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# taz.de -- Prioritäten von SPD, Grünen und FDP: Das lässt sich nicht schön…
> Die angehenden Koalitionäre debattieren lieber über Cannabis als über die
> wirklich drängenden Probleme wie die Energiewende. Das darf nicht sein.
Bild: Im Rausch der Koalitionsverhandlungen
Über Cannabis zu diskutieren ist ein bisschen, wie mit Betrunkenen zu
sprechen, die einem immer wieder das Gleiche erzählen: „Cannabis ist Gift“
(FAZ), „Recht auf Rausch“ (Spiegel) oder „Kommt die Kiffer-Koalition?“
(Bild.de). Umso erstaunlicher, dass die Menschen in Deutschland sich noch
immer brennend für das Thema interessieren: Seit Jahren googeln sie
„Cannabis“ häufiger als „Klimawandel“ oder „Hartz IV“.
Sich für die Legalisierung von Cannabis einzusetzen gehört zum Lifestyle
vieler junger Menschen. Da kann jede:r die Argumente für die Legalisierung
aufzählen, als wäre es das Vaterunser. Mitmachen geht auch, ohne Ahnung zu
haben: Einfach einen Sticker mit „Legalize it“ an den Uni-Spind kleben,
Hanf-Socken von H&M tragen und [1][ein witziges Video] von der
Drogenbeauftragten Daniela Ludwig (CSU) teilen: Haha, „Cannabis ist kein
Brokkoli“. In den vergangenen zwei Wochen allerdings drängelte sich das
Thema in die vorderen Reihen des nationalen Diskurses. Die Agenturen
veröffentlichten seit der Bundestagswahl Ende September stolze 81
Meldungen, in denen „Cannabis Legalisierung“ vorkam. Zum Vergleich: Zum
„Bürgergeld“ waren es nur 58. Auf Twitter schaffte es das
Legalisierungsthema seitdem fast jeden Tag in die Trends
([2][#Legalisierung2022], [3][#WirWollenCannabis]).
Tatsächlich scheint die Legalisierung von Cannabis in Deutschland so
greifbar wie nie. So schrieb die stellvertretende Grünen-Chefin Ricarda
Lang [4][vorletzte Woche Mittwoch bei Twitter]: „Um die tausenden Mails in
meinem Postfach zu befriedigen: Ich denke ganz fest an die Legalisierung
von Cannabis, versprochen.“ Und da die SPD zumindest für Modellprojekte mit
legalem Cannabis ist, sind derzeit über 60 Prozent des Bundestags für eine
Legalisierung. Sogar die unter Cannabis-Fans so verhasste Drogenbeauftragte
Daniela Ludwig sprach sich dafür aus, zumindest den Besitz weniger Gramm
Cannabis nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen.
Da die FDP und die Grünen bei den Bundestagswahlen vorn lagen bei den
jungen Wähler:innen, präsentierten sie sich nun als „Agenten der
Jugend“, das Thema Cannabis-Legalisierung kommt ihnen nun zupass. Sie
suchten nach „Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes“ – genau wie …
Medien. Und die fanden das Legalisierungsthema.
Bereits bevor das Sondierungspapier bekannt wurde, hatte die Neue
Osnabrücker Zeitung die Debatte neu angefacht: Zuerst zitierte sie den
Deutschen Hanfverband und – etwas überraschender – den Bauernverband, die
sich beide für eine Legalisierung aussprechen. Zwei Tage später kamen dann
die Gegenspieler zu Wort: Die Vorsitzenden der Polizeigewerkschaften
Gewerkschaft der Polizei und Deutsche Polizeigewerkschaft warnten vor der
Gefahr einer Legalisierung.
Als sich kurz danach der Arzt unseres Vertrauens im Bundestag – Karl
Lauterbach (SPD) – plötzlich für eine Legalisierung aussprach, gab es kein
Halten mehr. Sämtliche Zeitungen befragten nun alle, die halbwegs betroffen
sind: den Weltärztebund, den Lehrerverband, den Bund Deutscher
Kriminalbeamter, Politiker:innen, Aktivist:innen. Die Argumente sind
altbekannt: Das Gesundheitsministerium unter der CDU dagegen: Droge!
Lindner dafür: Eigenverantwortung! FAZ dagegen: Gift! Stern dafür:
Steuereinnahmen!
Während der Koalitionsgespräche ist es aber Aufgabe der Medien, die
wirklich wichtigen Themen im Blick zu behalten, bei diesen Fragen genug
Druck aufzubauen – anstatt sich vom Cannabis-Nebel ablenken zu lassen. Nur
als Erinnerung: Wir müssen die Energiewende so gestalten, dass auch in
kalten Winternächten genug Ökostrom zur Verfügung steht. Wir haben mit
Hartz IV ein System, das Menschen an das Existenzminimum zwingt und auf
Dauer zermürbt. Der nicht existierende Nahverkehr auf dem Land zwingt die
Menschen dazu, Auto zu fahren. Und es fehlen vielerorts Wohnungen.
## Die Cannabis-Legalisierung ist vergleichsweise unwichtig
Im Sondierungspapier liegt der Fokus zwar durchaus auf dem Klimawandel oder
der Digitalisierung – Cannabis kommt gar nicht vor. Doch wenn es darum
geht, wann genau der Kohleausstieg kommen oder wie hoch das Bürgergeld
eigentlich sein soll, wird es kompliziert. Da ist die Legalisierung von
Cannabis gemütlicher: Sie ist einfach zu verstehen, niemand muss
verzichten. Und sie bringt sogar Einnahmen. Die Regierung könnte sich als
modern und progressiv zeigen, ohne wirklich etwas zu verändern.
Die Cannabis-Legalisierung ist im Vergleich zu den großen Problemen
schlicht unwichtig: Für medizinische Zwecke ist Cannabis seit 2017
legalisiert, seit Juli wird dafür Cannabis auch in Deutschland angebaut. Es
geht nur noch um die Legalisierung von Cannabis als Freizeitdroge.
Klar wäre es schön, wenn es in allen Bereichen Verbesserungen gäbe:
effektiv den Klimawandel bekämpfen, ohne soziale Ungleichheiten zu
verstärken. Schulen sanieren, Deutschlands Bahnnetz und Internet ausbauen.
Die Europäische Union integrieren, Großkonzerne besteuern. Renten retten –
und die Cannabis-Legalisierung. Das wird aber nicht so sein. Und es wäre
falsch, wenn ausgerechnet der Cannabis-Legalisierung ein allzu großes
Gewicht beigemessen würde in den anstehenden Koalitionsrunden.
Die Medien sollten nicht ablenken. Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit,
mangelnde Infrastruktur: Die Probleme sind ohnehin viel zu groß, als dass
wir sie uns schönkiffen könnten.
24 Oct 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=L27ffKWOBBE
[2] https://twitter.com/hashtag/legalisierung2022?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwca…
[3] https://twitter.com/search?q=%23WirWollenCannabis
[4] https://twitter.com/ricarda_lang/status/1445633678982348801
## AUTOREN
Rebecca Ricker
## TAGS
Cannabis
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