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# taz.de -- Junge Menschen und das Klima: Alle müssen mehr tun
> Junge Menschen sind nicht so grün wie gedacht, besagt eine neue Studie.
> Verantwortung für das Klima trägt aber nicht nur eine Generation.
Bild: Geht die Ampel bald auf grün?
Noch bevor mein Wecker klingelt, macht es bling! Die erste Eilmeldung des
Tages leuchtet auf meinem Handy-Display auf: Ampel einigt sich auf
Koalitionsvertrag. Die [1][FDP erhält das Verkehrsministerium]. Ade
Verkehrswende, denke ich. Nächste Meldung: Die Waldrodungen in Brasilien
auf dem höchsten Stand seit 2006. Ich steige aus dem Bett, stecke mir
missmutig ein Brot in den Toaster. Bling! Kein Land weltweit befindet sich
auf dem 1,5-Grad-Pfad bei der Erderhitzung, die sich mit der aktuellen
Klimapolitik auf 2,7 Grad zuspitzt. Na dann prost Mahlzeit.
Genug Weltschmerz für einen Tag. Fenster auf, vielleicht hilft ja kalte
Herbstluft dabei, den Kopf wieder gerade zu rücken. Eigentlich will ich das
Handy schon längst weggelegt haben, als ich in der Tagesschau-App lese:
„Jugend nicht so grün wie gedacht“. Es geht um eine Trendstudie von
Jugendforscher Simon Schnetzer und Bildungsforscher Klaus Hurrelmann. Das
Ergebnis: Die meisten jungen Menschen seien nicht zu einem nachhaltigen
Lebensstil bereit und wollen lieber, dass die Politik etwas gegen den
Klimawandel macht. Ich schimpfe laut aus dem offenen Fenster: What the
fuck?
Auf Twitter scrolle ich durch hämische Kommentare zur Studie: „Nur hüpfen
reicht halt nicht“ oder „Ach, was? Auch schon kapiert? Die sind nur ‚Grü…
wenn alles passt“. Wird hier allen Ernstes gerade der Generation, die es
geschafft hat, dass [2][die Erderhitzung] nach Jahrzehnten der Ignoranz
öffentlich als wirkliche Krise wahrgenommen wird, vorgeworfen, nicht genug
fürs Klima zu tun?
Wir 18- bis 29-Jährigen machen 2021 gerade mal 14,4 Prozent der
Wahlberechtigten in Deutschland aus (Bundeswahlleiter 2021). Also selbst
wenn wir alle eine grün-agierende Partei wählen würden, vegan lebten, aufs
Autofahren verzichteten und nicht mehr fliegen würden, das Klima wäre
längst noch nicht gerettet. Leider. Dazu kommt, dass keine der Parteien im
Bundestagswahlkampf ein Programm vorlegte, das 1,5-Grad-konform ist. Wie
sollen wir klimafreundlich leben, wenn die politischen Rahmenbedingungen
nicht gegeben sind? Immer wieder mit dem Finger auf das Konsumverhalten von
Einzelpersonen zu zeigen, bringt uns hier – wir haben es ja versucht –
nicht weiter.
## Keine Verhaltensalternativen
In der Studie von Schnetzer und Hurrelmann wurden 1014 Menschen zwischen 14
und 29 Jahren zu ihrem ökologischen Verhalten befragt. Dabei gaben nur 19
Prozent an, gewillt zu sein, auch dauerhaft auf ein eigenes Auto zu
verzichten, 27 Prozent aufs Fliegen. Auf der anderen Seite seien die
größten Zukunftssorgen der Jugendlichen die Auswirkungen des Klimawandels
und die unsichere wirtschaftliche Zukunft mit schwindender Aussicht auf
eine funktionierende Alterssicherung.
Die Studienergebnisse selbst überraschen mich wenig. Dass sich ein Teil der
jungen Menschen seit nun fast drei Jahren auf den Straßen weltweit für mehr
Klimaschutz und Klimagerechtigkeit starkmacht, macht sie nicht plötzlich
alle zu nachhaltigen Heiligen. Meine Generation wurde genauso in eine Welt
hineingeboren, in der wir nicht von klein auf gelernt haben, auf
klimaschädlichen Privilegien zu verzichten, wie es bei Menschen älterer
Jahrgänge der Fall ist.
Katharina van Bronswijk von den Psychologists for Future beschreibt dieses
Phänomen so: „Ich glaube, das Wesentliche ist das Thema soziale Normen.
Soziale Normen beeinflussen einfach ganz, ganz wesentlich menschliches
Verhalten. Und ein Großteil der Menschen verhält sich ja so, wie das mit so
einer Studie dann kritisiert wird. Ich halte es für schwierig, der Jugend
anzulasten, dass sie ihr Verhalten nicht ändert. Wenn die
Verhaltensalternativen nicht zur Verfügung stehen und es überhaupt keine
Anreize gibt, außer dem schlechten Gewissen, das Verhalten zu verändern.
Also was wir brauchen, ist eine Veränderung des Kontextes, in dem wir
leben, der uns dann klimaneutrales Verhalten ermöglicht und leicht macht“.
## Politik muss handeln
Obwohl ich selbst seit zwei Jahren im Klimajournalismus aktiv bin und mich
auch schon in der Bewegung engagiert habe, bin ich trotzdem schon nach
Frankreich geflogen, weil der Flug fünfzig statt dreihundert Euro für
Bahntickets gekostet hat. Weil ich das Geld nicht hatte und es keine
kostengünstige, ähnlich schnelle Alternative gab. Bezahlt habe ich dann mit
meinem schlechten Gewissen, das immer noch nachhallt. Dies ist keine
Entschuldigung für klimaschädliches Handeln, denn jede:r von uns muss
lernen sich einzuschränken und umlernen, wenn wir das Ruder noch rumreißen
wollen. Doch muss die breite Debatte sich statt um individuelles
Flugshaming oder, wie im Bundestagswahlkampf, wochenlange Streite über ein
Tempolimit, um konkrete Pläne drehen, wie wir unsere Klimaziele in die Tat
umsetzen und diese nicht gutklingende leere Versprechen bleiben. Während
nämlich der Flugverkehr rund 3,01 Prozent der weltweiten Emissionen
ausmacht, sind es beim Straßenverkehr bereits 18,17 Prozent und im Strom-
und Wärmesektor über 41 Prozent.
Der Klimadiskurs wird durch die Ausschlachtung solcher Studien von Seiten
der Gegener:innen der Klimabewegung im öffentlichen Diskurs erneut auf
eine rein individuelle Ebene verschoben. Dabei fehlt die entscheidende
Frage: Was muss denn passieren, damit Jugendliche mitsamt dem Rest der
Bevölkerung ihr Verhalten klimafreundlicher gestalten? Wir befinden uns nun
mal ständig in einer kognitiven Dissonanz zwischen Wissen und Handeln.
Stattdessen sollten wir von der Politik fordern, dass klimafreundliches
Verhalten für die Menschen leichter gemacht wird. Letztendlich so, wie es
die von Schnetzer befragten Jugendlichen fordern. Damit wird die
Verantwortung nicht abgeschoben, sondern dorthin verlegt, wo kollektive
Veränderung am besten organisiert werden kann.
Was an diesem Morgen meinen Unmut obendrauf noch befeuert, ist der
allgemeine Trugschluss, dass sich die ganze junge Generation aktiv für das
Klima einsetzt. Schön wär’s! Doch ebenso wenig wie die Anti-AKW-Bewegung
der 70er Jahre eine ganze Generation erfasste, ist dies bei der
Klimabewegung der Fall.
## Druck auf die neue Regierung
Zwar kannten 80 Prozent der jungen Leute 2020 laut einer Befragung des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU)
[3][Fridays for Future]. Ein Viertel der Befragten war auch schon mal auf
einer Klimademo. Doch die Junge Union ist noch immer die größte
Jugendorganisation Europas mit ihren rund 100.000 Mitgliedern, und das,
obwohl die CDU bisher eher weniger für ambitionierten Klimaschutz bekannt
ist. Allerdings sinken die Mitgliederzahlen der konservativen
Jugendorganisation in den letzten Jahren, die Grüne Jugend hingegen zählt
seit der Wahl einen Anstieg auf mittlerweile rund 20.000 Mitglieder.
Der Weckruf, den die Debatte um die Jugendstudie auslösen muss, ist eben
nicht: Die jungen Menschen müssen es richten und tun es einfach nicht.
Sondern: Wir alle müssen mehr tun. Wir Jungen können die Lasten der
Klimakrise nicht alleine tragen, sonst lähmt uns, so wie mich an diesem
Morgen, jeden Tag aufs Neue die Ohnmacht. Wir stehen mitten in einem
Regierungswechsel, der einen [4][Wandel in der Klimapolitik] mit sich
bringen muss. Um der Klimakrise mächtig zu werden, braucht es alle
Generationen, die jetzt die Mobilisierungskraft der wachsenden
Klimabewegung nutzen, um Druck auf die sich [5][neuformende Regierung]
auszuüben!
26 Nov 2021
## LINKS
[1] /Neues-Regierungskabinett/!5817923
[2] /Neue-Forschungserkenntnisse/!5813114
[3] /Aktivistin-Reemtsma-ueber-Klimaerwaermung/!5809895
[4] /Laender-Ranking-zur-Klimapolitik/!5816543
[5] /Ampel-Koalition-und-Coronapolitik/!5814257
## AUTOREN
Celine Weimar-Dittmar
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