| # taz.de -- Netflix-Film „Seitenwechsel – Passing“: Ein Konstrukt, das tr… | |
| > Im Drama „Passing“ treffen sich zwei Freundinnen im New York der 20er | |
| > Jahre. Der Rassismus im Land erschwert das Wiedersehen. | |
| Bild: Ruth Negga als Clare (links) und Tessa Thompson als Irene im Film „Seit… | |
| Für eine/n Couchpotato ist „Passing“ ein schwer zu beschreibender Film. | |
| Rebecca Halls [1][Regiedebüt auf Netflix], dessen deutscher Titel | |
| „Seitenwechsel“ lautet, ist subtil und komplex und trotz seiner langsamen | |
| Bilder in Schwarz-Weiß alles andere als ein Film, den man durchhängend auf | |
| der Couch anschauen kann. | |
| Er beginnt mit schwingenden Röcken und klappernden Absätzen auf dem | |
| Pflaster einer Einkaufsstraße. Gesprächsfetzen werden im Vorbeigehen – im | |
| passing – mitgehört. Der Schauplatz ist New York der 1920er Jahre. Zwei | |
| Mütter betreten ein Spielzeugladen, sofort nehmen sie eine | |
| Pickaninny-Puppe, eine rassistische Karikatur, in die Hand. „Meine Tochter | |
| wird es lieben. Zum Glück kennt sie außer dem Personal keine farbigen | |
| Menschen“, sagt die eine. | |
| Die Geschichte wird dann durch eine launische (oder erratische) | |
| Freundschaft zwischen zwei Frauen mit afroamerikanischen Wurzeln ausgelöst. | |
| Irene Redford (Tessa Thompson) kommt in denselben Laden und sucht nach | |
| einem Buch für ihren Sohn. Sie hat eine helle Hautfarbe, die es ihr | |
| ermöglicht, als weiße Frau durchzugehen. | |
| In einem Tearoom trifft sie Clare Kendry (Ruth Negga), eine Jugendfreundin | |
| mit peroxidblondem Haar, von der sie sich entfremdet hat. Beide bewegen | |
| sich auf [2][völlig unterschiedliche Weise durch die segregierten USA]. | |
| Kendry führt ihr tägliches Leben als weiße Frau, die mit einem | |
| rassistischen Banker verheiratet ist, der nichts von ihrer schwarzen | |
| Herkunft weiß. | |
| ## Reibungen und Fragen | |
| Redford ist mit einem wohlhabenden schwarzen Arzt verheiratet und ein | |
| Drehpunkt der emanzipierten schwarzen Gemeinschaft in Harlem. Kendry | |
| versucht, die Freundschaft wieder aufleben zu lassen und Zugang zur | |
| schwarzen Kultur in den Goldenen Zwanzigern zu bekommen. Redford hält sie | |
| erst auf Distanz, doch die Art und Weise, wie ihr charismatischer Freund | |
| durch alle Konventionen tanzt, wirft unweigerlich Fragen und Reibungen auf. | |
| „Passing“ ist eine Adaption des gleichnamigen Buches von Nella Larsen, eine | |
| der am wenigsten bekannten Schriftstellerinnen der Harlem Renaissance. Die | |
| hübsche und [3][langsame Netflix-Produktion] ist eine selten erfolgreiche | |
| Buchverfilmung. Larsen zeichnete sich durch die Aufdeckung | |
| unterschiedlicher Machtverhältnisse aus, die hinter dem polierten, | |
| glamourösen Lebensstil der 1920er Jahre steckten. | |
| In der Familie Redford gibt es Sexismus in der Ehe und Klassenunterschiede, | |
| etwa wenn die Familie die Haushälterin eher herablassend behandelt. Scharfe | |
| und direkte Dialoge über Rassismus werden mit heiteren Bildern eingerahmt. | |
| Das ruhige Schwarz-Weiß-Bild gibt dem phänomenalen Schauspiel von Thompson | |
| und Negga, die beide für den [4][Oscar nominiert werden könnten], | |
| zusätzlichen Raum. | |
| ## Rassismus ist keine Gefühlssache | |
| Am ergreifendsten und mit Winderkennungswert aus eigener familiärer | |
| Erfahrung sind die Streitereien zwischen den Redfords darüber, wie sie ihre | |
| jungen Söhne auf eine rassistische Welt vorbereiten sollten. Auch Kendry | |
| kommt letztlich nicht um die schlummernde Gewalt herum, die ausschlaggebend | |
| dafür ist, dass das soziale Konstrukt der Hautfarbe bestimmt, wie man sich | |
| im Leben bewegen kann. | |
| „Passing“ ist stilistisch ansprechend und schafft es, große Themen auf | |
| selbstverständliche Weise zu verbinden. Das ist nicht leicht, aber frisch | |
| in einer Zeit, in der der Rassismus gegen Schwarze oft als Gefühlssache | |
| oder nur als ein Klassenunterschied abgetan wird. | |
| Wenn es beim Weihnachtsessen zu Diskussionen kommen sollte, fällt es mit | |
| diesem Filmtipp in der Tasche vielleicht leichter, sich zurückzulehnen und | |
| zu entspannen. | |
| 15 Nov 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Thriller-Blood-Red-Sky-bei-Netflix/!5781960 | |
| [2] /Studie-zu-Diskriminierung-beim-Film/!5757299 | |
| [3] /Serie-Maid-auf-Netflix/!5809310 | |
| [4] https://www.nytimes.com/2021/10/07/movies/2022-oscar-contenders.html | |
| ## AUTOREN | |
| Dominique van Varsseveld | |
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