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# taz.de -- Geplante Ampel-Koalition: Keine identitätsfixierte Politik!
> Die Koalitions-Anbahnungen von Grünen, SPD und FDP sind „Pflegestationen
> für jeweils identitäre Politik“. Wo ist das Gemeinsame?
Bild: Wer sein Zeug nicht durchbringt, verliert an Identität. Tempo 130 ist da…
Die irrigste Annahme unserer Zeit ist, dass der Glückwunsch „Du bist ganz
der Alte geblieben“ ein Ausweis von Tugend sei. Das Gegenteil ist richtig.
Es bedeutet, dass jemand im Gestern vor sich hin muffelt. Ich, for example,
bin selbstredend nicht der Alte geblieben, sonst würde ich ja heute noch
„Seinfeld“ gucken und BAP hören. Wobei… das ist jetzt ein schlechtes
Beispiel.
Jedenfalls sind auch die Verhandlungen von Grünen, SPD und FDP über die
Politik der nächsten Bundesregierung geprägt davon, dass jeder so bleiben
kann und soll, wie er anders als die anderen ist. Das betrifft nicht nur
das Innen, sondern noch stärker das Außen, also die urteilende
Mediengesellschaft. Wer sein Zeug durchbringt, gilt hier als Gewinner. Wer
sein Zeug nicht durchbringt, gilt als Verlierer, und zwar verliert er an
Identität, was als superschlimm gilt. [1][Tempo 130] ist dafür das beste
Beispiel. Diese Verhandlungen, sagte mir ein Insider, erschienen ihm wie
„drei Pflegestationen für eine jeweils identitäre Politik“.
Die FDP soll FDP-Identität durchsetzen und die Grünen grüne Identität – u…
die mittelfristig ums Überleben kämpfende SPD steht ja längst auch nicht
mehr für das Ganze oder wenigstens das Halbe, sondern auch nur für ein Pi
mal Daumen gleichkleines „Wir“ wie die beiden anderen, zu dem sich bei der
Wahl pragmatische Merkelianer gesellt haben. Wenn der mutmaßliche nächste
Kanzler Olaf Scholz in der eigenen Partei weiter Ruhe haben will, kann er
zwar von dem Großprojekt eines Industrieumbaus reden, der das Soziale und
das Ökologische vereint, aber faktisch muss er identitätsstiftende
SPD-Politik liefern. Und die ist meist gegenwartsfixiert und
strukturkonservativ.
## Abgrenzung vom Gemeinsamen
Das Gesellschaftsspiel, das wir nun seit Jahrzehnten spielen, heißt
Abgrenzung. Von den anderen, vom Gemeinsamen. [2][There is no such thing as
society], das war nicht nur die böse Thatcher, das sind wir. Das ist Teil
der Moderne oder Spätmoderne, es ist Folge der Pluralisierung von
Gesellschaft und Individuum, es hat dem Einzelnen viel Freiheit und
Lebenslust gebracht. Aber als politische Kultur kommen wir nicht mehr
weiter, den Fokus auf das Anderssein zu richten, das „Eigene“ anzubeten und
das Gemeinsame strukturell zu verachten.
In Ansätzen wird bei den Koalitionsanbahnungen versucht, die drei kleinen
Wir zu einem politikfähigen Gemeinsamen zusammenzubinden. Dieser Versuch
geht offenbar vor allem von Robert Habeck aus. Die Grünen hatten ihren
Marsch zur Partei für die Gesamtgesellschaft ja im Wahlkampf abgebrochen,
was in eine krachende Niederlage mündete und Scholz Richtung Kanzleramt
beförderte. Nun rücken sie zurück ins Zentrum, und es ist fast rührend zu
sehen, wie sie sich als ehrlicher Makler der Gesellschaft positionieren.
Das Problem ist: Wenn die einen einfach nur ihr identitäres Ding
durchziehen wollen oder müssen, haben immer die schlechte Karten, die auf
das Gemeinsame zielen.
Nun ist die Welt, in der man es miteinander aushält, ob nun Geopolitik oder
Ehe, immer ein komplizierter Mix von sich durchsetzen und Kompromisse
machen. Und ohne sozialökologische Transformation sind wir echt im Arsch.
Aber wenn es – horribile dictu für identitäre Grünenfunktionäre –
ausgerechnet die Grünen sein sollten, die für eine gemeinsame Zukunft
eigene Identität abgeben, dann würde ich sie ausnahmsweise nicht dafür
verhöhnen, sondern würde sagen: Respekt.
7 Nov 2021
## LINKS
[1] /ARD-Deutschlandtrend/!5811737
[2] https://www.theguardian.com/politics/2013/apr/08/margaret-thatcher-quotes
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
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