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# taz.de -- Bremer Integrationswoche: Die Kraft des Vorurteils
> In der Show „Bremens Super-Gastarbeiter:innen“ geht es um Klischees.
> Toll, wie da der Schwachsinn, den man so denkt, rausgekitzelt wird.
Bild: Prima integrativer Preis bei den Kartoffeln
Nicht so toll an der [1][„Bremer Integrationswoche“] ist nur ihr
beflissen-administrativer Name. Der klingt irreführenderweise so, als würde
hier eine siebentägige Assimilationsleistungsschau abgehalten oder ein
Wettbewerb im Integriert- und Integrativsein.
Was selbstverständlich gar nicht der Fall ist.
Und selbstverständlich gelingt es den Macher*innen, auch diesen Umstand
der borussomanen Anstrengerei restlos zu beseitigen. Indem sie ihn
aufgreifen: Im Kulturzentrum Lagerhaus im Herzen des Viertels, das
sozusagen Bremens Kreuzberg ist, nur vor dem Mauerfall, hat das am
vergangenen Samstag Fatma Express erledigt, die von der famosen [2][Saher
Khanaqa-Kükelhahn] gegründete migrantische Improtheatergruppe aus dem
Bürgerzentrum Neue Vahr (bekannt aus Buch und Film). Das Ensemble hat
tadschikische, kurdische, sächsische Wurzeln, Menschen mit globalen
Identitäten, und es sind sogar Spieler*innen aus dem Nachbarstadtteil
willkommen.
„Bremens Super-Gastarbeiter:innen“ heißt die Show. Der Eintritt ist für
Deutsche frei, steht in der Ankündigung, für alle anderen nach
nachvollziehbaren Kriterien gestaffelt. Einen Aufschlag von 5 Euro müsse
die türkische/kurdische/arabische Community zahlen, schließlich stellt sie
die Mehrheit der Migrant:innenszene, und logo ist das Ironie, aber
vielleicht reicht die flagrante Ungerechtigkeit, für einen Moment die
Zornesröte ins Gesicht zu treiben und das Blut in Wallung zu bringen.
Schließlich geht es um das Spiel mit Stereotypen und als Prämie einen Sack
Kartoffeln. Der ist in Zellophan gehüllt auf einem Tischchen drapiert. Eine
würdige Trophäe: „Was ist der Mensch ohne Kartoffeln?“, hat einst Johannes
Bobrowski die Essenz des Germanentums in einer schlichten Frage erfasst.
## Der Ossi gewinnt
Manche spielen wirklich toll. Boris zum Beispiel hat eine krasse
Bühnenpräsenz. Seine Mutter sei Serbin, sein Vater Slowene und er selbst
ein Jugo!, bekennt er im roten T-Shirt mit aufgedrucktem Tito-Kopf in
Schwarz-Weiß. Seit 50 Jahren lebt er in Deutschland, hat noch immer keinen
Pass, haha!, der Moderator deutet an, er könnte vielleicht noch einen
drauflegen auf den Sack Kartoffeln, falls er den denn gewinnen sollte.
Tut er nicht: Um darstellerisches Vermögen geht es bei Improtheater nie so
sehr. Es geht darum, mit dem Saal, der brodelnd voll ist, Bilder im Kopf zu
triggern, den Schwachsinn, den man wechselseitig von sich denkt,
rauszukitzeln. Laut sein, schrill sein, sich ansteckend kaputtlachen können
über die debilsten Karikaturen seiner selbst, sind dafür die
Kernkompetenzen. Und das Publikum muss mitarbeiten: Es hat, wenn jemand
sich verhaspelt, die Hassparole „Lern Deutsch!“ gen Bühne zu schleudern und
stellt so das Scheitern der Integrationsbemühungen amtlich fest: Du bist
schon mal raus aus dem Rennen um den Sack Kartoffeln!
Und wer gewinnt? Wir alle, lautet die kitschige Antwort, denn Integration
ist … Aber für Kitsch ist hier kein Platz und Sieger des Abends wird
selbstverständlich – der Ossi.
13 Nov 2021
## LINKS
[1] https://welcometobremen.de/integrationswoche/
[2] /Demokratie-zum-Mitmachen/!5781982
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Großraumdisco
Integration
Bremen
Gastarbeiter
Türkei
Roman
Krise der Demokratie
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