# taz.de -- Ausstellungsempfehlungen für Berlin: Abenteuerliches Sehen | |
> Unkontrollierbare Landschaften, politische Text-Bild-Praxis und | |
> freihändige Zeichnungen mit Knut Wolfgang Maron, Cemile Sahin und Fritz | |
> Hortig. | |
Bild: Cemile Sahin, „It Would Have Taught Me Wisdom“, Exhibition view, Esth… | |
Es ist wie in den Anfangszeiten der Fotografie als sie in ihre ungeheure | |
Karriere als visuelles Bildmedium startete: Man schaut sich die Bilder in | |
den Vitrinen mit dem Vergrößerungsglas an. Schon wie sich die | |
Besucher*innen in der [1][Alfred Ehrhardt Stiftung] über die Vitrinen | |
beugen deutet auf eine exquisite Angelegenheit hin. Die ausgestellten | |
Bilder sind Polaroids, und obwohl das Unternehmen die Digitalisierung der | |
Fotografie nicht überstanden hat, gibt es sogar einige aus diesem Jahr. | |
Die frühesten stammen natürlich aus den 1970er Jahren. Damals beging ein | |
Fotograf, der wie Knut Wolfgang Maron an der Folkwangschule in Essen | |
studiert hatte, immerhin bei Otto Steinert und Erich von Endt, ein | |
Sakrileg, wenn er mit der Polaroidkamera arbeitete. Natürlich in Farbe. | |
Wobei die Farbe nicht wirklich zu kontrollieren war. | |
Aber genau das reizte Knut Wolfgang Maron, wie es ihn überhaupt reizte | |
gegen den Strom zu schwimmen. Man beschäftigte sich damals mit Street | |
Photography und Stadtlandschaften, Landschaftsfotografie dagegen galt, wie | |
Maron selbst sagt, „als schräge Avantgarde“. Früh beschäftigten ihn auch | |
ökologische Fragen: „Mir lag daran, die Dialektik einer schönen Neuen Welt | |
und der veränderten Umweltbedingungen, besonders nach Tschernobyl … in | |
einem zeitgemäßen Medium auszudrücken.“ | |
Das Resultat sind Aufnahmen von Gräsern, Bäumen und Sträuchern, Ausschnitte | |
aus Wüstenlandschaften oder überflutetes Land, Dämme am Meer, aber auch | |
Freizeitmenschen in der Natur oder das imaginäre Grab des Marquis de Sade. | |
Auffallend ist die ungewöhnliche Farbigkeit der Aufnahmen, irritiert fragt | |
man sich, sehe ich hier jetzt eine fahle Landschaft oder sehe ich nur ein | |
fahles Bild? Abenteuerliches Sehen. | |
## Traumata der Geschichte | |
Die Installation ist schlicht und scheint auf den ersten Blick ohne | |
weiteres zu entschlüsseln. Ihr Thema: Krieg und Frieden. Für den Krieg | |
spricht die behelmte und mit einem Speer bewaffnete weibliche Figur in | |
tarnfarbenem Camouflage-Gewand. Für den Frieden sprechen die Männer, die | |
von weiteren umringt, feierlich ihre Unterschrift leisten. Nun ist aber ein | |
so dokumentierter Frieden häufig neuerlicher Anlass für Krieg. Genau die | |
Sorte Friedensvertrag war der Vertrag von Sèvres 1920, den Cemile Sahin in | |
ihrem Environment bearbeitet. | |
Über die Fototapete der Männerrunde an der Wand, hat die kurdischstämmige, | |
1990 in Wiesbaden geborene Künstlerin in aggressivem Orange die Worte „That | |
I did not receive in time the French Minerva it would have taught me | |
wisdom“ gedruckt. Mit ihrer Typo-Referenz auf Barbara Kruger macht Sahin | |
die politische Intention ihrer Text-Bild-Praxis deutlich. | |
Der zitierte Satz stammt von Wilhem II., der deutsche Kaiser war einer der | |
Verlierer des Ersten Weltkriegs genau wie das alliierte Osmanische Reich, | |
das mit dem Vertrag von Sèvres unterging. Dass Minerva, die Schutzherrin | |
der Künste und der strategischen Kriegsführung, mit am Tisch saß nutzte | |
nichts, war die Göttin der Weisheit doch nur eine Porzellanfigur und | |
funktionierte als Schreibgarnitur. Sahin hat sie fünfmal in Farbe auf eine | |
Plexiglasscheibe gedruckt, vor die Tapete gestellt und in französische, | |
britische, deutsche, italienische und türkischen Camouflage gekleidet. Alle | |
diese Länder haben seit Sèvres Einfluss auf die Neugestaltung des Nahen | |
Ostens ausgeübt. | |
Die bis heute nachwirkenden Folgen arbeitet Sahin derzeit in einer Reihe | |
von Filmen heraus, die – entsprechend ihrer künstlerischen Praxis, sich | |
ungeniert zwischen Bildender Kunst, Literatur und Film zu bewegen – ihre | |
Installation erweitern werden. Und so ist das vermeintlich schlichte „It | |
Would Have Taught Me Wisdom“ tatsächlich eine vielschichtige künstlerische | |
Auseinandersetzung mit den Traumata der Geschichte. | |
## „Venerdi, Sabato, Polemica“ | |
„Macht Berlin“ heißt vieldeutig die Schau von Fritz Hortig in Berlin. Sieht | |
sich der Wiener Künstler als eine Macht in Berlin? Oder fordert er uns alle | |
auf Berlin und seine Angelegenheiten in unsere Hände zu nehmen: Macht | |
Berlin! Oder sieht er in Berlin tatsächlich eine Macht? Schaut man sich die | |
Papierarbeiten und Collagen des Autodidakten bei Henning Gronkowski an, | |
deutet alles auf die ersten Möglichkeiten. | |
Es ist jedenfalls eine Wucht, wie er seine großen, freihändig rund | |
geschnittenen Papierbögen mit Ölkreide in riesige Amulette zu verwandeln | |
scheint. „Venerdi, Sabato, Polemica“ ist unter ein Gesicht mit zwei paar | |
Augen, einem grünen Mund und einer roten Nase geschrieben, die gleich drei | |
Ringe zieren. Die Sentenzen, die Hortig ins Bild holt, verballhornt er. | |
„Honi soit qui malle bob“ steht auf einer Art Schießscheibe vor der eine | |
Figur steht, die ich als Fußballfan identifizieren würde, mit Schal und | |
Roma-T-shirt. | |
Die Arbeiten, mit ihrem Material aus Konsum, Werbung, Internet und Social | |
Media aber auch Kunst- und Kulturgeschichte, vibrieren vor Energie, | |
eingespannt in große quadratische Holzrahmen, festgehalten von dünnen | |
Nylonschnüren, die Hortig durch die Leinwand fädelt, mit der er seine | |
großen Papierarbeiten am Rand verstärkt. | |
Und irgendwie passt es, dass man, um „Macht Berlin“ zu sehen in das Haus | |
Einlass findet, das man schon immer mal erkunden wollte. Henning | |
Gronkowski, Schauspieler, Regisseur des Techno-Beat, Drogen und | |
Exzess-Films „Yung“, öffnet tatsächlich das herrliche schmiedeeiserne Tor | |
der Fasanenstr. 13, das den Zugang zu dem dahinterliegenden verführerischen | |
Garten verwehrt. Mit Fritz Hortig debütiert er jetzt als Galerist, seine | |
Räume hat er im höchst romantisch neben der S-Bahn aufragenden | |
[2][Künstlerhaus St. Lukas], von Bernhard Sehring 1889/90 als Wohn- und | |
Atelierhaus erbaut. | |
19 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.aestiftung.de/en/ | |
[2] https://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/verwaltung/aemter/stadt… | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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