# taz.de -- Bodo Ramelow über die Coronapandemie: „Rechne nicht mit einem Lo… | |
> Thüringens Ministerpräsident Ramelow ist nun Bundesratspräsident. Er | |
> erläutert, wie er mit Bratwurst zum Impfen motivieren will. | |
Bild: Bodo Ramelow übernimmt von Reiner Haseloff. Der Bundesratspräsident ist… | |
taz: Herr Ramelow, Sie sind der erste Linke im Amt des | |
Bundesratspräsidenten und nun eine der wichtigsten Personen im Staat. Sie | |
dürfen den Bundespräsidenten vertreten. Aber den Sozialismus per Verordnung | |
einführen, das können Sie immer noch nicht. Wie viel Macht verleiht dieses | |
Amt tatsächlich? | |
Bodo Ramelow: Um mich mal zu outen, ich würde den Sozialismus auch gar | |
nicht per Verordnung einführen wollen. Nein, dieses Amt ist ein Amt als | |
Gleicher unter Gleichen. Es ist vor allem repräsentativ. Ich habe den | |
Bundespräsidenten zu vertreten, wenn er erkranken würde. Ich hoffe aber, | |
dass das nicht passiert. Die Wahl des Bundespräsidenten fällt in meine | |
Amtszeit. Insoweit gibt es da eine vorübergehende Situation, wo ich mal | |
formal ziemlich mächtig bin, ich darf dann bei der Vereidigung neben ihm | |
stehen. Aber das ist tatsächlich nur formal. | |
Sie nehmen aber auch repräsentative Aufgaben im Ausland wahr. | |
Das ist so. Ich werde schon in diesem Monat nach Paris fliegen, um dort | |
meinen Antrittsbesuch als Bundesratspräsident zu machen. Das folgt der | |
Logik des Weimarer Dreiecks: Paris, Warschau, Berlin. Dieses Gesprächsforum | |
hat zuerst Hans-Dietrich Genscher gegründet. Ich habe mir ausdrücklich | |
vorgenommen, es fortzusetzen. Denn zwischen West- und Mittel- und Osteuropa | |
gibt es im Moment einige Verwerfungen. | |
Na, dann viel Glück bei den Nationalkonservativen von der PiS. | |
Da habe ich eigene Erfahrungen gemacht. Zu den Vertretern in unseren | |
Partnerregionen in Polen und Frankreich habe ich einen guten Draht. In | |
Warschau ist das ein PiS-Politiker, in Frankreich ein Konservativer. Der | |
Kollege aus Warschau sagt, dass wir parteipolitisch nicht weiter | |
auseinanderliegen können, er aber die Verlässlichkeit der Zusammenarbeit | |
schätzt. Wenn das die Basis ist, auf der man auch miteinander redet, dann | |
gibt es Hoffnung. Mein Credo für die Bundestagspräsidentschaft ist ja auch | |
Zusammenwachsen. | |
Zurück zur Innenpolitik. Ist Bundesratsinitiativen, die von den Ländern | |
angestoßen werden, wo die Linke mitregiert, wie etwa einem bundesweiten | |
Mietendeckel nun mehr Erfolg beschieden? Wohl kaum. | |
Mit der Arbeit des Bundesratspräsidenten hat das herzlich wenig zu tun. | |
Aber mit dem Freistaat Thüringen. Wir werden selbstverständlich solche | |
Initiativen auch weiterhin unterstützen. Wir haben als Länder, wo die Linke | |
mitregiert, in den letzten Jahren eine ganze Menge auf den Weg gebracht. | |
Etwa die Freigabe von medizinisch einsetzbarem Cannabis, die jetzt sogar im | |
größeren Umfang von der Ampel aufgenommen wird. Das Thema hat zuerst unsere | |
Gesundheitsministerin in den Bundesrat eingebracht. | |
Welche weiteren Initiativen könnten folgen? | |
Es wäre ein Erfolg, wenn es gelänge, endlich über die schnellere | |
Integration von Geflüchteten zu reden. Das heißt etwa über einen | |
Spurwechsel, damit möglichst viele Menschen, die sonst lange in irgendeinem | |
Heim leben, bis sie theoretisch wieder abgeschoben werden können, schneller | |
in Berufsausbildungen und in normale sozialversicherungspflichtige | |
Tätigkeiten gebracht werden können. Es wäre auch ein Erfolg, wenn endlich | |
das Staatsbürgerrecht modernisiert wird. Da habe ich große Hoffnungen, dass | |
das mit einer Ampel-Regierung tatsächlich gelingt. Das sind Initiativen, | |
die wir aus den links mitregierten Ländern aktiv begleiten würden. | |
Sie rechnen also mit einer konstruktiven Zusammenarbeit von Bundesrat und | |
Bundestag. Weshalb? Weil in 15 von 16 Bundesländern mindestens eine der | |
drei Ampelparteien, SPD, Grüne oder FDP, mitregiert? | |
Genau so. Wir haben noch nie eine so bunte Republik gehabt. In den 16 | |
Landesregierungen gibt es 15 unterschiedliche Koalitionen. Darin liegt eine | |
Chance. Ich finde auch, meine Partei macht sich ein bisschen klein, wenn | |
sie sich in dieser Situation nur darauf reduzieren würde, zu sagen: Wir | |
sind die linke Opposition. Wir sollten als Linke das soziale Gewissen sein. | |
Aber nicht die Besserwisser, sondern diejenigen, die dann auch sagen: Oh, | |
wir erkennen bei euch einen tollen Ansatz, auch wenn uns der Schritt noch | |
zu klein ist, aber er geht in die richtige Richtung. Und genau daran würden | |
wir gern mit euch weiterarbeiten. | |
Nennen Sie mal ein Beispiel aus dem Sondierungspapier. | |
Wenn etwa das Bürgergeld zwar nicht der große Wurf ist, aber dann doch | |
hoffentlich das Ende der Repressionsregeln von Hartz IV bedeuten würde, | |
dann wäre das der Einstieg in eine veränderte Grundsicherung. Dafür haben | |
wir lange gekämpft. | |
Sie appellieren also an Ihre Partei Die Linke, nicht nur draufzuhauen, | |
sondern konstruktiv mitzuarbeiten? | |
Das ist meine dringende Empfehlung an uns alle. Wir haben eine Rolle. Und | |
wenn Mecklenburg-Vorpommern dazu kommt und Rot-Grün-Rot in Berlin bleibt, | |
werden wir als Linke im Bundesrat sogar gestärkt sein. Und dann werden die | |
Wähler und Wählerinnen von uns erwarten, konkret zu zeigen, was sie von der | |
Linken haben. Wenn wir nur damit beschäftigt sind, uns gegenseitig | |
auszugrenzen, dann werden auch 4,9 Prozent endlich sein. Den Status als | |
Bundestagsfraktion retten nicht diejenigen, die auf Parteitagen besonders | |
radikale Beschlüsse fassen. Den retten [1][Menschen wie Sören Pellmann], | |
der in Leipzig das Direktmandat gewonnen hat. Die nämlich im Wahlkreis hart | |
arbeiten und erkennbar sind. | |
Zurzeit steigen die Corona-Infektionen wieder sprunghaft an. [2][Die | |
epidemische Notlage, auf der viele Maßnahmen basieren], läuft im November | |
aus. Einige CDU-regierte Länder rufen nach einem neuen Bund-Länder-Treffen. | |
Wäre das sinnvoll? | |
Ich hätte mir gewünscht, der Bundestag hätte die Notlage noch mal | |
verlängert. Jetzt haben sich die Ampel-Koalitionäre aber darauf | |
verständigt, dass sie das nicht tun wollen. Darin liegt eine Tücke, und auf | |
die haben wir als Ministerpräsidenten bereits vor zwei Wochen hingewiesen. | |
Wenn nämlich die gesetzliche Grundlage des Bundes entfällt, müssen die | |
Länder diese gesetzlichen Grundlagen schaffen. Ich kann bis zum 25. | |
November für Thüringen aber kein Gesetz schaffen. Das heißt, wir hätten auf | |
einmal eine Situation, zumal in einem Land mit der höchsten Inzidenz in | |
Deutschland, in der wir keine oder nur eine sehr wackelige Verordnung | |
hätten, weil ein Teil der Grundlage entfallen ist. | |
Wir brauchen jetzt kein Bund-Länder-Treffen, sondern Klarheit darüber, | |
welche Verordnungen – also Maskenpflicht, Abstandsregeln, Hygienekonzepte – | |
durch Bundesrecht noch gedeckt sind. Auf diese Klarstellung durch den | |
Bundesgesundheitsminister bzw. die Ampel warten wir – inzwischen liegt ein | |
erster Entwurf vor. Und im Übrigen bin ich dafür, auch die Ergebnisse der | |
Gesundheitsministerkonferenz der Länder abzuwarten. Sie treffen sich ja | |
Donnerstag und Freitag. | |
Wenn die Verantwortung für Coronamaßnahmen jetzt wieder an die Länder geht | |
– wird da nicht der vielbeschworene Flickenteppich noch bunter? | |
Der Begriff Flickenteppich gehört für mich zu den Unworten des Jahres. Wir | |
haben entschieden, dass man auf lokales Geschehen lokal reagieren soll. Und | |
siehe da, auf einmal reden alle wieder vom Flickenteppich. Wieso sollen in | |
Schleswig-Holstein die gleichen Maßnahmen gelten wie in Hildburghausen, | |
obwohl die Problemlage eine ganz andere ist? | |
Ein Beispiel: Die Testpflicht an Schulen. Die lief in Thüringen vor den | |
Herbstferien aus. In Berlin dagegen müssen sich Schüler dreimal pro Woche | |
testen, obwohl die Inzidenz niedriger ist. Das versteht doch niemand. | |
Wir haben in Thüringen einen wissenschaftlichen Beirat berufen, in dem alle | |
Akteure sitzen. Und die haben uns klar gesagt: Hört auf, weiter die Kinder | |
in eine Geiselhaft zu nehmen für die Entscheidung der Erwachsenen, die sich | |
nicht impfen lassen. [3][Fangt an, mehr Normalität in der Schule zu | |
ermöglichen] und dann einzugreifen, wenn etwas zu sehen ist. Also weg mit | |
dem anlasslosen Testen. Auf einmal verlangen alle wieder, dass anlasslos | |
getestet wird. Verstehe ich nicht. In den Betrieben soll nicht getestet | |
werden, aber die Kinder, die sollen diejenigen sein, die dann permanent | |
getestet werden? | |
Das Infektionsgeschehen ist gerade unter Kindern und Jugendlichen enorm | |
hoch. | |
Wir haben aktuell Ferien, die Schulen sind geschlossen und trotzdem steigen | |
unsere Infektionen. Wir haben ein diffuses Infektionsgeschehen, das breit | |
durchs ganze Land geht. Das Einzige, was mich etwas ruhiger sein lässt, | |
ist, dass die intensivmedizinischen Behandlungen nicht so überdynamisch | |
ansteigen wie vor einem Jahr. Aber wir haben auch auf diese Entwicklung ein | |
scharfes Auge, denn die Krankenhäuser hatten schon vor Corona Schieflagen. | |
Thüringen hat bundesweit die höchste Inzidenz mit über 350 Neuinfektionen | |
auf 100.000 Einwohner:innen. Schließen Sie einen neuen Lockdown eigentlich | |
aus? | |
Ich rechne nicht mit einem allgemeinen Lockdown. Aber möglicherweise mit | |
neuen Anordnungen, zum Beispiel einer Testpflicht beim Betreten von | |
Altenheimen. Aber im Mittelpunkt der Maßnahmen steht die Impfung. Wir haben | |
unsere Impfstationen in Thüringen offen gelassen, obwohl uns Herr Spahn das | |
Geld dafür entzogen hat. Und haben jetzt entschieden, allen Menschen eine | |
Boosterimpfung bereits nach fünf Monaten zu ermöglichen. | |
Thüringen hat eine der niedrigsten Impfquoten. Gerade mal 60 Prozent der | |
Bevölkerung sind geimpft. Wie motivieren Sie mehr Leute dazu, sich impfen | |
zu lassen? | |
Zum Beispiel mit Bratwurst. Kein Witz. Während wir sprechen, bin ich in | |
Sonneberg. Als die Sonneberger Bratwürste angeboten haben, war die Schlange | |
vor dem Impfzentrum tatsächlich so lang, dass die Menschen über den | |
Marktplatz standen. Die Impfquote steigt aber auch durch die Entscheidung | |
der Gesundheitsministerin, die Boosterimpfung für alle zu öffnen. Das | |
beobachten wir seit einigen Tagen. | |
Wie sehr schadet es, wenn eine [4][prominente Politikerin ihrer Partei ihre | |
Impfskepsis in Talkshows] vorträgt? | |
Fragen zu Frau Wagenknecht beantworte ich nicht. Und ansonsten werbe ich | |
für Impfen, Impfen, Impfen. Ich habe mir in dieser Woche meine dritte | |
Impfung abgeholt und das mit einem Werbefeldzug verbunden. Ich stehe zum | |
Impfen. | |
5 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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