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# taz.de -- Razzia bei Österreichs Konservativen: Im Panikmodus
> Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz gerät massiv unter Druck. Ihm
> wird Bestechung vorgeworfen. Der Skandal könnte die Ibiza-Affäre toppen.
Bild: Kämpft ums politische Überleben: Österreichs Kanzler Sebastian Kurz in…
Wien taz | Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale und bei engen
Mitarbeitern des [1][österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz] am
Mittwoch bergen eine Sprengkraft, die jene der Ibiza-Affäre noch überbieten
könnte. Ermittelt wird unter anderem gegen den Kanzler selbst, der der
Anstiftung zur Bestechung verdächtig ist.
Es geht um das Lancieren gefälschter Umfragen über den Boulevard zum Nutzen
von Kurz und auf Kosten der Steuerzahler. Der kometenhafte Aufstieg des
politischen Jungspunds vor fünf Jahren soll durch Fake-News und korrupte
Medienmacher maßgeblich befördert worden sein. Sebastian Kurz wies am
Mittwochabend in der Zeit-im-Bild 2 jede Verantwortung zurück: „In keiner
SMS gibt es von mir einen Auftrag oder ein Ersuchen etwas zu tun.“
Die Geschichte beginnt 2016. Sebastian Kurz war damals noch Außenminister
einer SPÖ-geführten Groko, als ÖVP-Chef und Vizekanzler fungierte Reinhold
Mitterlehner. Nach der Ablösung des glücklosen SPÖ-Chefs Werner Faymann
brachte der dynamische Christian Kern als neuer Kanzler frischen Wind in
die Regierung.
Unter anderem plante man, die kalte Progression abzuschaffen, was höchst
populär bei Steuerzahlern gewesen wäre. Darauf sah man im Klüngel rund um
den damals 29-jährigen Sebastian Kurz Handlungsbedarf. Wenn der ehrgeizige
Jungpolitiker ins Kanzleramt einziehen wolle, müsse Mitterlehner als
Parteichef abgeschossen und die Regierung gesprengt werden.
## Choreographierte Machtübernahme
Diese minutiös choreographierte Machtübernahme, auch „Projekt
Ballhausplatz“ genannt, wurde 2017 durch die Wochenzeitung Falter
aufgedeckt und dokumentiert. Mitterlehner hat das in seinem Buch Haltung:
Flagge zeigen in Leben und Politik aus seiner persönlichen Wahrnehmung
bestätigt.
Einem wesentlichen Detail dieser Verschwörung, die bisher in ihrer ganzen
Dimension nicht bekannt war, ist jetzt die Wirtschafts- und
Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auf der Spur. Demnächst könnte sie
Anklage gegen den Bundeskanzler, seine Getreuen und mehrere ehemalige
Minister – insgesamt zehn Beschuldigte – erheben.
Sophie Karmasin, im Zivilberuf Chefin eines Meinungsforschungsinstituts,
war damals ÖVP-Familienministerin. Auf Anweisung von Kurz, so die WKStA in
ihrer 104-seitigen Begründung für die Hausdurchsuchungen, habe Karmasin
2016 ihre Teilhaberin Sabine Beinschab veranlasst, stark frisierte Umfragen
zu verbreiten. Diese sollten dokumentieren, dass die ÖVP unter Mitterlehner
zum Untergang verurteilt sei, mit Sebastian Kurz an der Spitze aber
mehrheitsfähig werden könnte.
Als Plattform dafür bot sich das auflagenstarke Gratisblatt Österreich der
Gebrüder Wolfgang und Helmuth Fellner an. Die wurden dafür mit fetten
Anzeigen des Finanzministeriums von mehr als einer Million Euro belohnt. In
einem Chat-Verlauf unter den Kurz-Jüngern ist vom
„Beinschab-Österreich-Tool“ die Rede. Ein Chat zwischen Kurz-Pressesprecher
Johannes Frischmann und Thomas Schmid belegt, wie die Berichterstattung
rund um die gefälschte Umfrage aus dem Hause Kurz diktiert wurde.
## Mit Anzeigen verwöhnt
Ein Zusammenhang zwischen Inseraten und Grad der Jubelberichterstattung ist
offensichtlich. Kein anderes Medium wird so mit bezahlten Anzeigen der
ÖVP-Ministerien verwöhnt wie das Fellner-Blatt. In seinen Kolumnen
betitelte Wolfgang Fellner den Kanzler lange Zeit als „Basti-Fantasti“.
Jeden Sonntag erscheinen Umfragen, in denen Kurz und die ÖVP besser
abschneiden als in den Erhebungen anderer Institute.
Erste Quelle für die entlarvenden Chat-Verläufe ist das Handy von Thomas
Schmid, das in Zusammenhang mit einer anderen Affäre von der Justiz
beschlagnahmt worden war. Als Chef der Staatsholding ÖBAG musste er
deswegen zurücktreten und ist seither abgetaucht.
Schmid, ein Intimus von Kurz und dem heutigen Finanzminister Gernot Blümel,
war damals Generalsekretär im Finanzministerium und offenbar Schatzmeister
des „Projekts Ballhausplatz“. Seine SMS legen nahe, dass er selbst Sabine
Beinschab zum Legen von Scheinrechnungen angestiftet hat: „Die Kosten für
die offenen (Studien, Anm. d. Red.) packst Du dann in die Studie zur
Betrugsbekämpfung rein“.
Die ÖVP befindet sich schon seit Tagen im Panikmodus. Letzte Woche hatte
Vize-Generalsekretärin Gaby Schwarz in einer skurrilen Pressekonferenz die
Presse beschuldigt, Gerüchte über bevorstehende Razzien bei der ÖVP in die
Welt zu setzen und versichert, die Ermittler würden nichts Belastendes
finden: „Es ist nichts mehr da“. Tags darauf rückte der Abgeordnete Andreas
Hanger aus, um vor „roten Zellen“ in der WKStA zu warnen. Auch Kurz selbst
hat den Korruptionsermittlern immer wieder politische Voreingenommenheit
gegen seine Person vorgeworfen.
## Grüne stellen Kurz' Handlungsfähigkeit in Frage
Während die Oppositionsparteien eine Sondersitzung des Nationalrats
einberufen haben, die binnen acht Werktagen stattfinden muss, und einen
Misstrauensantrag gegen Kurz vorbereiten, stellen nach einer Schrecksekunde
jetzt auch die Grünen die Handlungsfähigkeit von Kurz in Frage. Vizekanzler
Werner Kogler lud die anderen Parteien zu Allparteiengesprächen ein. Auch
beim Bundespräsidenten bat er um einen Termin. Staatsoberhaupt Alexander
Van der Bellen kann den Kanzler oder die ganze Regierung entlassen.
Falter-Chefredakteur Florian Klenk fordert sie in einem Tweet auf, der in
die Enge getriebenen ÖVP ein Mediengesetz abzupressen, das mit der
institutionalisierten Anzeigenkorruption aufräumt.
Die WKStA hat in einer schlüssigen Argumentation ein Netzwerk von Verrat,
Bestechung, Veruntreuung von Staatsgeldern und Medienkorruption gezeichnet.
Sie sieht Sebastian Kurz, der selbst in seinen SMS meist nur auf
Erfolgsmeldungen seiner Getreuen freudig und mit Smileys reagiert, als
Mastermind dieses Netzwerks. Wenn sie ihm das auch nachweisen kann, drohen
ihm bis zu zehn Jahre Haft. Im TV-Interview reagierte er zwischen
aggressiv, ablenkend und weinerlich: „„Warum soll an jedem Unrecht immer
ich schuld sein?“.
In der konservativen Tageszeitung Die Presse sieht Oliver Pink in seinem
Leitartikel jedenfalls schon das Ende heraufdämmern: „Die türkise ÖVP steht
vor der Implosion, [2][die türkis-grüne Regierung vor der Explosion].“
7 Oct 2021
## LINKS
[1] /Ibiza-Affaere-in-Oesterreich/!5772142
[2] /Oesterreich-blickt-auf-die-Bundestagswahl/!5803419
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Österreich
Sebastian Kurz
ÖVP
Bestechung
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Sebastian Kurz
Kolumne Der rote Faden
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Grüne Partei Österreich
Grüne Partei Österreich
Kolumne Die Wahrheit
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