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# taz.de -- Die Wahrheit: Irre kirre Jugend
> Bei einer Fahrt mit einer Fähre auf einem Fluss erklärt eine junge Funzel
> am Firmament des Wissens die Örtlichkeiten am Ufer.
Bild: Selbst zum Umfallen zu dumm: Wintersportler hart an der Kante
Auf einer fünftausend Jahre alten sumerischen Tontafel ist zum ersten Mal
in der Geschichte der Menschheit die Klage über die „Jugend von heute“
festgehalten: „Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein
ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und
ist ablehnend gegen übernommene Werte.“ Was die Sumerer können, das kann
ich schon lange …
Auf dem Fluss. Rio Gilao. Fahrt von der Insel im Atlantik zum Stadthafen.
Mir fiel die alte Legende ein, nach der sich der Ritter Gilao und die
Prinzessin Sequa verliebten. Heimlich trafen sie sich auf der Römerbrücke
und wurden vor dem Morgengrauen von ihren verfeindeten Familien überrascht.
Mit einem Sprung über die Brüstung flüchteten sie und wurden zu den beiden
Flüssen Gilao und Sequa.
„Auf dem Fluss“. Das war vor dreißig Jahren der Titel meiner
Magisterarbeit. Über eine Antikenerzählung: Der Aristotelesschüler Lampon
fährt zu Zeiten Alexanders des Großen auf einem Schiff den Euphrat hinab.
Der Fluss, schloss ich seinerzeit, steht als Metapher für den Strom der
Geschichte.
Die Fähre war dicht gefüllt. Es herrschte Maskenpflicht an Bord der „Amo
Zuca“, was so viel heißt wie: „Ich liebe das Blaue“. Allerdings gibt es
auch die Bedeutung „verrückt“ in der Wendung Zuca Maluca. Ein
lautmalerisches Hendiadyoin. Auf Deutsch etwa: „Irre kirre.“
Kirre machte mich bald das Pärchen, das sich auf den Platz gegenüber
setzte. Eine junge deutsche Studierende, die offenbar schon öfter in der
Gegend gewesen und nun zur Betreuung ihres Cousins abgestellt war. Seine
Rolle war es, ab und zu ein stumpfes „Aha“ auszustoßen. Sie erklärte ihm
die Örtlichkeiten am Ufer. Wobei das Wort „erklären“ zu viel Gewicht hat,
denn unsere Heldin war eher eine Funzel am Firmament des Wissens, sie
laberte das Blaue vom Himmel. Und ich biss stumm in meine Maske.
„Was das für weiße Berge sind, weiß ich nicht, irgendwas machen die Leute
hier damit“, kommentierte sie die Salinenhalden links und rechts. Noch war
nicht zu ihr durchgedrungen, dass Menschen am Meer seit Jahrtausenden von
der Salzproduktion leben.
„Es gibt hier auch so lange schwarze Schoten, damit machen die Leute auch
irgendwas“, fuhr sie fort, „wie die heißen, weiß ich nicht.“ Johannisbr…
Alfrarobba. Schmeckt als Pulver ein wenig wie Kakao. Die Samen wurden in
der Antike als Gewichte eingesetzt, weil sie angeblich immer gleich schwer
sind. Aus dem arabischen Wort qirat entstand das „Karat“, die Maßeinheit
für Gold und Edelsteine. Man kann aus dem Johannisbrot aber auch einen
Aguadente brennen. Der leider fehlte auf der „Amo Zuca“. Das kräftigende
Feuerwasser hätte ich gut gebrauchen können, denn bis in den Hafen fuhren
wir weiter durch die tiefen Abgründe der Unwissenheit.
Wer da nicht die Klage über die Jugend von heute anstimmen will, der muss
sich über die Reling in den Strom der Geschichte stürzen.
15 Dec 2021
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Jugend
Wissen
Dummheit
Wintersport
Wolfgang Kubicki
Schwerpunkt Atomkraft
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Picknick
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