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# taz.de -- Nach der Klimakonferenz in Glasgow: Was von der COP26 bleibt
> Zwei Wochen mit wenig Schlaf, Hoffnungen, Enttäuschungen und
> Überraschungen: Fünf Beobachter:innen berichten.
Bild: Plakate der Klimabewegung in Glasgow
## Jennifer Morgan: „Ein schlechter Tag für die Kohleindustrie“
taz: Wie viele Stunden haben Sie während der COP pro Nacht geschlafen?
[1][Jennifer Morgan]: Fünf.
Ist das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite?
Ja, aber nur, wenn die Länder jetzt sofort alle Beschlüsse umsetzen und
ihre Ambitionen erhöhen. Nächstes Jahr müssen sie stärkere Ziele
veröffentlichen, um die Lücke zwischen den angepeilten 1,5 und den derzeit
zu erwartenden 2,4 Grad zu schließen.
Haben Sie nach der Konferenz mehr Hoffnung, als Sie vorher hatten?
Ich bin sehr sauer auf die Länder, die viel zu wenig gemacht haben, um die
Lücke zu 1,5 Grad zu schließen. Aber ich habe auch mehr Hoffnung als vor
Glasgow, weil die Bewegungen (Jugendliche, Indigenous Peoples,
Klimaaktivist:innen) dort sehr stark waren und zusammen mit den
vulnerabelsten Ländern ein starkes Signal für einen Kohleausstieg erreicht
haben.
Was war der größte Erfolg?
Es ist nicht genug, aber die Entscheidung, dass es einen Ausstieg aus
fossilen Subventionen und einen Ausstieg aus der Kohle geben soll, ist ein
Durchbruch in der UN-Klimarahmenkonvention. Vorher wurde die Rolle fossiler
Energien in keinem UN-Text erwähnt. Man kann das als schlechten Tag für die
Kohleindustrie sehen.
Was war die größte Enttäuschung?
Es gab nicht genug Unterstützung der Industrieländer für die ärmsten und
vulnerabelsten Länder der Welt. Diese leiden schon jetzt unter extremen
Auswirkungen, und ihnen fehlt das Geld, das etwa Deutschland hat, um nach
Extremereignissen wiederaufzubauen.
Was hat Sie überrascht?
Dass es mit mehr als 500 Leuten mehr Fossil-Lobbyisten in Glasgow gab als
Delegierte aus den verletzlichsten Ländern – oder vielleicht hat es mich
doch nicht überrascht, wenn man bedenkt, wie viel Druck sie aufgebaut haben
gegen alle möglichen Arten von Klimaschutz. (bpo)
##
## Alpha Kaloga: „Das kann Hoffnung machen“
taz: Wie viele Stunden haben Sie während der COP pro Nacht geschlafen?
Alpha Kaloga: Etwa fünf Stunden. Für die letzten Nächte sind wir in ein
Hotel in der Nähe des Konferenzzentrums gezogen, da fiel die Anfahrt weg.
Aber dafür haben wir bis ein oder zwei Uhr morgens verhandelt.
Ist das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite?
Es gibt positive politische Signale dazu. Aber ob uns das technisch [2][auf
den 1,5-Grad-Pfad] führt, kann ich nicht sagen. Dafür muss man abwarten,
wie die Versprechen umgesetzt werden. Wir wollten, dass diese Versprechen
auf die Klimapläne der Länder angerechnet werden, aber das wurde abgelehnt.
Gehen Sie mit mehr Hoffnung aus der Konferenz, als Sie hineingegangen sind?
Ja, denn es gibt diese politischen Zusagen. Das kann Hoffnung machen.
Was war der größte Erfolg?
Wir haben einen Prozess für ein globales Ziel bei der
Anpassungsfinanzierung erreicht, und wir haben jetzt einen Prozess, wie wir
über die Finanzierung nach 2025 weiterreden.
Was war die größte Enttäuschung?
Die Behandlung des Themas „Verluste und Schäden“ durch die
Industriestaaten. Wir hatten als 134 Staaten mit sechs Milliarden Menschen
– vier Fünftel der Weltbevölkerung – gefordert, dass das Thema eine feste
Finanzierung über einen Fonds bekommt. Aber was wir bekommen haben, ist nur
ein Dialog, der die Diskussion vertagt. Eine Garantie für einen Fonds haben
alle abgelehnt, auch die Präsidentschaft, weil es kein Mandat dafür gebe.
Aber der Klimawandel fragt auch nicht nach einem Mandat, wenn er Schäden
anrichtet. (bpo)
Was hat Sie überrascht?
Dass die Entwicklungsländer beim Emissionshandel zugestimmt haben. Noch bei
der letzten Konferenz in Madrid hatten wir einen besseren Text, aber der
Druck der Amerikaner war hier zu stark.
## Hans Pörtner: „1,5 Grad gerade noch in Reichweite“
taz: Wie viele Stunden haben Sie während der COP pro Nacht geschlafen?
Hans Pörtner: Wissenschaftler des Weltklimarates verhandeln ja nicht in
UNFCCC. Wir sind dann intensiv dabei, inklusive Schlafdefizit, wenn wir
unsere Berichte in der IPCC-Vollversammlung verhandeln.
Ist das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite?
Gerade noch. Der Einstieg in die Emissionsreduktionen ist zu langsam. Es
gibt zwar im Sinne des Klimaschutzes Entwicklungen, die ohne Frage in die
richtige Richtung weisen. An allen Fronten gilt aber: „Nicht genug.“
Insofern ist nach der COP 2021 vor der COP 2022.
Gehen Sie mit mehr Hoffnung aus der Konferenz, als Sie hineingegangen sind?
Diese COP hat Fortschritte gebracht und liegen gebliebene Aufgaben
erledigt. Entscheidend ist aber, was jetzt in der Umsetzung passiert. Da
sehen wir die Hindernisse im eigenen Land. Eine Steigerung der Ambitionen
weltweit ist überlebenswichtig.
Was war der größte Erfolg?
Aus meiner Sicht das klare Bekenntnis, dass [3][Erhalt und Restaurierung
von Ökosystemen an Land und im Ozean] langfristig einen wichtigen Beitrag
für die Anpassung von Natur und Mensch im Klimawandel und auch für seine
Minderung leisten können. Allerdings nehmen diese Fähigkeiten schon jetzt
und mit zunehmender Erwärmung ab. Insofern sind Emissionsreduktionen
überlebenswichtig.
Und was war die größte Enttäuschung?
Sichtbar an der Intervention von China und Indien in letzter Minute fehlt
mir ein Bekenntnis zur gemeinsamen Verantwortung. Dazu gehört ein fairer
Lastenausgleich, nach dem sich alle entsprechend ihrem Anteil an den
historischen und aktuellen Emissionen an der Finanzierung und Bewältigung
der Krisen beteiligen.
Was hat Sie überrascht?
Positiv überrascht hat mich die Wertschätzung der Natur und das
fortgesetzte Engagement der jungen Generation, ohne die der Einsatz der
Politik für konsequenten Klimaschutz noch geringer ausfallen würde. (bpo)
## Ina-Maria Shikongo: „Ein Greenwashing-Festival“
taz: Wie viele Stunden haben Sie während der COP pro Nacht geschlafen?
Ina-Maria Shikongo: Ich bin todmüde. Manchmal nur drei Stunden, aber
durchschnittlich sechs, würde ich sagen. Nicht viel. Aber wir haben
zwischendurch auch Party gemacht.
Ist das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite?
Überhaupt nicht. Ehrlich gesagt war die ganze Konferenz ein
Greenwashing-Festival. [4][Und selbst Indien – also ein stark von der
Klimakrise betroffenes Land – will die Kohle weiter pushen, hat am Ende das
Ergebnis verwässert.] Das zeigt, dass den Regierungen die Menschen egal
sind. Was sie interessiert, ist Geld. Der indische Kohlekonzern Adani kann
sich jetzt wirklich freuen. Aber Adani ist schmutzig und dreckig.
Gehen Sie mit mehr Hoffnung aus der Konferenz, als Sie hineingegangen sind?
Nein. Warum können einige Länder weitermachen, wie sie wollen, und andere
leiden? Inseln wie Tuvalu, die saufen gerade ab. Das Einzige, was mir
Hoffnung gibt: Ich habe hier gemerkt, dass die Leute überall auf der Welt
die Schnauze voll haben von unseren Regierungen. Die COP26? Big failure.
Was war der größte Erfolg?
Dass wir Netzwerke mit Menschen auf der ganzen Welt aufbauen konnten. Wir
haben gemerkt, dass die meisten von uns dieselben Probleme haben, überall.
Das zu hören und zu spüren, das war der Erfolg. Also nicht das, was in den
Verhandlungen passiert ist, wie auch Greta sagt.
Was war die größte Enttäuschung?
Dass da mehr Verschmutzer:innen waren als Betroffene. Amazon-Gründer
Jeff Bezos und andere solche Leute waren da. Was machen die denn Wichtiges,
dass sie eingeladen werden? Sie sind doch der Grund, dass wir das
1,5-Grad-Ziel nicht schaffen. Die Menschen, die vor dem Konferenzzentrum
auf der Straße waren, das war die richtige COP.
Was hat Sie überrascht?
Ich glaube, da war keine Überraschung. Vielleicht, dass doch die Diskussion
über Reparationszahlungen von den Industrieländern für Schäden und Verluste
durch die Klimakrise aufgekommen ist. Darüber wollen die Länder aus dem
Globalen Norden eigentlich nie reden. Das hat mich also schon überrascht.
(scz)
## Dirk Messner: „Kein Grund zur Selbstzufriedenheit“
taz: Wie viele Stunden haben Sie pro Nacht geschlafen?
Dirk Messner: Um die sechs Stunden. Das waren intensive Tage und kurze
Nächte.
Ist das 1,5-Grad-Ziel noch in Reichweite?
COP-Präsident Alok Sharma hat das in seinem Schluss-Statement auf den Punkt
gebracht: Die 1,5-Grad-Perspektive lebt noch, aber der Puls ist sehr
schwach. Wenn man nüchtern die Daten auswertet, lägen die globalen
Emissionen 2030 etwa 5 bis 6 Gigatonnen unter dem heutigen Niveau – wenn
all das umgesetzt wird, was in Glasgow angekündigt wurde. Um die globale
Erwärmung bei 1,5 Grad zu stabilisieren, müssten die Emissionen am Ende
dieser Dekade aber um gut 20 Gigatonnen gesunken sein! Es gibt also keinen
Grund zur Selbstzufriedenheit.
Haben Sie mehr Hoffnung nach als vor der Konferenz?
Hoffnung macht, dass im Verlauf der gesamten Konferenz deutlich wurde, dass
es ein neues Leitbild gibt: Eine klimaneutrale Weltwirtschaft muss bis 2050
aufgebaut werden. Unternehmen, das Finanzsystem, viele Staaten beginnen
sich darauf auszurichten. Die vielen Initiativen zur Abschaffung des
Verbrenners, zur Unterstützung des Kohleausstiegs in Südafrika, zur
Reduzierung von Methanemissionen sind wichtig. Das fossile Zeitalter geht
zu Ende.
Was war der größte Erfolg?
In der Abschlusserklärung steht, dass die Emissionen bis 2030 um 45 Prozent
sinken müssen. Das ist Stand der Forschung. Hier hat sich die
Weltgemeinschaft selbst reinen Wein eingeschenkt. Bereits im nächsten Jahr,
nicht erst, wie in Paris verabredet, in fünf Jahren, sollen die Länder
ambitioniertere Strategien vorlegen.
Was war die größte Enttäuschung?
Ich hatte gehofft, dass während der COP die 100 Milliarden Dollar, die die
Industrieländer den vulnerabelsten Staaten zugesagt haben, doch noch
zustande kommen. Es gibt im Globalen Süden das Gefühl, die reichen Länder
verstünden die Bedrohungslage der Entwicklungsländer nicht. Ohne Betonung
von Klimagerechtigkeit wird Klimaschutz misslingen. (bpo)
15 Nov 2021
## LINKS
[1] /Klimagipfel-der-40-groessten-Emittenten/!5762561
[2] /Versprechen-beim-Weltklimagipfel/!5813373
[3] /Studie-zu-Ozean-Erwaermung/!5655449
[4] /Die-Ergebnisse-der-COP-26/!5815148
## AUTOREN
Bernhard Pötter
Susanne Schwarz
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