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# taz.de -- Die Wahrheit: Sektierer-Pingpong
> Auf der Buchmesse in Frankfurt war keine Zeit für
> Weltuntergangsprophezeiungen. Stattdessen knallten die Korken des
> Marktglücks.
Seit dreißig Jahren höre ich immer wieder einen Satz von Lesern, die auf
der Buchmesse das Gespräch suchen: „Es sind gerade gute Zeiten für die
Satire.“ Meist stimme ich dann zu. Denn in das Gezeter von greisen
Weltuntergangspropheten, dass die Zeiten schlecht seien wie nie, würde ich
nie verfallen. Ein vorsichtig optimistischer Grundton ist der Antrieb jedes
Satirikers. Sonst könnte man sich ja gleich die Tucholsky-Überdosis geben.
Meist antworte ich dann, dass jede Zeit ihren eigenen Irrsinn hat, der sich
schlecht mit anderen Formen des Irrsinns vergleichen lässt. Sicher gebe es
im Laufe der Geschichte Wellen des Wahnsinns, und offenbar surfen wir
momentan auf einer Schaumkrone. Aber wer weiß, was künftige Fluten noch
alles anschwemmen werden?
Und wenn ich weiter gefragt werde, wie sich das Satire-Verständnis der
Deutschen verändert hat, dann führe ich aus, dass es immer noch die ewig
gleich Verstockten gebe. Dazu gehören die Gläubischen, die auf jeden
Knopfdruck sofort in die Luft gehen. Es ist immer noch einfach die
berühmten fünf Knöpfe zu drücken: Religion, Sex, Kinder, Hunde und Hitler.
Und doch hat sich etwas verändert. Ohne allzu kulturpessimistisch zu
klingen, lässt sich konstatieren, dass sich manche jungen Leute in ihrem
Kränkungsfetischismus und ihrer Stellvertreterbetroffenheit sektenartig
ideologisiert haben. Neu ist ebenfalls, dass Linke wie Rechte Satire immer
häufiger als (juristische) Entschuldigung heranziehen für brutale Hetze
oder dummes Zeug, ohne auch nur zu ahnen, was Satire ist.
Linke und Rechte geben sich da nicht viel: Die hohe Kunst der Ironie wird
gehasst. In der aktuellen Spiegel-Titelgeschichte heißt es beispielsweise
über den kürzlich geschassten Bild-Chefredakteur: „Reichelt trieb dem
Boulevardblatt jede Ironie aus.“ Man kann über das Blut-und-Sperma-Blatt
denken, wie man will, früher wurde jedenfalls mehr über die
Scheußlichkeiten von Bild gelacht. Und sei es nur als sarkastisches
Glucksen. Julian Reichelts Treiben allerdings ist nur der Spiegel einer
Journalistengeneration, deren sektiererische Humorfreiheit mitunter
verblüfft. Vor allem, da ähnliche Tendenzen überall durchschlagen.
Der neue Grundton ist ein Freund-Feind-Denken, das auf dem Hauch von
Buchmesse, der 2021 in Frankfurt stattfand, zu einem lukrativen
Sektierer-Pingpong führte: Ein unerheblicher rechter Verlag, dessen Bücher
ein Minimalpublikum erreichen, wird hochgepuscht. Das Buch der
Aufbauscherin wie der Stand der Rechtsklitsche waren fortan in jedem
Messebericht zu sehen. Wahrscheinlich knallten in beiden Verlagen zur
gleichen Zeit die Korken des Marktglücks. Das nennt sich Frankfurter
Geschäftsgebaren.
Und trotzdem oder gerade deshalb bleibt kein Platz für Pessimismus: Es sind
gerade, vorsichtig optimistisch betrachtet, gute Zeiten für die Satire.
26 Oct 2021
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Satire
Literatur
Wolfgang Kubicki
Schwerpunkt Atomkraft
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Die Wahrheit
Mode
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