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# taz.de -- Identitätspolitik und ihre Webfehler: Aushalten und mitnehmen
> Kritik der linken Identitätspolitik und ihrer Konstruktionsfehler: Warum
> sie auf ihre klassische Weise keinen Erfolg haben kann.
Bild: Geht es in der Trans-Frage um Identitäten?
Die so gut gemeinte [1][linke Identitätspolitik] hat mehrere Webfehler, in
die sie wie in einer selbst gestellten Falle verstrickt ist. Da ist die
„Essenzialisierung“ von Merkmalen wie Hautfarbe oder sexuelle Identität.
Ein weiterer Webfehler ist die Überhöhung des Opferstatus ganzer Gruppen
nach vor allem äußeren Merkmalen mit der seltsamen Unterfütterung, dass
sich eigentlich alle (abgesehen von Die alten weißen Männer) am Ende als
Opfer selbst bezeichnen können und diese Selbstcharakterisierungen auch
nicht infrage gestellt werden dürfen.
Das führt zu einem entgrenzten Opferbegriff, der nur funktionieren kann,
wenn zugleich das Konzept der „[2][Mikroaggressionen]“ akzeptiert wird,
wonach alles Aggression ist, was von den sich selbst so definierten Opfern
subjektiv so erlebt wird, und auch dies darf nicht angezweifelt werden.
Eine dritte Fehlkonstruktion ist der verschämte De-facto-Rückgriff auf
ähnliche Argumentationsmuster, wie sie rechte Identitätspolitik-Fans
pflegen, nämlich eine Einteilung der Welt nach Hautfarben, wenn auch mit
umgekehrten Vorzeichen: Da wird der weiße Hartz-IV-Empfänger unentrinnbar
zum Vertreter der white supremacy, sein Status als Ausgebeuteter
kapitalistischer Strukturen ist in dieser Logik nicht mehr denkbar. Die
klassische linke Orientierung an der [3][Klassenfrage], an der Matrix
sozialer Gerechtigkeit geht verloren.
Völlig absurd wird dieses Denken, wenn Schwarze untereinander colorism
betreiben, also schauen, wer besonders schwarz ist – und der weißen
Mehrheitsgesellschaft vorwerfen, man treibe nicht selbst diesen
rassistischen Spaltpilz in die Persons-of-Color-Community, sondern die
„Weißen“ oktroyierten ihnen dieses Denken, wie etwa bei einer gescheiterten
Preisverleihung eines feministischen Onlinemagazins an PoC zu beobachten
war.
## „Rechts“ ist eine fast beliebige Chiffre geworden
Klassisch in der oft linken Identitätspolitik-Argumentation ist auch die
fast hysterische Angst vor einem derzeit in Deutschland keinesfalls zu
erkennenden „Rechtsruck“, der immer wieder an die Wand gemalt werden muss,
um die angebliche Dringlichkeit linker Identitätspolitik besser
legitimieren zu können. Und mit „Rechten“ darf man auf keinen Fall reden �…
wobei auch hier der Begriff „rechts“ völlig entgrenzt wird …
Dass er das ist, dass „rechts“ eine fast beliebige Chiffre geworden ist,
hat mit einem entscheidenden Merkmal der sogenannten Identitätspolitik zu
tun: einer aus der in der Tat rechten Staatsphilosophie um Carl Schmitt
entliehenen Fähigkeit zum Freund-Feind-Denken. Wer nicht für die woke, die
intersektional politisierte Sache ist, ist feindlich. Ist rassistisch,
homophob, schlimmer noch: transphob, misogyn oder sonst wie feindlich und,
eben, dies vor allem „rechts“.
Bei dieser Markierung als „rechts“, die Assoziationen mit Nazi und
Ähnlichem aufzurufen beliebt, gehen alle in der Tat möglichen Fragen zur
Sache unter. Es kommt diesen Milieus eben, um es mit einer beliebten
Pathosformel von [4][Carolin Emcke] zu sagen, auf Sagbarkeit an – der
Effekt, der sich aus der geißelnden Vokabel „rechts“ ergibt, ist Stummheit
und Unsagbarkeit.
Dabei geht es um Fragen wie: Ist das Kopftuch bei muslimischen Frauen ein
Zeichen von Emanzipation oder religiöser Indoktrination?; Geht es in der
„Trans“-Frage um Identitäten – oder verbirgt sich hinter der Mode um
„Trans“ nicht ein tief antihomosexuelles Begehren?; Ist es wirklich
„rechts“, die Idee von Sternchen und Doppelpunkten in der deutschen Sprache
für fragwürdig zu halten?;
## Blicke hinter die Haustüren des Multikulturalismus
Ist es schon rechts, einen Begriff wie „antimuslimischer Rassismus“
abzulehnen, weil es Rassismus gegen Menschen geben kann, aber nicht gegen
eine Religion?; überhaupt: Ist es statthaft, Menschen, die aus muslimisch
geprägten Staaten zu uns flüchten, als religiös und also muslimisch zu
verstehen?; ist es „rechts“, den Islam für Bullshit zu halten, wie
prinzipiell jede andere Religion auch?
Ist es, anders gesagt, nicht ein Skandal, dass Menschen wie Seyran Ateş,
Hamed Abdel-Samad und Necla Kelek zu Rechten oder Rechtspopulisten,
insinuierend: AfD-nah und Erika-Steinbach-haft, gemacht werden? In Wahrheit
sind sie allesamt Bürgerrechtler*innen, die aus linker bis
liberalkonservativer Perspektive Blicke hinter die Haustüren des
Multikulturalismus warfen – und auch Unappetitliches fanden.
Das ist nur ein markantes Beispiel für das, was Identitätspolitisches
konkret bedeutet: eine ewig dauerpädagogische Belehrung in Do’s und Don’ts
der identitätslinken Agenda.
Worauf es aber ankäme, wäre eine politische und kulturelle Perspektive
universalistischen Zuschnitts. Mit einem Appell an das Gemeinsame, an das,
womit einer wie Olaf Scholz und die SPD ihren Wahlkampf bestritten und
gerade unter migrantischen Deutschen auch spektakulär gewannen: mit dem
Wort „Respekt“.
## Identitätspolitik können echte Rechte besser
Eingewoben in diese vage Formel ist auch die Fähigkeit, mal fünfe gerade
sein zu lassen, nicht jedes Wort, das eine*r äußert, mit dem Zuchtstock zu
geißeln – sondern auch in der öffentlichen Kommunikation Maß und Mitte
walten zu lassen, großzügig zu sein, verständig und damit erst ernsthaft
lernfähig.
Rassistisches, umrissen mit Worten wie „Hanau“ oder „NSU“, gehört verf…
viel stärker, drakonischer, sodass Nazis wirklich auf keine gemütliche
Minute in ihren Leben mehr rechnen können. Alles andere gehört ins
gesellschaftliche Gemurmel, ob da gewisse Messages nun trans- oder
homophob, antimuslimisch oder sonst wie -istisch rüberkommen.
Identitätspolitik können echte Rechte besser.
Vielleicht wäre es sogar besser, Ereignisse, bei denen Rechtes
nachbarschaftlich wird, wie aktuell bei der Buchmesse, nicht boykottieren
zu wollen – sondern mit dem Eigenen zu fluten, die Rechten damit zu
konfrontieren, dass sie vor allem eines nicht sind: mehrheitlich. Ganz im
Gegenteil. Wir plädieren für Beherztheit, Siegeswillen und eine gewisse
Robustheit – nicht für das Bekenntnis zur ideologischen Sauberkeit.
Jan Feddersen und Philipp Gessler, taz-Redakteur und taz-Autor, haben
aktuell das Buch „Kampf der Identitäten. Für eine Rückbesinnung auf linke
Ideale“ (Chr. Links Verlag, Berlin) geschrieben.
22 Oct 2021
## LINKS
[1] /Identitaetspolitik/!t5347009
[2] /Identitaetspolitik/!5654397
[3] /Wiederkehr-des-Klassismus/!5756958
[4] /Carolin-Emcke/!t5348502
## AUTOREN
Jan Feddersen
Philipp Gessler
## TAGS
Identitätspolitik
Schwerpunkt Rassismus
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