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# taz.de -- Besuch auf der Cannabis-Messe in Berlin: Im Ampel-Rausch
> Alle Messebesucher sind euphorisch, dass die nächste Regierung Kiffen
> entkriminalisiert. Doch wie das aussehen könnte, dazu gibt es viele
> Meinungen.
Bild: Darum gehts
Berlin taz | Überall Gläser, bis oben gefüllt mit Cannabis. Auf den ersten
Blick könnte man meinen, die [1][Legalisierung der Droge, von der gerade
alle reden], ist bereits Realität. Doch das, was an gefühlt jedem zweiten
Stand auf der Cannabismesse Mary Jane drei Tage lang angepriesen wurde, ist
natürlich bloß CBD. Das sieht aus wie Gras, Dope, Pot – enthält aber kein
psychoaktives THC, sondern nur Cannabidiol und fällt deswegen nicht unter
das Betäubungsmittelgesetz.
In jedem Berliner Späti gibt es seit ein paar Monaten CBD zu kaufen, das
Produkt ist ein Renner. Auf der dreitägigen Messe in der Arena Treptow
bekommt man einen ganz guten Überblick, in welchen Formen CBD auf den Markt
gespült wird: Kekse, Schokolade, Muffins, Cremes, Kaugummis und Lollis
lassen sich mit den als harmlos geltenden Extrakten der Hanfpflanze
herstellen.
Der CBD-Hype, die Tatsache, dass medizinisches Cannabis in Deutschland
inzwischen erlaubt ist, ebenso dessen staatlich regulierter Anbau, und
natürlich die Aussicht, dass auch psychoaktives Cannabis von der nächsten
Regierungskoalition mit großer Wahrscheinlichkeit zumindest
entkriminalisiert wird, erzeugt eine ziemlich geschäftige Stimmung auf der
Messe von Freitag bis Sonntag. Mehr 200 Stände preisen hier alles rund um
das Thema Cannabis an. Die Palette reicht vom Bong-Fabrikanten bis hin zum
Anbieter von Bewässerungsanlagen für den Homegrower – und überall ist das
Gedrängel groß.
Dabei fällt auf, dass irgendwelche Kiffer-Klischees komplett fehlen.
Nirgendwo läuft entspannter Reggae oder lässt sich wenigstens ein Poster
von Bob Marley finden. Stattdessen dominiert das Marketing der
CBD-Anbieter, die ihre Erzeugnisse als total bio, entspannend,
schmerzlindernd und überhaupt wahnsinnig gesund anpreisen, als sei CBD das
neue Yoga. Das ist meilenweit entfernt vom Bild des Kiffers mit einem
Spliff in der Hand, dem die Augenlider herunterklappen und der Heißhunger
auf Schokolade hat.
Etwas aus dem Rahmen fällt da der Stand von Marita Winking-Egbert. Die
bietet ein Brettspiel für Kiffer an, das ihr Mann erfunden hat. „Dealer’s
Cup“ nennt es sich; es geht darum, als Dealer aufzutreten und im Laufe des
Spiels seinen Marktanteil am illegalen Handel mit Dope zu erhöhen.
Schon am zweiten Tag der Messe war alles ausverkauft, sagt sie; alle 200
Spiele seien bereits weg. Und hier, auf dem Spielbrett von „Dealer’s Cup“,
ist er endlich doch zu finden, der lachende Rasta mt Sonnenbrille, der eine
dicke Tüte in der Hand hält. „Das Spiel ist unser Beitrag zur
Legalisierung“, sagt Winking-Egbert. „Wir kiffen seit 40 Jahren und sind
dabei immer kriminalisiert worden. Natürlich hoffen wir, dass sich das nun
ändert.“
## Setzt sich die Apothekenlobby durch?
Sie glaubt, die Legalisierung werde kommen, „aber sie wird sich nicht so
gestalten, wie wir uns das vielleicht vorstellen“. An die Abgabe von
Cannabis in Fachgeschäften etwa glaubt sie nicht. Eher daran, dass sich die
Apothekenlobby durchsetzen, exklusiv Cannabis abgeben dürfe und damit die
Preise diktieren werde. Aber immerhin besser als gar nichts, findet sie.
Egal mit wem man spricht auf der Messe: alle sind sich sicher, dass sich
unter der sich andeutenden Ampel-Koalition in der nächsten Regierung der
Umgang mit Cannabis ändern werde. Für die Legalisierung sind natürlich auch
alle, schon rein aus geschäftlichem Interesse. Die zig Anbieter von Samen,
die meist aus Amsterdam kommen, hoffen beispielsweise, dass sie demnächst
auch ihre Samen für THC-haltige Hanfpflanzen direkt in Deutschland
vertreiben dürfen.
Aber wenn man sich mit den beiden jungen Frauen unterhält, die Pfeifen und
Bongs eines Kreuzberger Headshops anbieten, werden auch die Argumente
heruntergespult, die objektiv für eine Legalisierung sprechen. Die
Kriminalisierung des Gelegenheitskiffers habe ein Ende; der Konsument oder
die Konsumentin wäre nicht mehr einem Schwarzmarkt ausgeliefert und der
Gefahr, verunreinigtes Cannabis angedreht zu bekommen.
Wie genau das Cannabis-Gesetz der nächsten Regierung aussehen wird, dazu
hat jeder und jede auf der Messe eine eigene Meinung. Selbst ein Fachmann
wie Georg Wurth, Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes, kann nur
Prognosen abgeben. Wurth sagt, die Entkriminialisierung komme sicher.
Kommunale Projekte, bei denen die Abgabe von Cannabis erprobt wird, [2][so
wie die SPD das plant], werde es ebenfalls geben.
Schwieriger sei da schon die Frage zu beantworten, ob der Handel mit
Cannabis auch langfristig erlaubt wird und in welcher Form. Über die
Apotheken, wie sich das auch die FDP vorstellt, werde er jedoch nicht
laufen. “Die Apotheken sind für Kranke da, was will ich also als Kiffer in
der Apotheke?“ In Apotheken hätten außerdem Kinder und Jugendliche Zutritt,
gibt Wurth zu bedenken, und Cannabis sollte nicht dort verkauft werden, wo
sich auch diese aufhalten dürfen. Somit bleibe seiner Meinung nach nur die
Abgabe in Fachgeschäften mit speziellen Lizenzen.
## Deutschland, eine Kifferrepublik?
Verwandelt sich Deutschland dann über Nacht in eine Kifferrepublik, sobald
die Ampel steht? Daran glaubt Wurth nicht. Viele Fragen seien noch zu
klären. Was ist etwa mit dem Autofahrer, der vor drei Tagen einen Joint
geraucht hat: Drohen ihm dann immer noch drakonische Strafen? Das alles
müsse geklärt werden vor der ganz großen Liberalisierung. Gut zwei Jahre
würde dieser Prozess noch dauern. Falls er Recht hat, werden wohl auch noch
auf der Mary Jane 2022 die so lecker aussehenden Space-Cakes gar keine
sein, sondern bloß CBD-Kekse.
24 Oct 2021
## LINKS
[1] /Debatte-um-Cannabis-Legalisierung/!5809934
[2] /Nachrichten-zur-Regierungsbildung/!5807876
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Cannabis
CBD
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Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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