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# taz.de -- Die Wahrheit: Ananas und Ahornsirup
> Die Kanada-Woche der Wahrheit: Die Gewinner des
> Wahrheit-Unterbringwettbewerbs 2020/21. Die Sieger des Jieper-Preises
> stehen fest.
Bild: Die Wahrheit-Gräte im jiepernden Feierrausch
Satte 30 Jahre hat die gute, alte Wahrheit inzwischen auf ihrem
Seitenbuckel, und trotz der schweren Last der Zeit geht sie immer noch
aufrecht und heiter durchs journalistische Leben – auch weil es ihr stets
aufs Neue gelingt, Schreiber und Leser zu allerlei Unfug zu animieren.
Als sie noch ein Jungspund von mickrigen neun Jahren war, gönnte sich die
Wahrheit zu Beginn des neuen Jahrtausends einen eigenen Preis und rief im
Jahr 2000 den Wahrheit-Unterbringwettbewerb aus. Ein Nonsenssatz sollte
irgendwo in den Medien untergebracht werden. Der allererste Satz des
Wettbewerbs lautete: „Wer Jieper hat, muss schmackofatzen“. Danach wurde
dann auch der Gewinn benannt, der Jieper-Preis, eine Flasche edlen Brandys
der Marke Gran Duque d’Alba, die zum Hausgetränk der Wahrheit und fortan
nur „Die große Ente“ genannt wurde. Erster Preisträger war die FAZ, die d…
Jieper-Satz unter ein Bild des damaligen Finanzministers Hans Eichel beim
Golfen schrieb.
Ein würdiger Gewinner, dem viele kleine und größere Medien folgten – von
abseitigen Regionalblättern bis zu würdevollen Staatsorganen,
stellvertretend erwähnt seien hier nur das ARD-Magazin „Brisant“, die
Science-Fiction-Reihe „Perry Rhodan“ oder der Regental-Anzeiger.
Im Laufe seiner mittlerweile über 20-jährigen Geschichte entwickelte sich
der Jieper-Preis zur wichtigsten Auszeichnung der Frankfurter Buchmesse,
seine Verleihung war stets einer der Höhepunkt der samstäglichen
Publikumstage, wenn die Gewinner von den Wahrheitklub-Mitgliedern nach
bester Tradition der Wahrheit nicht beklatscht, sondern kräftig ausgebuht
wurden. Bis zum Jahr 2020, als die ganze, große Scheiße mit C begann und
damit auch den weltberühmten Unterbringwettbewerb jäh stoppte.
## Zurechtgeklöppelter Spruch
Was tun?, fragten sich die Lenin-geschulten Wahrheit-Redakteure. Den
Wettbewerb ausfallen lassen? Den Preis nicht vergeben? Den Nonsenssatz zu
Kanada einfach wegwerfen? Denn jedes Jahr bezieht sich der
zurechtgeklöppelte Spruch, der untergebracht werden muss, auf das
Partnerland der Buchmesse, und das war 2020 nun mal Kanada. Bislang waren
immer kleine Meisterwerke den kruden Hirnwindungen der Wahrheit-Redakteure
entsprungen: „Was für Konfuzius Konfetti, sind für Chinesen die Spaghetti“
(2009) oder „Von Rio bis zum Orinoco tanzt den Samba jede Gamba“ (2013)
oder „Wie von Sinnen sind die Finnen, krault man ihnen an den Kinnen“
(2014) oder „Ohne Igel an den Orgeln keine Orgien in Georgien“ (2018). Und
das sollte nun nicht mehr sein? Bittere Tränen gruben tiefe Gräben in die
Gesichtslandschaft der Wahrheit.
Zum Glück aber entschied irgendeine höhere Stelle, die Buchmesse einfach im
Jahr 2021 zu wiederholen oder neu anzusetzen, mit dem selben Ehrenland
Kanada. So konnte die Wahrheit das tote Jahr 2020 einfach ignorieren und
den Wettbewerb ins nächste Jahr hinüberziehen. Der Kanada-Satz blieb
erhalten und wurde von den Teilnehmern fast zwei Jahre lang eifrig in
allerlei entlegenen oder populären Medien untergebracht. Und der Satz
lautete: „Was Ananas für Piña Colada, ist Ahornsirup für Kanada.“
Wie immer eröffnete im September 2020 das treue Bad Herrenalb Magazin den
Reigen der Unterbringer und veröffentlichte auf einer Doppelseite das „1.
Kreativ Projekt“ des Magazins – mit Zeichnungen, einem Scherenschnitt,
Kurzgeschichten und sogar einem Akrostichon, bei dem die ersten Buchstaben
jedes Wortes untereinander den Kanada-Satz ergaben. Was für eine
unglaubliche Mühe! Das bringt zumindest ein höchstes Lob für derlei hohen
Unfug.
Im Debattenmagazin Gegenblende.de veröffentlichte schon im August 2020 der
visionäre Politkommentator und ehemalige taz-Redakteur Daniel Haufler ein
weit- und hellsichtiges Stück über Olaf Scholz und die SPD, die „eine
Chance bei der nächsten Bundestagswahl haben“. Manch einer mag damals
gelacht haben, zumal Haufler am Schluss seines Essays erklärt, wie die SPD
die Wahl gewinnen kann: „Vielleicht denkt sie zur Entspannung auch mal an
den alten Spruch: Was Ananas für Piña Colada, ist Ahornsirup für Kanada.
Dann wird’s schon klappen.“ Ein wahrer Visionär. Kann es ein, dass sich die
SPD daran gehalten und deshalb die Bundestagswahl gewonnen hat?
Wegen der Pandemie, freute sich der Nabu Worms-Wonnegau, könne man am
Unterbring-Wettbewerb teilnehmen und den Kanada-Satz in das Jahresheft 2021
einbauen, mit dem die „Hartholz-Auenwälder“ als „Pflanzengesellschaft des
Jahres 2021“ gefeiert wurden. Wozu Ananas und Ahornsirup so alles dienen
können!
## Denkende Dackel
Im Stuhrer Ortsboten hingegen können sogar Dackel denken. In einer
Geschichte über einen Kinderchor taucht ein Hund namens Fritz auf und macht
sich seine Gedanken: „‚Hoffentlich singen sie nicht das Lied von der großen
Ente‘, denkt Dackel Fritz hinterher. Das Lied mag er nämlich überhaupt
nicht. Vor allem die Zeile ‚Was Ananas für Piña Colada, ist Ahornsirup für
Kanada‘.“ Stuhr ist eine kleine Gemeinde südlich von Bremen. Dort werden
offenbar schon die Kinder frühzeitig an Piña Colada und das alkoholische
Denken herangeführt.
Gleich dreimal versuchten Redakteure des Billig-Magazins tag24 aus Hamburg,
Stuttgart und Frankfurt, den Kanada-Satz in leicht schmuddelige Porno-Texte
zu schmuggeln. Obszön, aber nicht schön.
Die bislang ungewöhnlichste Einreichung der Corona-Zeit stammt von einem
hochfliegenden Journalisten namens Lars-Henrik Wacker, der den „magischen
Satz“ in seinem Skisprung-Podcast „LHW to go“ fallen ließ. Die erste
Unterbringung in einem Podcast! Das nennen wir Magie der Lüfte. Da heben
wir alten Skideppen-Hasser vor Begeisterung glatt ab.
Den süßesten Beitrag lieferte wieder einmal der „Süßkramladen“ aus Für…
den auf Facebook „Piña-Coladakuchen“ bis in die Träume einer kanadischen
Backstube verfolgte. Hier reicht es erneut nicht für den Gewinn, ein
Hinweis auf die für alle süßen Arten der Korruption empfänglichen
Wahrheit-Redaktion sollte fürs nächste Mal als Zaunpfahl genügen.
Auf die harte Tour kam Kay „Heavy“ Uwe für den bermudafunk Mannheim daher.
In seiner monatlichen Heavy-Metal-Sendung „These Times are Heavy“ hatte der
Metalhead alles zum Thema „Über Cannabis und Ahornsirup: Hehehehe …“
durchgezogen. Heavy high durch Sirup! Das kann ja nicht gutgehen!
## Geschüttelte Österreicher
In Österreich ist schon lange etwas in Unordnung geraten. Und so analysiert
der freie Journalist Christian Bartlau in seinem letzten
Österreich-Newsletter „Aufstieg und Fall“ des ehemaligen FPÖ-Vorsitzenden
Heinz-Christian Strache, der bei Wahlen immer „die geheime Zutat“ sei,
„ganz nach dem alten Barkeeper-Motto: ‚Was Ananas für Piña Colada, ist der
Ahornsirup für Kanada.‘“ So gerührt, nicht geschüttelt können nur
Österreicher analysieren!
Im Kulturmagazin Weschnitz-Blitz, einem nach eigener Aussage
„Musterbeispiel an regionalem und saisonalen Qualitätsjournalismus“, ist
die Weltlage noch beschaulich. Hier geht es um den „Redaktionshamster
Egbert“ und einen „falsch verstandenen Hamsterkauf während der
Corona-Wirren“, der mit unserem Lieblingssatz erklärt wird. Leider hat
Egbert die Spielregeln nicht ganz verstanden und bezeichnet unseren
großartigen spanischen Brandy als „französisches
Rachen-Desinfektionsmittel“! So nicht, Ihr Hamster-Herrschaften!
Weniger tierisch, dafür aber hochtechnologisch stiegen die Nerds des
„größten IT-Magazins Europas“ c’t in den Wettbewerb ein und „schmück…
ihrer Sonderausgabe c't Retro 2020 „mit dem Ananas-Satz Bilder früher
Windows-Versionen“. Nonsens-Sätze als Schmuck für Technik-Freaks, die in
die Geschichte zurückblicken – es wird immer besser!
Mit dem Coburger Tageblatt und der Kolumne „Vesteblick“ von Simone Bastian
geht es langsam auf die Zielgerade des diesjährigen Unterbring-Wettbewerbs.
Im oberfränkischen Coburg war sich die Lokal-Crew nicht ganz sicher, was
der Kanada-Satz bedeuten soll. Per „Schwarmintelligenz des Redaktionsteams“
versuchte man, über den fremden Ahornsirup zur nahen Bratwurst mit Senf,
also in heimische Genussgefilde zurückzufinden. Auf der Strecke blieb
leider ein wenig die Intelligenz. Aber für Franken reicht es!
## Zielorientierte Erfolglosigkeit
Welches Medium fehlt eigentlich noch? Ach ja! Zur Buchmesse nicht schlecht
wäre ein Buch, in das der sirupöse Satz hineingefunden hat. Den Gefallen
tat uns Dr. Christine Flaßbeck, die im wissenschaftlichen Springer-Verlag
ein Werk vorlegte, bei dem man sich nicht ganz entscheiden kann: ein Gewinn
oder doch eher nicht? „Easy entscheiden – Ratgeber für den
Entscheidungsboost“ heißt der Titel und erklärt in Kapitel 3.1, wie „Ziele
planen“ möglich ist: „Ohne die besonderen Details ist Ihr Ziel nicht
hinreichend präzise und letzten Endes vielleicht nicht das, was es sein
sollte. Finden Sie heraus, was unbedingt zu Ihrem Ziel dazugehört.
Sozusagen: Was Ananas für Piña Colada, ist der Ahornsirup für Kanada. Ohne
geht es nicht!“ Nicht schlecht, und dennoch nicht zielführend, denn für den
Sieg hat es letzten Endes nicht gereicht.
Gewinnerin des Wahrheit-Unterbringwettbewerbs 2020/21 ist die sonst so
schnarchsäckige Wochentante Die Zeit. Die gewöhnlich sehr humorfrei
daherkommende Lehrerpostille hat nämlich ein Ressort, dem es immer wieder
gelingt, uns zu überraschen: das „Wissen“. Mit dem dort speziell tätigen
Redakteur Urs Willmann. Der schweizerischste aller Zeitler hat den
bekannten Sportklassiker „Laufen“ des Wissenschaftlers Bernd Heinrich
wieder ausgegraben und erklärt nun in seinem Artikel, warum „manchmal
Dilettanten die besten Bücher schreiben“. Willmann berichtet, dass der
damals 60-jährige Amerikaner ein „hanebüchenes Experiment“ veranstaltet u…
sich angeblich bei einem „knapp nicht gewonnenen Ultramarathon“ in Kanada
„nur von Ahornsirup ernährt“ habe. „Massiv dehydriert“ habe der Sportl…
behauptet: „Was Ananas für Piña Colada, ist der Ahornsirup für Kanada.“…
ist derart hanebüchen erfunden, dass uns vor Lachen schier die Siruptränen
übers Gesicht liefen. Das ist aller Wahrheit-Ehren wert. Der Jieper-Preis
2020/21 geht an Urs Willmann von der Zeit. Der damit nach 2010 verdient
bereits zum zweiten Mal gewinnt.
Überreicht wird die Auszeichnung in diesem Jahr ausnahmsweise nicht auf der
Buchmesse, weil die Corona-Bestimmungen feucht-fröhliche Veranstaltungen
verbieten. Deshalb wird „die große Ente“ am 11. 11. 2021 ab 19 Uhr in der
taz-Kantine in Berlin-Kreuzberg bei der großen Wahrheit-Lesung anlässlich
des Jubiläums „30 Jahre Wahrheit“ übergeben und mit diamantharten Drinks
begossen.
Ein langer und wieder wunderbarer Wahrheit-Unterbringwettbewerb findet sein
feines Ende. Unser Dank geht an alle Teilnehmer. Und nächstes Jahr ist dann
Spanien Gastland der Frankfurter Buchmesse. Den Großherzog von Alba wird es
freuen. Olé, olé, olé, olé …
20 Oct 2021
## AUTOREN
Michael Ringel
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