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# taz.de -- Klimapolitik nach der COP26: Wenn das System kippt
> Glasgow markiert das Ende der bisherigen Klimapolitik. Das heißt: hin zu
> nicht-staatlichen Akteuren, weg von staatlichen Nicht-Akteuren.
Bild: Ihre Sprache ist bei den Mächtigen angekommen: Klimaaktivistinnen in Gla…
Glasgow taz | Nigel Topping hatte seine Worte bewusst gewählt: „Das hier
ist der Systemwandel, nicht der Klimawandel“ („system change, not climate
change“), sagte der britische Klimagesandte am „Energietag“ der Konferenz
in Glasgow. Und definierte mal eben die alte antikapitalistische Forderung
in einen Werbespruch für den grünen Kapitalismus um. Er sprach offiziell
über die Ankündigung der Finanzindustrie, etwa 40 Prozent des globalen
Anlagevermögens demnächst für den Klimaschutz einzusetzen. Aber indirekt
formulierte Topping zwei weitere Ansprüche: Die Slogans der KritikerInnen
für sich zu reklamieren. Und klarzumachen: In Glasgow hat ein neues Kapitel
der Klimapolitik begonnen.
Die Konferenz COP26 hat gezeigt: Zumindest die Sprache der Fridays for
Future ist bei den Mächtigen angekommen. Großbritanniens Premierminister
Boris Johnson nahm [1][in seiner Eröffnungsrede den Vorwurf von Greta
Thunberg] auf, das alles sei nur „Blablabla“. Der Ausdruck war überall
präsent. Und der US-Gesandte John Kerry gestand: „Auch ich bin frustriert“.
Vieles davon ist durchsichtiges Manöver, um den Protesten, vor allem der
Jugend, die Spitze zu nehmen. Aber es zeigt auch, dass in und um Glasgow
tatsächlich eine Machtverschiebung deutlich wird, die das ganze Klimaregime
der nächsten Jahre und Jahrzehnte dominieren wird: Hin zu Wirtschaft,
Wissenschaft und Protestbewegungen, den „nicht-staatlichen Akteuren“, wie
sie im UN-Jargon heißen. Und weg von den staatlichen Nicht-Akteuren, wie
sie seit einem Vierteljahrhundert die UN-Realität dominieren.
Glasgow dürfte für lange Zeit die letzte COP sein, in der umfassende
völkerrechtliche Regeln beschlossen wurden. Das „Regelbuch“ des Pariser
Abkommens ist jetzt fertig. „Nach den Konferenzen für Regelsetzung müssen
jetzt die Konferenzen zur Umsetzung folgen“, sagt Christoph Bals, Chef der
Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch und ein Vordenker globaler
Klimapolitik. Zum ersten Mal habe es auch direkten Druck auf einen
Energieträger, nämlich die Kohle, gegeben. Das könne sich demnächst beim Öl
wiederholen. Und die Klimakonferenz, eine eingeführte internationale
„Marke“ werde sich umgestalten zu einem Forum, wo etwa die Finanzierung der
Klimahilfen gefordert und kontrolliert werde und wo sich internationale
AkteurInnen vernetzen. „Man könnte hier zum Beispiel nur noch Unternehmen
zulassen, die sich ernsthaft für Klimaneutralität einsetzen“, schlägt Bals
vor.
## Versagen bei Schadensersatz für arme Länder
Wie bei einem tauenden Gletscher ist beim Klima vieles ins Rutschen geraten
und kaum noch aufzuhalten: Im Erdsystem rücken physikalische „Kipppunkte“
immer näher, hinter die es kein Zurück mehr ins Vorher gibt, etwa ein
Abschwächen der Meeresströmungen. OptimistInnen sehen auch den
gesellschaftlichen Druck für ehrgeizige Klimapolitik zumindest in manchen
Industrieländern kurz vor dem Durchbruch – was sich allerdings derzeit in
den [2][Koalitionsverhandlungen der deutschen Ampel kaum widerspiegelt]. Im
Kernbereich der Glasgow-Verhandlungen jedenfalls hat es kleine und hart
erkämpfte Fortschritte gegeben. Die reichen Länder versprechen mehr Hilfe
für die Klima-Anpassung.
Zwar versagten sie bei der Überlebensfrage von Schadenersatz für die armen
Länder bei Klimaschäden. Aber groß waren parallel dazu – und von der
britischen Präsidentschaft clever und bewusst als Kontrast aufgebaut – die
[3][greifbaren Fortschritte von Glasgow]: Vereinbarungen zur Reduktion des
Klimakillers Methan, zum Schutz der Wälder, zum Ausstieg aus der Kohle, zum
Ende des Verbrennungsmotors, zur Umschichtung der Finanzströme.
Und dann kippt noch ein anderes System: Statt globaler Klimapolitik durch
Allianzen von UN-Staaten gibt inzwischen eine Mischung aus ökologisch und
ökonomisch engagierten Gruppen den Ton an: Umweltgruppen, die weltweit
protestierende Jugend, aber auch globale Unternehmen, die kühl mit
Zukunftsmärkten und technologischen Durchbrüchen kalkulieren und
naturgerechten Wohlstand versprechen.
Glasgow hat diese Verschiebung deutlicher gemacht als je zuvor. Da die
Beschlüsse unverbindlich sind, liegt vieles in den Händen der Bewegungen
und Unternehmen. Eine solche „Privatisierung“ der Klimapolitik wäre bis vor
Kurzem undenkbar gewesen. Sie zeigt: Die Klimapolitik der letzten
Jahrzehnte ist am Ende. Was jetzt kommt, ist anders, neu, dynamisch. Und es
wird ganz neue GewinnerInnen schaffen. Und wenn die Politik nicht sehr
aufpasst, die gleichen alten VerliererInnen.
## Die Zivilgesellschaft als Aufpasserin
Begonnen hat der Niedergang der staatlichen Klimapolitik bei der
gescheiterten Klimakonferenz in Kopenhagen 2009. Damals wurde klar: Ein
völkerrechtlich verbindliches Regime mit Verträgen, Regeln und Strafen bei
Nichteinhaltung war nicht durchzusetzen. Zu sehr wehrten sich die
Industrieländer gegen Auflagen und Kosten, zu sehr scheuten die
Schwellenländer wie China und Indien Grenzen für ihr Wirtschaftswachstum.
Als Konsequenz daraus wurde das Pariser Abkommen 2015 ganz anders angelegt:
Alle verpflichten sich auf ein gemeinsames Ziel. Aber jedes Land tut nur
das, was es freiwillig in seinen Klimaplänen definiert. Juristische
Konsequenz bei Nichteinhaltung: keine. Nur ein schlechter Ruf.
Gleichzeitig wurde in und um Paris aber die Zivilgesellschaft zur
Aufpasserin. Eine globale Landschaft aus Thinktanks,
Unternehmensberatungen, Analystenbüros, Rechenzentren,
Forschungsinstituten, Stiftungen und Umweltorganisationen misst inzwischen
den Anspruch der Klimapolitik in den Ländern an der Wirklichkeit. Gegen die
mediale Macht der Gütesiegel wie Climate Action Tracker oder Climate Change
Performance Index kommen Regierungen kaum an. Die Zahlen- und
Analysegewitter aus dem World Resource Institute haben großen Einfluss,
Investoren hören auf die Warnungen der Carbon Tracker“
Und niemand kommt an der [4][wütenden Jugend] vorbei, die vor allem in
Industrieländern ihren Ärger über die Klimapolitik laut auf die Straße
trägt. Die jungen Menschen beeinflussen Wahlen und Entscheidungen und haben
stark dazu beigetragen, das Thema in den Medien zu halten. Genau wie die
Wissenschaft, die inzwischen in Starkregen und Stürmen nicht mehr nur eine
Laune der Natur sieht – und das auch deutlich sagt.
Schließlich hat die wirtschaftliche Entwicklung seit Paris große
Fortschritte gemacht. Wind- und Sonnenstrom wurden billiger als alle
anderen Energien. Finanzierungen für Öl-, Gas- und Kohleprojekte sind auf
dem freiem Markt kaum noch zu bekommen. Der Verbrennungsmotor steht unter
enormem Druck. „Die Unternehmen treiben inzwischen die Regierungen vor sich
her“, sagt Bob Ward, Klima-Experte der London School of Economics. Immer
mehr Konzerne, so Ward, machten klar, dass sie schnelleres Handeln beim
Klimaschutz erwarten: Energieunternehmen, die grün werden wollen, Banken
und Versicherungen, die langfristige Anlagen sichern müssen, Autokonzerne,
die Klarheit über die nächsten Modellreihen brauchen. „Das ist die größte
Gelegenheit für gute Geschäfte in diesem Jahrhundert“, sagt Ward.
## Der Druck der Kapitalinteressen
Wie wichtig der Einfluss der informellen AkteurInnen schon geworden ist,
hat nun auch der UN-Generalsekretär anerkannt. Er hat angekündigt, er werde
eine ExpertInnengruppe berufen, die ein Auge auf die Ankündigungen all der
Unternehmen und Interessengruppen zum Klima haben werde: Was ist
Greenwashing, was ist wirkliche Aktion? Eine Unterscheidung scheint
dringend nötig. Die UNO gibt damit aber auch zu, dass sie die Entwicklungen
nicht kontrolliert, sondern ihr im besten Fall nur einen Qualitätsstempel
aufdrücken kann.
So dynamisch also die Klimapolitik unter dem Druck der Kapitalinteressen zu
werden beginnt, so gefährlich kann diese Entwicklung für die Ärmsten der
Armen werden. Denn wer als Land, Region oder Volksgruppe nichts auf dem
Markt des Klimakapitalismus anzubieten hat, fällt hinten runter. „Wir
verlassen Glasgow mit leeren Händen, aber moralisch stärker“, sagt Mohamed
Adow, erfahrener COP-Beobachter, Aktivist für die verwundbarsten
Bevölkerungen und Chef des kenianischen Thinktanks Power Shift Africa. Der
reiche Norden könne die Ansprüche der Armen auf Schadenersatz nicht länger
ignorieren, im nächsten Jahr auf der COP in Ägypten werde sich diese
Forderung durchsetzen, so hofft er. Für Adow sind die Nebenbeschlüsse von
Glasgow zu Methan, Wald oder Kohleausstieg leere Versprechen. „Das ist hier
nicht der Ort dafür, das ist ein multilaterales Forum. Wenn die Länder es
ernst meinen damit, sollen sie diese Versprechen in ihre Klimapläne
einbauen.“
Bisher garantiert das UN-System den armen Staaten nicht viel, aber immerhin
einen Platz am Verhandlungstisch, eine Stimme für ihre Beschwerden und
Vorschläge und die Vetomacht, einstimmige Entscheidungen der UN-Konferenz
zu blockieren. Wenn aber immer mehr Entscheidungen außerhalb des Plenums
fallen, schwindet diese Macht.
Deshalb ist Klimapolitik insgesamt auch nicht am Ende – sondern wird anders
und viel entschlossener geführt werden als bisher, hoffen die
KlimaschützerInnen weltweit. Die Politik müsse nicht nur den Rahmen für die
Wirtschaft setzen, sondern auch lebenswichtige Elemente wie Anpassung an
den Klimawandel oder Schadenersatz regeln. Das Geld dafür soll teilweise
von den Unternehmen kommen. In Glasgow wurde etwa eine Abgabe auf den
globalen Emissionshandel beschlossen.
## Europas Zukunft hat viel mit Afrika zu tun
Die benötigten Hilfsgelder für Klimaschutz, Anpassung und Schadenersatz
sind schließlich so gewaltig, dass sie alle öffentlichen Kassen sprengen.
Statt der schon jetzt mühsam zusammengekratzten knapp 100 Milliarden Dollar
jährlich ist etwa mit dem Zehnfachen zu rechnen. Und je länger echter
Klimaschutz dauert, desto teurer wird er.
Trotz ihres Machtverlusts könnten die UN-Staaten rund um die zukünftigen
COPs zu weitreichenden Beschlüssen kommen. Denn für Bob Ward haben die
reichen Länder durchaus ein eigenes Interesse, den Armen zu helfen. „In den
Schwellenländern liegen die Wachstumsmärkte der Zukunft. Und kein
Unternehmen will seine Lieferketten aus diesen Regionen durch klimabedingte
Ausfälle unter Stress sehen.“ Auch für Christoph Bals ist klar, dass die
Industrieländer kein Interesse daran haben, ihre Nachbarn verarmen zu
lassen, allein schon wegen Sicherheits- und Migrationsfragen. „Europas
Zukunft hat auch viel mit Afrika zu tun, der nächste Green Deal der EU muss
den Kontinent mit einbinden.“
Wo die eine Klimapolitik aufhört, fängt die nächste gleich an.
14 Nov 2021
## LINKS
[1] /Staatschefs-bei-Klimakonferenz/!5812008
[2] /Die-Gruenen-in-den-Ampel-Verhandlungen/!5812776
[3] /Die-Ergebnisse-der-COP-26/!5815148
[4] /Umweltaktivistin-ueber-Klimawandel/!5815091
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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