# taz.de -- Wahlfarce in Nicaragua: Keine Presse, keine Wahl | |
> Am Sonntag wird in Nicaragua gewählt. Aber die Opposition gegen | |
> Staatschef Ortega ist verboten, ihre Kandidat*innen sitzen im | |
> Gefängnis. | |
Bild: Alter und neuer Präsident Nicaraguas? Daniel Ortega mit Ehefrau Rosario … | |
WIEN taz | Carlos Girón von der honduranischen Tageszeitung El Heraldo | |
staunte nicht schlecht, als er vergangene Woche an der Grenzstation El | |
Guasaule an der Einreise nach Nicaragua gehindert wurde. Nach Überprüfung | |
seiner Papiere holte ein Grenzbeamter seinen Vorgesetzten. „Eure | |
Anwesenheit ist hier unerwünscht!“, ließ er den Reporter und dessen | |
Fotografen wissen: „Raus mit euch!“ | |
Frédéric Saliba, der seit zehn Jahren das Büro der französischen | |
Tageszeitung Le Monde in Mexiko leitet, durfte gar nicht ins Flugzeug | |
steigen obwohl er alle Covid-Vorschriften erfüllte. „Aus migratorischen | |
Gründen“, sei sein Ticket storniert worden. Ähnlich erging es auch anderen | |
internationalen Journalisten, die über die Wahlen vom 7. November in | |
Nicaragua berichten wollten. Auch internationale Beobachter werden nicht | |
ins Land gelassen. | |
An der dritten Wiederwahl in Folge von Daniel Ortega von der | |
Sandinistischen Befreiungsbewegung (FSLN) besteht kein Zweifel. Die fünf | |
Parteien, die außerdem noch auf dem Stimmzettel stehen, dienen nur als | |
Staffage. Die Namen der Kandidaten sind in Nicaragua fast niemandem | |
geläufig. Einer ist erst drei Wochen vor seiner Ernennung erstmals mit | |
seiner Partei in Kontakt gekommen. | |
Die echten Oppositionsparteien wurden im letzten halben Jahr verboten, ihre | |
Anführer [1][eingesperrt]. Ende letzten Jahres ließ Ortega ein | |
Gesetzespaket durch das Parlament peitschen, das für störungsfreie Wahlen | |
sorgen soll. Wie in Wladimir Putins Russland erklärt ein Gesetz alle | |
Personen, Vereine und Organisationen, die Gelder aus dem Ausland erhalten, | |
zu „ausländischen Agenten“. Sie sind vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen. | |
## Ex-Weggefährten Ortegas hinter Gittern | |
Und ein „Souveränitätsgesetz“ erklärt Personen, die an staatsfeindlichen | |
Handlungen, also etwa Demonstrationen gegen das Regime, teilgenommen haben, | |
zu Verrätern und entkleidet sie ihrer bürgerlichen Rechte. Auch sie dürfen | |
also nicht bei Wahlen antreten. | |
Die aus Parteien und Bewegungen von links der Mitte bis weit rechts | |
bestehende Opposition hatte auf einer Reform des schlagseitigen Wahlrechts | |
und internationaler Beobachtung der Wahlen bestanden. Um gegen den | |
ehemaligen Revolutionskommandanten Ortega, der alle Institutionen für | |
seinen Wahlkampf missbrauchen kann und fast alle Medien kontrolliert, eine | |
Chance zu haben, wollte man in Vorwahlen einen gemeinsamen Kandidaten | |
ermitteln. | |
Beste Chancen hatte die Journalistin und Medienunternehmerin [2][Cristiana | |
Chamorro]. Als Tochter der Ex-Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro, die | |
1990 mit einem breiten Bündnis Ortega geschlagen hatte, und Herausgeberin | |
der einzigen verbliebenen Tageszeitung La Prensa, führte sie die Umfragen | |
an. Anfang Juni setzte sie die Polizei unter Hausarrest. | |
Tage danach wanderten sechs weitere Vorkandidaten und die Führungsriege der | |
sozialdemokratischen Partei Unamos hinter Gitter, darunter Ortegas | |
ehemalige Weggefährten wie die legendäre Comandante Dora María Téllez und | |
Hugo Torres, der 1974 mit einer Geiselnahme Daniel Ortega aus | |
siebenjähriger Kerkerhaft befreit hatte. Insgesamt 39 führende | |
Oppositionelle wurde so aus dem Verkehr gezogen und teils wochenlang | |
isoliert. | |
## 78 Prozent halten Wahl für illegitim | |
Man wirft ihnen rückwirkend Verstoß gegen das Souveränitätsgesetz vor, weil | |
sie sich 2018 an einem Aufstand gegen Ortega beteiligt oder diesen begrüßt | |
haben sollen. Drei Parteien, die eine Wahlallianz schließen wollten, wurden | |
aufgelöst. In einem [3][Interview mit der taz] sprach der Schriftsteller | |
Sergio Ramírez kürzlich von „Geiseln“. | |
In einem [4][öffentlichen Statement] hat eine Gruppe von renommierten | |
Menschenrechtsorganisationen und Bewegungen der Zivilgesellschaft die | |
Isolierung des Ortega-Regimes gefordert: „In einer Autokratie mit | |
politischen Gefangenen und Exilierten, wo keine Menschenrechte gelten und | |
Straflosigkeit herrscht, gibt es keine Voraussetzungen für freie, faire und | |
transparente Wahlen, die zum Aufbau eines demokratischen Staates beitragen | |
können“. | |
Laut einer Umfrage des bekannten CID Gallup-Instituts betrachten 78 Prozent | |
der Wahlberechtigten in Nicaragua die Wahlen als illegitim. Nur knapp sechs | |
Prozent wollen deshalb sicher abstimmen gehen. Die Polizei bereitet sich | |
schon auf Proteste nach der Stimmauszählung vor. | |
6 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Verhaftung-Oppositioneller-in-Nicaragua/!5778636 | |
[2] /Oppositionspolitikerin-in-Nicaragua/!5776289 | |
[3] /Autor-Sergio-Ramirez-ueber-Nicaragua/!5805122 | |
[4] https://issuu.com/nicaraguapronunciamientoddhh/docs/es_pronunciamento_final… | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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