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# taz.de -- Coronakrise in Österreich: Mit Trotteln reden bringt nichts
> Muss man mit Impfskeptikern einen herrschaftsfreien Dialog führen? Eher
> nicht. Österreich zeigt, dass klare Ansagen eher zum Ziel führen.
Bild: Viele begrüßen die klaren Regeln: Impfaktion in einem Wiener Bordell am…
In die Fernsehsendungen wurden jetzt monatelang Leute eingeladen, die die
Anti-Pandemie-Maßnahmen anprangern durften, die erklärten, warum sie sich
nicht impfen lassen, die irgendwelches Voodoo-Zeug verbreiteten, und
gelegentlich wurde auch der eine oder die andere völlig übergeschnappte
Querdenker*in hofiert. In denselben Fernsehsendungen wird jetzt ob der
explodierenden Infektionszahlen gefragt: Wie konnte das nur passieren? Na,
warum wohl?
Mit traurigen Augen wird auch gerne die Frage in den Raum gestellt, wie wir
denn die böse Polarisierung wegbekommen könnten. Da wird dann für das
große, empathische Gespräch plädiert, dass man sich doch bestimmt auf
einen Mittelweg einigen könnte, wenn nur alle lieb miteinander ins
Gespräch kommen, und so ein Mittelweg zwischen Vernunft und
Vertrotteltheit, zwischen Wahrheit und Irrsinn, das müsste doch eine
kuschelige Sache sein.
Die österreichische Psychiaterin Heidi Kastner, die gerade ein Buch über
„Dummheit“ geschrieben hat, antwortete etwas unpopulär auf die Frage, wie
denn die beiden verhärteten Seiten miteinander „ins Gespräch“ kommen
könnten: „Das muss man ja auch nicht.“ Entgeistert erwiderten die
Interviewer des Schweizer Tages-Anzeigers mit der Frage: „Wie bitte?“
Kastner: „Zweckbefreite und absehbar ergebnislose Kombinationen zweier
Monologe“ spare man sich besser.
In Österreich haben wir in einigen Bundesländern mittlerweile Inzidenzen
von um die 1.000 (!), eine Katastrophe „droht“ nicht mehr, wir sind
mittendrin. Der Kollaps des Gesundheitssystems kann sich in einigen
Regionen nicht mehr abwenden lassen. Menschen werden sterben, weil sie kein
Krankenhausbett mehr bekommen, sie werden in Notzelten und am
Krankenhausflur liegen oder unnötig sterben, weil ihr Krebs nicht behandelt
werden kann.
Das Bergamo des Herbst 2021 heißt Salzburg und Oberösterreich. Aber noch
immer verweigern die zuständigen Politiker*innen ihre Arbeit und
„beobachten“ die Zahlen, so wie die Wildhüter im Nationalpark Geparde
beobachten – ohne viel zu stören.
Die Illusion, dass doch [1][jeder Irrsinn noch mit Dialog und Vernunft
bearbeitbar sei], führt zwangsläufig zu Mutlosigkeit und
Entscheidungsschwäche, und die implizite Annahme, dass notwendige Maßnahmen
die „Polarisierten“ noch mehr reizen würden, hat als logische Folge, dass
das Nötige nicht getan wird, was aber komischerweise nicht zur Beruhigung
der Erregten beiträgt.
Eine allgemeine Impfpflicht hat man nicht gewagt, aus Angst, dies würde die
Impfunwilligen nur weiter aufbringen. Zu den seltsamen Eigenschaften der
menschlichen Psychologie zählt aber auch, dass die Menschen offenbar klare
Maßnahmen ewigen Hängepartien vorziehen. Als jetzt verordnet wurde,
[2][dass Ungeimpfte praktisch keinen Zutritt zu Freizeit- und
Kulturangeboten mehr haben], ließen sich viele Menschen einfach impfen und
in TV-Interviews sagten nicht wenige, sie begrüßten, dass es jetzt eine
klare Regel gibt. Man fragt sich zwar, warum sie es nicht ohne diese Regeln
getan haben, aber was weiß man schon.
Teil dieser mirakulösen Psychologie ist wohl auch, dass Menschen sich
vergaloppieren, quasi auf Bäume raufklettern und nicht mehr wissen, wie sie
da runterkommen sollen, ohne das Gesicht vor den anderen und sich selbst zu
verlieren. Wenn ihnen eine klare Regelung eine Räuberleiter baut und statt
– wie angenommen – erbost, sind sie dann erstaunlicherweise dankbar.
Womöglich zeigt sich in dieser Pandemie nur eine generelle Pathologie
demokratischer Politik, die in den letzten dreißig Jahren um sich griff.
Die Akteure am „Feld Politik“ haben verlernt, markant zu handeln. Vor den
Populisten und Extremisten hat diese Mitte vornehmlich Angst, versucht zu
beschwichtigen. Herumbalancieren auf irgendeinem Mittelweg.
Die Unentschiedenheit der Normalen trifft auf die Besessenheit der Spinner,
schlechte Kombi. Die „Unentschiedenheit“ ist aber vielleicht sowieso – ga…
generell – eine Pathologie unseres Zeitalters.
14 Nov 2021
## LINKS
[1] https://www.deutschlandfunkkultur.de/diskussionskultur-mit-rechten-reden-nu…
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/2g-oesterreich-101.html
## AUTOREN
Robert Misik
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Kolumne Der rote Faden
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