# taz.de -- Hanf als nachhaltiges Textilmaterial: Er ist widerspenstig | |
> Ein Forschungsprojekt untersucht, ob Nutzhanf aus Kasachstan für | |
> Textilien taugt. Er wäre eine Alternative zur ressourcenintensiven | |
> Baumwolle. | |
Bild: Cannabis-Pflanzen sind als Droge verschrien, aber auch für ganz andere D… | |
Hat Hanf eine Zukunft als umweltschonendes Material für Textilien? Der | |
Großteil aktueller Produktion aus Naturfasern fußt auf Baumwolle, deren | |
Anbau häufig umweltschädlich ist. Hans-Jörg Gusovius, Arbeitsgruppenleiter | |
Verfahrenstechnik für Faserpflanzen am Potsdamer Leibniz-Institut für | |
Agrartechnik und Bioökonomie (ATB), hält Hanf für eine gute Alternative. | |
Das ATB ist einer von zehn Projektpartnern aus Deutschland und Kasachstan, | |
die in den beiden vergangenen Jahren in dem Forschungsprojekt „Kashemp“ die | |
textile Wertschöpfungskette untersucht haben, vom Acker bis zum Garn. Auf | |
Versuchsflächen von einigen hundert Hektar haben sie im vergangenen | |
Frühjahr Nutzhanf gesät, Erntemaschinen optimiert und neue | |
Verarbeitungsverfahren erprobt. | |
Welche Sorten müssen verwendet und wie dicht sollten die Hanfpflanzen | |
ausgesät werden? Wie lassen sich unter den sehr trockenen Bedingungen | |
Zentralasiens qualitativ hochwertige Fasern gewinnen? Und wie lässt sich | |
die Faser dort unter Verwendung bestehender Verarbeitungstechnologien | |
verarbeiten? | |
Eigentlich wollte das Forschungskonsortium diese Frage bis Ende 2021 | |
beantworten. Aber dann kam Corona, Reisen wurden unmöglich. Nun hat es beim | |
Geldgeber, dem Bundesforschungsministerium, ein Jahr Verlängerung | |
beantragt. | |
## Die ideale Pflanze | |
Einige der Forschungsinstitute im Konsortium sind Mitglied im | |
Bioökonomie-Cluster der Zuse-Gemeinschaft, in der sich | |
anwendungsorientierte Forschung für den Mittelstand versammelt. Ihnen geht | |
es laut Selbstverständnis nicht um Utopien, sondern um marktfähige | |
[1][Produkte auf Basis pflanzlicher Rohstoffe]. Die Hanfpflanze sei hierfür | |
ideal, schwärmen die Projektteilnehmer. | |
Sie benötigt auch auf trockenen und wenig fruchtbaren Böden keine | |
künstliche Bewässerung, weil ihr immenses Wurzelwerk in tiefen | |
Bodenregionen Wasser findet. Zudem lockert es den Boden auf. Und selbst | |
wenn dieser schlecht ist, kann die Pflanze zwei bis drei Meter groß werden | |
und große Mengen Biomasse – Stängel und Blätter – ausbilden. | |
Das ist zwar alles bekannt. Doch viele Erfahrungswerte im Hanfanbau | |
„werden durch Landwirte gesammelt und bleiben großteils undokumentiert“, | |
schreibt die Agrargeografin Susanne Richter in ihrer Dissertation ‚Der | |
Anbau von Faserhanf als Winterzwischenfrucht‘ von 2018. Es fehlten Vorgaben | |
für das Erzielen einer guten Faserqualität sowie Anforderungen und Angaben | |
seitens der verarbeitenden Industrie. | |
„Forschungsergebnisse werden zwar publiziert, jedoch erscheinen | |
Forschungsberichte oftmals nur in der Landessprache (vor allem im | |
skandinavischen und osteuropäischen Raum) oder in Institutsreihen, die der | |
Allgemeinheit nicht zugänglich sind“, erklärt Richter. Aufgrund des | |
jahrelangen Anbauverbotes von Hanf sei die Pflanze erst Ende der 1990er | |
Jahre wieder in den Fokus der Forschung gerückt. | |
## Kein Markt für Nutzhanf | |
Seinen Ruf als „Drogenpflanze“ ist Hanf inzwischen weitgehend los, | |
Nutzhanf-Sorten enthalten weniger als 0,2 Prozent [2][Wirkstoffe wie | |
Cannabidiol (CBD)] oder Tetrahydrocannabinol (THC). Doch mit der Pflanze | |
ist es wie verhext: Während für ihre [3][medizinisch wirksamen | |
Inhaltsstoffe] [4][ein großer Markt vorhanden ist], der aber aus | |
rechtlichen und ökonomischen Gründen nicht bedient werden kann, ist für | |
ihre Nutzung als Faserpflanze schon viel Expertise vorhanden – aber der | |
Markt fehlt. | |
Denn so einfach sich Hanf anbauen lässt, so schwierig ist seine | |
Verarbeitung – und entsprechend teuer im Vergleich zu Baumwolle oder gar | |
Kunstfasern. „Aus Baumwollfasern kann man nach einem relativ einfachen | |
Aufbereitungsprozess Garn herstellen“, sagt Gusovius, „das geht bei | |
Bastfaserpflanzen wie Hanf nicht“. In den Stängeln sind Fasern und holzige | |
Bestandteile mehr oder weniger verbunden – mit Mehrfachzuckern, die als | |
„Klebstoff“ wirken. Dieser muss gelöst werden, um an die Fasern | |
heranzukommen. Das gelingt heute wie vor 100 Jahren durch die sogenannte | |
Röste. | |
Klassischerweise werden die Pflanzen dabei abgeschnitten und auf dem Feld | |
liegen gelassen. Durch Tau benetzt, bilden sich Bakterien, die die | |
Mehrfachzucker zersetzen. Übrig bleiben die Fasern, die aufgesammelt und | |
versponnen werden können. Problem: Im trockenen Kontinentalklima | |
Kasachstans gibt es in der Zeit nach der Reife keinen Tau – anders als in | |
den Hochburgen für Faserhanf und -leinen, den Küstenregionen Frankreichs | |
oder der Niederlande. „Also versuchen wir es jetzt mit Frost“, sagt | |
Gusovius. | |
Im Sommer haben die Versuchspflanzen geblüht, jetzt bleiben sie auf dem | |
Acker stehen. Sie werden dem bitterkalten, aber meist auch trocken-sonnigen | |
Winter ausgesetzt, in der Hoffnung, dass der Frost die Arbeit des Taus | |
übernimmt. Das wurde in Skandinavien schon praktiziert. „Aber wir wissen | |
nicht, was während der Kälteperiode genau im Stängel und mit den Fasern | |
passiert.“ Darum wird das Team um Gusovius Hanfproben in seinem Potsdamer | |
Labor untersuchen. Allerdings: Selbst wenn die Frost-Röste funktionieren | |
sollte, sind die Forscher noch nicht am Ziel. | |
## Die richtige Faserlänge | |
Wer nämlich vorhat, nicht nur struppige Dämmstoffe oder kratziges | |
Polstermaterial aus den Fasern herzustellen, sondern feine Garne spinnen | |
will, der muss diese auch vereinzeln und dabei „mindestens auf der | |
Stapellänge von Baumwolle belassen, besser länger“, sagt Robert Hertel, | |
Gründer und Inhaber des Bekleidungslabels Hempage. Die Stapellänge | |
bezeichnet die Länge der längsten Faser einer Baumwollkapsel. Je länger, | |
desto reißfester das Garn. Die Stapellängen von Baumwolle liegen, je nach | |
Anbaugebiet und Sorte, etwa zwischen 22 und über 38 Millimetern. | |
Wie lang die Faser bei Hanf ist, ist umstritten, mit etwa 8 bis 12 | |
Zentimetern jedenfalls deutlich länger. „Die heute so oft beschworenen | |
‚cottonisierten‘ Hanffasern sind also bereits zerrissene Fasern“, sagt | |
Hertel. Das vereinfache den Spinnprozess sehr. Doch die Qualität eines | |
Textils aus ungeschädigter Faser werde nicht erreicht. „Wir forschen in | |
Europa seit 25 Jahren an diesen Themen“, sagt Hertel, „aber wir kommen | |
nicht schnell genug weiter.“ | |
Hertel ist ein ‚Hanf-Urgestein‘, seit 1996 erstellt und verkauft er Mode | |
aus der Pflanze und hat selbst einige F&E-Projekte angestoßen. Inzwischen | |
sei jedoch das gesamte Know-how über die Verarbeitung von Hanf als | |
Textil-Rohstoff nach China abgewandert. Das laufende Forschungsprojekt in | |
Kasachstan findet er „super“, es sei „alles gut, wo wirklich was | |
herauskommt“. | |
Lovis Kneisel vom Verein Sachsenleinen mit Sitz in Markkleeberg südlich von | |
Leipzig koordiniert das Kashemp-Projekt. „Es gab zwar in den vergangenen 20 | |
Jahren zahlreiche Forschungsprojekte, um Hanf als hochwertigen Rohstoff für | |
Textilien zu erschließen“, sagt er, „aber die Einzelmärkte, etwa für | |
Bekleidung, unterliegen enormen Schwankungen.“ Unter diesen Bedingungen sei | |
es herausfordernd, Unternehmensstrukturen der Bastfasergewinnung und | |
-veredlung zu etablieren. Beständig sei Wissen und Know-how aufgebaut und | |
dann wieder verloren worden. In den riesigen, zum Teil aber degenerierten | |
Ackerflächen Kasachstans sieht Kneisel ein gewaltiges Potenzial, Hanf | |
großflächig anzubauen und in die wertschöpfende Produktion zu bringen. | |
## Probleme des Baumwoll-Anbaus | |
Das riesige, öl- und gasreiche Land, größer als Frankreich, Spanien, | |
Schweden und Deutschland zusammen – wird durch seine trockenen | |
Steppenlandschaften geprägt. Zwar gehört Kasachstan, anders als der Nachbar | |
Usbekistan, nicht zu den größten Baumwollproduzenten der Welt. Doch auch | |
hier zeigt der Anbau des tropischen Malvengewächses alle negativen Folgen, | |
die es in trockenen Gebieten mit sich bringt: Baumwolle muss bewässert | |
werden und benötigt jede Menge Pflanzenschutz gegen Insekten. | |
Das zerstört regionale Wasserkreisläufe (dafür steht mahnend der im | |
Verschwinden begriffene Aralsee), versalzt und vergiftet die Böden. Der | |
Klimawandel, der sich auch in Kasachstan mit noch geringeren | |
Niederschlagsmengen zeigt, verschlimmert die Lage. Wie in Zentralasien | |
stößt der Baumwollanbau weltweit an seine Grenzen. „In wasserarmen | |
Anbauregionen ist er bereits rückläufig“, sagt Kneisel. Dem gegenüber steht | |
eine weltweit wachsende Nachfrage nach Kleidung und Textilien, das führe | |
schon jetzt zu einer „Faserlücke“. Hanf als textiler Rohstoff könne dazu | |
beitragen, sie zu schließen. | |
Auch Rolf Heimann, Vorsitzender der „hessnatur Stiftung“, sieht, anders als | |
früher, Hanf heute eher als Ergänzung zur Baumwolle. Die aus dem | |
Versandhändler für Ökomode hervorgegangene unabhängige Stiftung berät | |
Textilunternehmen in Sachen Nachhaltigkeit. Das Interesse an ökologischen | |
Naturfasern sei dort zuletzt stark gewachsen. | |
## Bisher ungenutzte Möglichkeiten | |
Für den Hanf sieht Heimann weitere Verwendungsmöglichkeiten: Man könne die | |
enorme Biomasseproduktion der Pflanze nutzen und aus den Stängeln einen | |
„Pulp“ herstellen. Die Cellulose ist die Basis, um im sogenannten | |
Lyocell-Verfahren eine moderne, umweltfreundliche Viskose zu produzieren. | |
„Wir haben das bei einem großen Hersteller in Österreich gemacht“, sagt | |
Heimann, „es hat funktioniert“. | |
Zu den Beobachtern des Ringens um die Hanffasern gehört seit Jahren auch | |
Andreas Muskolus, Agrarwissenschaftler am Institut für Agrar- und | |
Stadtökologische Projekte (IASP), einem An-Institut der | |
Humboldt-Universität Berlin. Es sei viel Forschung und Entwicklung ins | |
Thema geflossen, sagt er: „Technik und Wissen sind eigentlich da“. | |
Komme man zur Erkenntnis, dass sich die Märkte nicht von allein entwickeln, | |
könne man den Energiesektor zum Vorbild nehmen, überlegt er. Dort hätten | |
sich Alternativen zu fossilen Rohstoffen auch erst durch politische | |
Vorgaben entwickelt. Warum nicht über Quoten für Naturfasern nachdenken? | |
Dann könnte aus der Nische ganz schnell ein Markt werden. | |
6 Nov 2021 | |
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