| # taz.de -- Österreich blickt auf die Bundestagswahl: Erfolgreich, aber qualvo… | |
| > Seit 2020 regieren die Grünen mit der konservativen ÖVP. Einiges konnten | |
| > sie durchsetzen, anderes verhindern. Die Entscheidung sei richtig | |
| > gewesen. | |
| Bild: Minister Wolfgang Mückstein (Die Grünen) und Sebastain kurz geben eine … | |
| Wien taz | Das Kleeblatt für die Merkel-Nachfolge ist auch in Österreichs | |
| Medien allgegenwärtig. Trielle und Wahlkampfreportagen werden mit Spannung | |
| verfolgt. Kanzler Sebastian Kurz hat sich für Armin Laschet stark gemacht, | |
| in der SPÖ freut man sich über den unerwarteten Aufstieg von Olaf Scholz. | |
| Und die Grünen sind ein wenig neidisch, dass die deutsche Schwesterpartei | |
| zumindest zwei Koalitionsmöglichkeiten hat. Sie hatten vor zwei Jahren nur | |
| die Wahl zwischen Opposition und dem Dasein als Juniorpartner der | |
| Konservativen. | |
| „Anstrengend“ sei es, mit der ÖVP zu regieren, sagt eine österreichische | |
| Grün-Aktivistin mit Einblick in den Regierungsalltag, manchmal sogar | |
| „ekelhaft“. Dennoch ist sie „der Überzeugung, dass es die beste | |
| Entscheidung war“, mit den Türkisen von Bundeskanzler Sebastian Kurz eine | |
| Koalition einzugehen. Denn in der Opposition hätte man es zwar bequemer, | |
| aber umsetzen könne man nichts. | |
| Im Januar 2020 unterzeichneten die Grünen einen Koalitionspakt mit der | |
| konservativen ÖVP, deren Allianz mit der rechtspopulistischen FPÖ im | |
| Gefolge des Ibiza-Video-Skandals vom Mai 2019 geplatzt war. Sebastian Kurz, | |
| der seine Wahlerfolge mit den Leib-und-Magen-Themen der FPÖ eingefahren | |
| hatte, war nicht verlegen, den politischen Schwenk mit einem griffigen | |
| Slogan zu verkaufen: „Das Beste aus beiden Welten“ würde die neue Regierung | |
| darstellen. | |
| Aus Sicht der ÖVP war das eine solide Wirtschaftspolitik, gepaart mit einer | |
| verantwortungsvollen Sicherheits- und Asylpolitik auf der einen Seite und | |
| [1][eine erfrischende Umwelt- und Klimapolitik], für die die Grünen stehen. | |
| Die Koalitionspartner verpflichten sich, einander im Parlament nicht zu | |
| überstimmen. | |
| Aber schon im Koalitionsvertrag verankerte die ÖVP ein Hintertürchen, das | |
| es ihr erlaubte, in Krisenfällen, etwa angesichts einer neuen | |
| Migrationswelle, andere Mehrheiten zu suchen. Im Klartext: Wo die grünen | |
| Gutmenschen nicht die nötige Härte zeigen, holen wir uns die Stimmen der | |
| Antiausländerpartei FPÖ. | |
| ## Permanenter Ausnahmezustand | |
| Die Corona-Krise, die wenige Wochen nach Regierungsantritt über Österreich | |
| herein brach, versetzte auch die Koalition in einen permanenten | |
| Ausnahmezustand, in dem es galt schnell und konsequent zu handeln. | |
| [2][Meinungsverschiedenheiten] gab es anfangs höchstens bei der Strenge des | |
| Lockdowns. Sebastian Kurz hätte die Bevölkerung am liebsten ganz zu Hause | |
| eingesperrt. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) setzte durch, dass die | |
| Menschen zum Sport und Spazierengehen an die frische Luft durften. | |
| Die Aktivistin, die nicht namentlich genannt werden will, weiß von „vielen | |
| Dingen, die man verhindert hat“. Vor allem im Sozialbereich würden die | |
| Grünen hinter den Kulissen Verbesserungen durchsetzen und | |
| Verschlechterungen verhindern. Das reiche von Einmalzahlungen an | |
| Arbeitslose während der ersten und zweiten Pandemiewelle bis zur | |
| Berücksichtigung von Menschen mit ausländischem Konto bei Zahlungen aus dem | |
| Härtefallfonds. Das betrifft vor allem Pflegekräfte, die ihren Wohnsitz in | |
| Rumänien oder der Slowakei haben. | |
| Selbst auf dem heiklen Gebiet der inneren Sicherheit hätte der kleine | |
| Koalitionspartner sich erfolgreich gegen eine weitere Aufrüstung quer | |
| gelegt. In der Öffentlichkeit entstehe zu Unrecht der Eindruck, die ÖVP | |
| könne mit den Grünen ihre Rechtsaußenpolitik fortsetzen. Da ärgert sich die | |
| Aktivistin oft über die Medien. | |
| In vertraulichen Gesprächen würden hingegen die Asyl- und | |
| Menschenrechtsorganisationen anerkennen, dass zuletzt dank der Grünen | |
| zumindest keine Verschärfungen imAusländerrecht verabschiedet worden seien. | |
| Auch die SPÖ, die jetzt die Grünen von links kritisiert, habe sich da in | |
| der Koalition mit der ÖVP nicht mit Ruhm bekleckert, selbst wenn sie den | |
| Kanzler stellte. | |
| ## Hämische Kommentare | |
| Geht es nach den progressiven Twitter-Blasen, hätten die Grünen die | |
| Koalition längst platzen lassen müssen. Jede Abschiebung von gut | |
| integrierten Asylwerbern, jede beharrliche Ablehnung von Aufnahmen | |
| afghanischer Frauenrechtlerinnen, die der kleine Koalitionspartner nicht | |
| verhindern kann, werden dort mit Häme und dem Versprechen, „nie wieder | |
| wähle ich grün“ quittiert. | |
| Auf der Homepage der Grünen ist ein Dokument namens „75 Wochen – 75 | |
| Erfolge“ abrufbar. Es zählt die Errungenschaften nach anderthalb Jahren | |
| grünen Wirkens in der Bundesregierung auf. Das reicht von grünen | |
| Investitionen über mehr Geld für Frauenprojekte und ein Verbot von | |
| Plastikmüllexport bis zum Klimaticket und schärferen Strafen für | |
| Verkehrsrowdies. | |
| Zwar ist Vieles noch im Planungsstadium oder muss erst mit konkreten | |
| Inhalten gefüllt werden, doch liest sich die Bilanz beeindruckend. „Im | |
| Rahmen des Wiederaufbau-Programms ‚Next Generation EU‘ müssen mindestens 37 | |
| Prozent des Geldes in Klimaschutzmaßnahmen fließen. Das GRÜNE Österreich | |
| übertrifft diese Marke deutlich: Bei uns werden 46 Prozent der | |
| Investitionen direkt in den Klimaschutz fließen – etwa in emissionsfreie | |
| Busse oder in einen Reparaturbonus, damit weniger weggeschmissen wird“, | |
| heißt es da zum Beispiel. | |
| Die stolze Aufzählung enthält naturgemäß keine der heroischen | |
| Verhinderungstaten. Und sie zeigt, dass die Grünen beim Verkauf ihrer | |
| Leistungen der hoch professionellen PR-Maschinerie der ÖVP gnadenlos | |
| unterlegen sind. Bundeskanzler Kurz wird auch nicht rot, wenn er Erfolge, | |
| die die Grünen mit viel Beharrlichkeit durchgesetzt haben, als eigene Taten | |
| verkauft. So zuletzt die Vervierfachung des Auslandskatastrophenfonds in | |
| den ORF-Sommergesprächen. | |
| ## Erfolge im Justizbereich | |
| Auch eine andere hochrangige Grüne, die die heiklen Fragen lieber anonym | |
| beantwortet, bereut den Pakt mit der ÖVP nicht: „Nein – dann hätte | |
| Österreich wieder Türkis-Blau und das wäre unerträglich.“ Zusatz: „Aber… | |
| ist beinhart.“ Sie verweist auch auf eine Reihe von Erfolgen im | |
| Justizbereich, wo die ÖVP peinliche Ermittlungen nicht mehr durch einen | |
| Anruf im richtigen Büro abdrehen kann. | |
| Man dürfe nicht vergessen, so heißt es auch unisono bei grünen | |
| Verantwortungsträgern, dass die Grünen vor zwei Jahren gar nicht im | |
| Parlament vertreten waren und bei ihrem Wiedereinzug nach den Wahlen vom | |
| Oktober 2019 auf kein Unterstützungspersonal zurückgreifen konnten, keine | |
| Büros hatten und gegenüber der gut geölten Propagandamaschine der ÖVP | |
| hoffnungslos im Nachteil waren. | |
| Hätten die österreichischen Grünen, wie vermutlich demnächst die deutschen, | |
| die Alternative einer Koalition mit den Sozialdemokraten gehabt, hätten sie | |
| sich zweifelsfrei für Rot-Grün entschieden. Aber „in Umwelt- und | |
| Klimafragen würden wir uns mit der SPÖ genauso schwer tun,“ sagt die | |
| Aktivistin. „Das ist eine richtige Betoniererpartei.“ | |
| 25 Sep 2021 | |
| ## LINKS | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
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