredakteur: „Es war kindlich und har… | |
> Michael Hopp schreibt in seinem autobiografischen Roman „Mann auf der | |
> Couch“ über die Achterbahnfahrt der deutschsprachigen | |
> Zeitschriftengeschichte. | |
Bild: Hopp erzählt in seinem Roman vom Leben als Journalist in den Zeitströme… | |
taz: Herr Hopp, das Magazin Tempo sei eine „Insel der Möglichkeiten“ | |
gewesen, hat vor einigen Jahren ein früherer Redakteur gesagt – weil | |
Autoren dort Freiheiten hatten, die bei keinem anderen überregionalen | |
General-Interest-Titel denkbar gewesen wären. In Ihrem autobiografischen | |
Roman „Mann auf der Couch“ schreiben Sie nun, dass während Ihrer Zeit bei | |
Tempo zwischen 1985 und 1987 dort teilweise erfundene oder zumindest stark | |
übertriebene Geschichten erschienen seien – wie auch vorher beim Wiener, wo | |
Sie Chefredakteur waren. Was für Texte waren das? | |
Michael Hopp: Die Artikel hatten immer einen wahren Kern, aber ich kann | |
mich zum Beispiel an eine Reportage von mir über das Rotlichtmilieu in Wien | |
erinnern – da war viel Fantasie und Improvisiertes dabei. Bei Tempo waren | |
viele Grenzgänger, der Bekannteste ist vielleicht Helge Timmerberg, heute | |
einer der erfolgreichsten Reiseschriftsteller. Er hat sich aus diesem | |
Reportagestil ins mehr oder weniger Fiktionale weiterentwickelt. | |
Gab es damals in der Medienöffentlichkeit Debatten über das Überdehnen der | |
Wahrheit? | |
Da sind wir immer ganz gut durchgekommen. In Österreich gab es zu der Zeit | |
kaum Kontrollinstanzen, in Hamburg bei Tempo war es heikler. Da gab es | |
schon mal Ärger wegen eines erfundenen Leserbriefs. | |
In welche Kategorie fallen die Übertreibungen und Erfindungen: Kummer oder | |
Relotius? | |
Weder noch. Es war letztlich kindlich und harmlos, man hat damit niemandem | |
wehgetan. Ich hab immer gesagt, ich war auf der Donald-Duck-Reporterschule. | |
Bei Tempo hat die Karriere zahlreicher heute bekannter Schriftsteller | |
begonnen: [1][Maxim Biller und Christian Kracht etwa]. Sie selbst dagegen | |
schreiben über die Artikel aus Ihrer Wiener- und Tempo-Zeit, dass Sie davon | |
„heute keine zehn Zeilen mehr“ ertrügen. Warum? | |
Damals wurde es als Qualität angesehen, dass ich relativ schnell übers | |
Wochenende eine Trend- oder Sexgeschichte schreiben konnte. Über | |
Masturbationsrituale, sogenannte neue Väter, solche Sachen. Natürlich hält | |
das heute keiner Betrachtung mehr stand. Das Postulieren von Dingen, das | |
Ausrufen von Trends, und das über 12.000 Zeichen durchdeklinieren – das | |
führt halt zu einer gewissen Verflachung eines Textes. Und damals war es | |
auch noch gefragt, das Geschriebene mit dem eigenen Erleben zu belegen. Das | |
führt am Ende zu einem ganz eigenartigen Genre. | |
In Ihrem Roman sind zahlreiche Ihrer Artikel nachgedruckt, auch Frühwerke | |
für linke österreichische Blätter wie das Neue Forum. Haben Sie ein großes | |
Privatarchiv? | |
Ich habe vieles aufgehoben. Ich muss mein Zeitschriftenarchiv immer wieder | |
ausdünnen, weil man damit bei Umzügen zu kämpfen hat. Das ist ähnlich wie | |
mit meiner Plattensammlung. Von den großen Magazinen der 1980er Jahre – i-D | |
und so weiter – habe ich aber relativ wenig weggeworfen. Von den | |
Mitarbeitern meiner Agentur steigt keiner mehr in den Keller, um in den | |
Layouts des amerikanischen Rolling Stone von 1983 zu blättern. Aber ich | |
mache das schon noch. Ich finde da immer noch Inspirationen, und das ist | |
auch ein Umfeld, in dem ich mich wohlfühle. | |
„Mann auf der Couch“ ist auch die Beschreibung einer langen | |
Trinkerkarriere. So schreiben Sie, dass Sie in Ihrer Zeit bei TV Movie, wo | |
Sie in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre Chefredakteur waren, Angst davor | |
hatten, vormittags Dokumente zu unterzeichnen, weil das Zittern der Hände | |
schwer zu übersehen war. Wie ist die Redaktion mit Ihrem Alkoholismus | |
umgegangen? | |
Das Gefährliche war ja damals, dass du mit dem Habitus lange Zeit überhaupt | |
nicht aufgefallen bist. Man hatte fast das Gefühl, überall stand eine Uhr, | |
und am Freitag wurde dann spätestens um zwei das erste Bier aufgemacht, da | |
hatte niemand was dagegen. Da ist man dann von einem Raum zum anderen | |
gegangen, und wenn du dich als Chefredakteur mit deinem Bier dazu gestellt | |
hast, warst du der entspannte und nette Typ. Das war schon ungut, wenn du | |
ein Problem hast und sozial immer wieder in deinem Verhalten bestärkt | |
wirst. | |
Gibt es diese, wenn man so will, Trinkkultur im Journalismus noch? | |
Dass heute noch bei der Arbeit getrunken wird – das glaube ich nicht. Ich | |
selber lebe seit 23 Jahren abstinent und habe irgendwie das Gefühl, das | |
machen alle heute. [2][Ich weiß immer nicht, ob ich wirklich Alkoholiker | |
war.] Komischerweise habe ich keine Suchtherapie gebraucht, davon | |
wegzukommen. Nur eine neue Frau. | |
Sie sind 20 Jahre zur Psychoanalyse gegangen. War das in den Redaktionen | |
bekannt? | |
Im Kollegenkreis habe ich das nicht raushängen lassen. Ich habe während der | |
Zeit auch kein einziges Mal darüber geschrieben. Nicht nur nicht | |
öffentlich. Es gibt auch keine Tagebucheinträge, keine Notizen. Das ist | |
vielleicht auch der Grund dafür, warum das Buch so eruptiv ist. | |
Sie schreiben, dass Sie ohne die Psychoanalyse nicht in der Lage gewesen | |
wäre, Ihre Agentur aufzubauen. Die Therapie sei aber wenig hilfreich | |
gewesen, was die Bewältigung konkreter täglicher Arbeitskonflikte angeht. | |
Inwiefern? | |
Ich neige dazu, dass ich sehr viel Persönliches in den Job hineintrage und | |
bei der Arbeit verführbar bin für persönliche Konflikte. Wenn eine Art | |
Directorin Dinge macht, die mir nicht gefallen, und ich mich nicht | |
durchsetzen kann, dann schlafe ich schlecht und beschäftigt mich das bis in | |
die Träume. Wenn ich in der Analyse solche Arbeitskonflikte angesprochen | |
habe, hat das auf die Analytikerin immer etwas komisch oder fremd gewirkt. | |
In Deutschland ist die Sensibilität für die Neurosen, die in den | |
Medienberufen wüten, nicht besonders ausgeprägt, das scheint mir in den | |
USA anders zu sein. | |
Ein großes Thema das Buchs ist die Angst, im Alter zu verarmen. Manche | |
Leute werden das für Übertreibung halten, weil sie glauben, dass jemand, | |
der bei mehr als einem halben Dutzend Magazinen Chefredakteur war, | |
ausgesorgt hat. | |
Ich habe sechs Kinder. 2000 musste ich privat Insolvenz anmelden, unter | |
anderem wegen des Kaufs einer Schrottimmobilie. Meine Altersversorgung ist | |
dabei draufgegangen. Ich habe tatsächlich keine Lösung für die nächsten 15, | |
20 Jahre. Ich arbeite weiter und bekomme jetzt schon eine kleine Rente. | |
Aber wenn ich krank werde und nicht mehr arbeiten kann, werde ich mir auch | |
nicht mehr den Platz leisten können für meine 7.000 Schallplatten und mein | |
Zeitschriftenarchiv. Mit so etwas beschäftigt man sich natürlich. Wer will | |
den Kram schon. | |
15 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
René Martens | |
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