# taz.de -- Der Hausbesuch: Schon das Wort triggert | |
> Studentenverbindungen sind gestrig, konservativ und eher rechts. Oder? Zu | |
> Besuch bei zwei jungen Menschen in Köln, die das etwas anders sehen. | |
Bild: „Déka“ lautet der Biername von René, Lara steht die „Taufe“ noc… | |
Lara Werner, 25, und René Schaffrina, 28, sind Mitglieder bei der einzigen | |
Studentenverbindung Kölns, die Männer und Frauen aufnimmt. So ganz ohne | |
Tradition geht es dort aber auch nicht. | |
Draußen: Nahe der Kölner Universität steht der weiß verputzte Neubau. Vor | |
einigen Jahren hat das Haus einen Architekturpreis gewonnen. Zur Straße hin | |
wird auf einem vergoldeten Schild an die Geschichte des Grundstücks | |
erinnert. Einst gehörte es der jüdischen Familie Wolff. Kurz vor dem | |
Zweiten Weltkrieg wurden sie gezwungen, es zu verkaufen. 1965 kaufte ein | |
Mitglied der Verbindung das Grundstück samt Haus. Seitdem ist es im Besitz | |
der 1919 gegründeten Kölner Studentenverbindung. Deren genauer Name soll | |
hier nicht stehen – so bestimmten es die Mitglieder in der Vollversammlung. | |
Weil sich zwei Personen zeigen, die für sich sprechen, nicht für die ganze | |
Gruppe. | |
Drinnen: „Wenn man hier zu dritt ist, wird das schon eng“, sagt René in der | |
Küche. Mehr Platz gibt es dann ein paar Schritte weiter. Da steht man in | |
einem großen, leeren Zimmer. Ein abgedecktes Klavier steht an der Wand, auf | |
der anderen Seite gestapelte Stühle und eine Tischtennisplatte. „Für die | |
Verbindungsveranstaltungen. Und zum Bierpong spielen“, sagt René. Durch | |
eine bewegliche Trennwand ist ein Wohnzimmer an den Raum angeschlossen – | |
mit roter Couch, Fernseher, leeren Bierflaschen und Tabakresten. | |
Unten und oben: Insgesamt sechs Studentinnen und Studenten wohnen im Haus, | |
drei Frauen, drei Männer. In den oberen beiden Stockwerken sind ihre | |
Zimmer. „Aber eigentlich bin ich meistens im Wohnzimmer“, sagt René. Und | |
auch ganz unten, im kalten und etwas modrig riechenden Partykeller. Der | |
heißt „Jonathan“, nach der Lieblingskneipe des Alten Herren, der den | |
Partykeller gesponsert hat. An die Decke wurden in schwarzer Farbe die | |
sogenannten Biernamen der Mitglieder hingepinselt, also die Spitznamen, mit | |
denen sie innerhalb der Verbindung bekannt sind. Diese werden bei der | |
„Taufe“ verliehen. | |
Taufe: Bald erhält auch Lara ihren Namen. Sie ist erst ein knappes Jahr in | |
der Verbindung. „Ich darf nicht wissen, wann die Taufe ist, und kenne auch | |
meinen Biernamen noch nicht“, sagt sie. „Aber ein bisschen Angst habe ich | |
schon, eigentlich mag ich keine Überraschungen.“ Die Taufe ist eine Art | |
Initiation, durch die man als vollwertiges und aktives Mitglied der | |
Verbindung anerkannt wird. „Dabei wird schon meistens viel getrunken“, sagt | |
René. Sein Biername lautet Déka. Deka, griechisch für zehn. Weil er | |
Zehnkämpfer ist. Das Ende so einer Taufparty sei immer gleich, erzählt | |
René: „Man setzt sich in eine Badewanne und erhält sein Taufgetränk. | |
Während man das trinkt, lesen die anderen selbstgeschriebene Gedichte, in | |
denen all die verworfenen Biernamen vorkommen. Das letzte Gedicht verrät | |
dann den richtigen Namen – und das Getränk muss leer sein.“ | |
## Sport wichtiger als Politik | |
Traditionen: Die Kölner Verbindung nimmt Frauen auf, pflegt sonst aber | |
ähnliche Traditionen wie andere Verbindungen. Sie veranstalten sogenannte | |
„Kneipen“ bei sich im Haus. Das sind Events, bei denen elegant gekleidet | |
deutsches Liedgut gesungen und viel Bier getrunken wird. „Wir diskutieren, | |
welche Lieder noch aktuell sind – manche sind mehr als hundert Jahre alt | |
und gehen einfach nicht mehr“, sagt Lara. Und sie sagt auch: „Tradition ist | |
häufig nur ein Begriff für schlechte Angewohnheiten.“ Aber solche | |
Veranstaltungen seien auch der „kleinste gemeinsame Nenner“, sagt René. | |
„Als Verbindung zu unseren alten Herren und Damen kann man sich die Kneipen | |
nicht wegdenken.“ Die älteren Mitglieder subventionieren mit ihren | |
Beiträgen nämlich die Mieten der aktuellen Hausbewohner und | |
Hausbewohnerinnen. | |
Verbindung: Klar, das Wort „Verbindung“ triggere schnell was, sagt Lara. | |
„Man muss sich dann schon erklären, aber wenn die sehen, dass ich als Frau | |
Mitglied bin, dann sind die meisten interessiert.“ Bei ihnen gehe es nicht | |
um Nationalismus und Deutschtümelei, sondern um Sport, Gemeinschaft und | |
auch generationsübergreifende Unterstützung. „Man hat politischen Freiraum. | |
Man sollte [1][nicht nach rechts abdriften], aber sonst ist alles möglich“, | |
sagt René. Sport sei hier wichtiger als Politik. | |
Feiern: Das Partyleben reizte René an der Verbindung. „Mein erster Eindruck | |
war an sich ganz cool.“ Seine damalige Freundin wollte nach Aachen ziehen, | |
deshalb bewarb er sich für ein Studium in ihrer Nähe, Versicherungswesen in | |
Köln. „Dann habe ich ungefähr 70 Bewerbungen für Zimmer losgeschickt. Zu | |
drei Gesprächen wurde ich eingeladen und eines davon war hier.“ Beim | |
Massencasting habe ihn ein vergammeltes Cocktailglas überzeugt. „Als ich | |
das gesehen habe, wusste ich: Hier kann man Spaß haben.“ Nach 10 Tagen ist | |
er eingetreten, normalerweise hat man ein Semester Zeit, sich zu | |
entscheiden. | |
Frauenbonus: Bei Lara war das anders, ihr bester Freund ist Mitglied einer | |
Verbindung. „Dort habe ich das immer sehr positiv wahrgenommen. Vor zwei | |
Jahren habe ich dort auf einer Party jemanden aus meiner jetzigen | |
Verbindung kennengelernt.“ Ein Casting, so wie René, musste sie nicht | |
machen. Sie entschied sich auch dagegen, in das Verbindungshaus | |
einzuziehen, ihre eigene Wohnung wollte sie nicht aufgeben. Lara ist | |
externes Mitglied, kommt in ihrer Freizeit vorbei, das ist möglich. „Ich | |
habe aber auch das Gefühl, ich hatte einen Frauenbonus.“ Sie glaubt, dass | |
die Verbindung wegen der langen Zeit, in der Frauen ausgeschlossen wurden, | |
etwas wiedergutmachen wolle. | |
## Probieren, anders zu sein | |
Gemischt: „Wir sind die einzige Verbindung hier in Köln, wo Frauen und | |
Männer aufgenommen werden“, sagt René. „Seit 2007 geht das so. Dafür | |
brauchte es damals eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Es war keine knappe | |
Entscheidung.“ Vielleicht 10 Prozent der Mitglieder seien dann aber doch | |
ausgetreten. Die Hälfte der Bevölkerung dürfe dafür jetzt eintreten. Das | |
sichere dem Verein, der sich durch die Spenden alter Damen und Herren | |
finanziert, das Überleben. „Ich finde, ein Austritt ist eine ziemlich | |
bockige Reaktion auf eine solche Entscheidung“, sagt Lara. „Davon fühle ich | |
mich schon auch angegriffen. Da werde ich aufgrund eines | |
Geschlechtsmerkmals ausgeschlossen, ich kann mir ja nicht aussuchen, wie | |
ich zur Welt komme.“ | |
Männerbünde: Wenn Lara von Erfahrungen in der Verbindungsszene berichtet, | |
lacht sie mitunter auf. „Bei anderen Verbindungen hatte ich schon | |
Situationen, wo ich in wenigen Minuten von drei Männern angesprochen wurde, | |
obwohl ich klar gemacht habe, dass kein Interesse besteht“, erzählt sie. | |
Was sie sich fragt: Ob da der Fehler bei den Verbindungen liegt, oder im | |
Gesellschaftlichen? „Vielleicht tritt das, was eh schon da ist, hier | |
nochmal konzentrierter auf.“ René ist da deutlich weniger diplomatisch: | |
„Frauen sind dort manchmal schon Ausstellungsstücke. Wir probieren, anders | |
zu sein.“ | |
Zugang: „Man muss studieren, dann kann man hier einziehen“, sagt René. Oder | |
wie Lara einfach eintreten. „Wo es so ein bisschen clasht, ist mit anderen | |
kulturellen Hintergründen“, sagt sie. „Wir haben dann schon eine gewisse | |
Erwartungshaltung, dass man mitmachen muss bei den Veranstaltungen, wo dann | |
auch deutsche Lieder gesungen werden.“ Sie selbst findet die Singerei auch | |
eher ungewohnt, obwohl sie zuvor schon ähnliche Erfahrungen beim Musikkorps | |
in ihrer ostwestfälischen Heimat machte. „Ich hätte bei einem | |
vergleichbaren Modell in Spanien oder irgendeinem anderen Land auch meine | |
Probleme. Man sollte sich darauf einlassen, und nicht nur einziehen, weil | |
die Miete so schön günstig ist.“ Ihr deutsches Lieblingslied: „Die Gedank… | |
sind frei. | |
Familie und Hobby: René ist wegen der Gemeinschaft eingetreten. „Ich kann | |
ohne Gesellschaft nicht existieren. 26 Jahre habe ich in einem | |
Mehrgenerationenhaushalt gewohnt, das krieg ich nicht so einfach raus aus | |
mir.“ Er kommt aus der Nähe von Herford. Die Verbindung sei seine | |
„Zweitfamilie“. Lara findet „den vorbehaltlosen Support hier super. Als i… | |
das erste Mal hier war, wurde mir direkt ein Praktikumsplatz angeboten“, | |
sagt sie. „Aber ich fühle mich nicht krass verpflichtet.“ | |
21 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Marius Ochs | |
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