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# taz.de -- Bildband „Out in the Streets“: Die übermalten Zeichen
> In ihrem Bildband „Out in the Streets“ geht Elisabeth Neudörfl die
> Demorouten der Demokratiebewegung in Hongkong nach.
Bild: Ausschnitt aus Elisabeth Neudörfl, „Out in the Streets“
Lai Chi Kok Road ist in lateinischer Schrift über den chinesischen
Schriftzeichen auf dem Straßenschild zu lesen. Gleich in der ersten
Aufnahme ist damit klar, wo wir uns mit „Out in the Streets“, Elisabeth
Neudörfls aktuellem Bildband, befinden. Die Orientierung ist hilfreich,
denn bei diesen menschenleeren Straßen würden wir nie an das siebeneinhalb
Millionen Einwohner zählende Hongkong denken.
Natürlich vermuten wir als Grund dieses unwahrscheinlichen Anblicks die
Coronapandemie. Doch die Menschen mieden die Straßen auch aus anderen
Gründen. Im Frühjahr 2020, als Elisabeth Neudörfl, Professorin für
Dokumentarfotografie an der Folkwang Universität der Künste in Essen, in
die chinesische Sonderverwaltungszone reiste, herrschte in der Stadt ja
nicht nur der medizinische Ausnahmezustand.
Am Neujahrstag 2020 waren noch über eine Million Leute in diesen Straßen
unterwegs, um gegen ein neues Gesetz zu protestieren, das es erlaubte, in
Hongkong festgenommene Personen in die Volksrepublik China zu überstellen.
Die machtvollen Demonstrationen der Demokratiebewegung wurden dann mit der
Verabschiedung eines neuen Sicherheitsgesetzes durch den Volkskongress im
Mai 2020 endgültig unterdrückt. Noch heute kommt es in Zusammenhang mit
diesen Demonstrationen zu Verhaftungen. Anfang August wurde etwa der
[1][Popstar Anthony Wong festgenommen].
Elisabeth Neudörfl, die noch vor der Verabschiedung des Gesetzes in
Hongkong angekommen war, konnte, wie sie in einem Gespräch mit dem
Deutschlandfunk berichtete, unbehelligt den Demonstrationsrouten nachgehen,
auf der Suche nach Spuren und Relikten der Massenproteste.
[2][Betrachtet man nun ihre Aufnahmen,] so scheint vordergründig nichts
davon geblieben zu sein. Doch die geschlossenen Geschäfte mit ihren
herabgelassenen Rollläden, die verlassenen Metrostationen, die roten Ampeln
für Fußgänger wie für Autos bei einem nahezu zum Erliegen gekommenen
Verkehr, sie zeigen eine Stadt in Angst.
## Mehr und mehr Absperrgitter kommen ins Bild
Wer Angst hat und wovor, ist nicht ohne Weiteres ersichtlich. Der Eindruck,
es wären die Geschäftsleute und die Angestellten, also die Bürger
Hongkongs, die sonst die Straßen bevölkern, trügt. Das zeigt sich im
Fortgang der Bilder.
Mehr und mehr mobile Absperrgitter kommen ins Bild, [3][in der Nähe der
Universitäten] werden sie zu massiven Plastikbarrikaden oder neu
errichteten Metallumzäunungen, die den freien Zugang zu den Hochschulen
unmöglich machen. Und immer auffälliger werden die oft sehr schlampig
ausgeführten, zigfachen Übermalungen der Graffiti entlang der Routen.
Es ist die von Peking gesteuerte Staatsmacht, die Angst hat. Denn sie muss
die Hongkonger Bürgerschaft, sie muss die Demokratiebewegung und ihre
Forderungen zurückweisen. Sie kann nicht nachgeben und muss daher Gewalt
einsetzen, sie muss die Menschen einschüchtern, sie mit polizeilichen wie
juristischen Maßnahmen bedrohen, sie in Angst und Schrecken versetzen. Es
dröhnt in diesen stillen Bildern.
## Besonders ein Zeichen scheint unter der Übermalung hervor
Unter den Übermalungen scheint immer wieder ein Zeichen hervor, das
vereinzelt sogar übersehen und nicht übermalt wurde. Die Fotografin
versucht sich an seiner Rekonstruktion auf Papier. Auf den Seiten 16 bis 22
sind Videostills dieser Versuche zu sehen. Sie unterbrechen die Bildstrecke
der Nachverfolgung der Demonstrationswege, was auf den Seiten 96 bis 112
noch einmal geschieht. Dort sind Fotos von schwarzen, mit Schutzhelm,
-maske und -brille ausgestatteten Plastikdummys in Protest-T-Shirts zu
sehen.
Mit den Unterbrechungen macht [4][die Autorin auf die subjektiven
Entscheidungen aufmerksam,] die Form und Aussage ihrer Dokumentation
bestimmen. Diese subjektiven Entscheidungen, zunächst bei der Produktion
der Fotografien, dann bei der Postproduktion des Bildbandes, unterliegen
dem Konzept bewusster Reduktion: Die Fotos sind schmucklos, aber
treffsicher und geben so den Raum frei für politische Reflexion.
Auf dem Protest-T-Shirt des Dummys steht übriges einfach „Hongkong“ zu
lesen. Das übermalte Zeichen lautete: „Befreit Hongkong, die Revolution
unserer Zeit“. Am 30. Juli 2021, also nach Erscheinen des Bandes, wurde der
24-jährige [5][Aktivist Tong Ying-kit] wegen Mitführens einer Fahne mit dem
Slogan in einem Gerichtsurteil in der chinesischen Sonderverwaltungszone zu
neun Jahren Haft wegen „Aufstachelung zur Sezession“ verurteilt.
20 Aug 2021
## LINKS
[1] /Hongkongs-Popstar-Anthony-Wong/!5786418
[2] https://www.barbarawien.de/
[3] /Besetzte-Universitaet-in-Hongkong/!5638769
[4] /Archiv-Suche/!355794&s=Elisabeth+Neud%C3%B6rfl&SuchRahmen=Print/
[5] https://www.dw.com/de/neun-jahre-haft-f%C3%BCr-hongkonger-aktivisten-tong-y…
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
zeitgenössische Fotografie
Dokumentation
Hongkong
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