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# taz.de -- Die These: Gebetsrufe demonstrieren Macht
> Aus laizistischer Perspektive sind Muezzin-Rufe so wenig ein Fortschritt
> wie andauerndes Kirchengebimmel. Und laut ist es in Köln sowieso schon.
Bild: Wer das Leben der Menschen rhythmisiert, der hat es unter Kontrolle
Religion ist bekanntlich wie ein Penis. Es ist okay, einen zu haben. Und es
ist völlig in Ordnung, stolz darauf zu sein. Nur sollte man ihn – bitte,
bitte – nicht in der Öffentlichkeit herausholen und damit herumwedeln.
Mit diesem zugegeben leicht agnostischen Gleichnis ist der Gedanke des
Laizismus im Grunde auf den Punkt gebracht. Auf Köln, wo alles „kütt, wie
et kütt“, lässt er sich leider nur begrenzt anwenden. Dort wird demnächst
ein Muezzin zum Gebet rufen, diese Woche hat die Stadt Köln ihr Okay
gegeben. Jodeln darf der zum Gebet Rufende nun freitags zwischen 12 und 15
Uhr, für maximal fünf Minuten.
Und in diesem speziellen Fall wird’s schnell politisch. Und knifflig. Denn
mit dem Popanz islamistischer Überfremdung lassen sich allzu leicht Ängste
schüren. In Frankreich, dem Mutterland des Laizismus, funktioniert das sehr
gut. Die [1][Identitäre Bewegung] hat sich einen reaktionären Jux daraus
gemacht, überraschte Bevölkerungen mit einem Gebetsruf am frühen Morgen aus
dem Schlaf zu reißen. Per Lautsprecher und als Weckruf sozusagen. Damit
auch der letzte christlich geprägte Alteuropäer erwacht und erkennt, was
ihm noch blühen wird.
Doch was Reisende aus Marrakesch, Amman oder Srinagar kennen und lieben,
werden sie auch am Rhein weiterhin schmerzlich vermissen. Mit fünf Rufen am
Tag, dem ersten bereits zum Sonnenaufgang, legt sich dort ein als exotisch
empfundenes Gewebe aus Schallwellen über die Städte. Der Muezzinruf ist für
die Phonetik, was das Minarett für die Architektur ist – eine Setzung.
## Die Moschee selbst ist politisch
In Deutschland setzen behördliche Verfügungen den Traditionen dieser
jüngsten aller abrahamitischen Religionen enge Grenzen – nicht aus
Xenophobie, ach was. Einfach, weil es Deutschland ist: Die Nachbarschaft
muss „mittels Flyer“ darüber informiert werden, dass es diesen Muezzin gibt
und was der macht. Es gibt eine Lautstärkeobergrenze.
Politisch ist auch die [2][Moschee] selbst, weil sie der
„Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion“ (Ditib) – und dam…
Erdoğan – als Zentraltempel dient; mithin als kulturell-demografischer Fuß
in der Tür einer allzu liberalen deutschen Mehrheitsgesellschaft. Schlimm.
Andererseits sind rund 120.000 aller Kölnerinnen und Kölner muslimischen
Glaubens. Schön, wenn die sich in ihrer Stadt zu Hause fühlen und ihre
spirituellen Bedürfnisse befriedigen können.
Das alte Moscheegebäude hatte den Charme einer Kfz-Zulassungsstelle. Wer
für Integration eintritt, kann sich über den Neubau von Paul Böhm nur
freuen. Es ist ein soziokultureller Fortschritt, eine Bewegung in Richtung
einer progressiveren Gesellschaft.
Ein zivilisatorischer Fortschritt aber ist es nicht. Zumindest nicht aus
laizistischer Sicht, die dem Glauben und seiner Ausübung eher gleichgültig
gegenübersteht und auf einer Trennung zwischen Staat und Kirche,
Öffentlichem und Privatem, Vernunft und Hokuspokus beharrt.
Das Übergreifen von Religion in den öffentlichen Raum hat eine lange
Tradition. Wer das Leben der Menschen rhythmisiert, der hat es unter
Kontrolle. Beobachten lässt sich das etwa an St. Peter in Zürich. Schon den
Vorgängerbau zierten seit der Reformation gewaltige Zifferblätter von
absurder Größe. Sie zeigten in alle vier Himmelsrichtungen an, was die
Stunde geschlagen hat.
Max Weber hatte erkannt, dass „zwischen gewissen Formen des religiösen
Glaubens und der Berufsethik“ gewisse „Wahlverwandtschaften“ erkennbar
seien. Die protestantische Prädestination lehrt, dass geschäftlicher Erfolg
von Gott gewollt ist. Die Pleite übrigens auch, Pech gehabt. Wer sich aber
bemüht und pünktlich (!) sein Tagwerk verrichtet, zeigt Gottesfurcht und
Geschäftstalent gleichermaßen. Daher die großen Uhren von St. Peter, daher
überhaupt auch die Uhrmacherkunst helvetisch-calvinistischer Provenienz.
## Zwischen Religion und Kuhglocken
Glauben strahlt ab, auch wenn die christlichen Kirchen an Strahlkraft
verloren haben. Wenn es neben Kuhglocken und dem Rauschen der
Umgehungsstraße so etwas wie eine akustische Signatur der Provinz gibt,
dann ist es das Gebimmel der Glocken. Vergessen ist der Sinn, dass das
Morgenläuten an die Auferstehung, das Mittagsläuten an das Leiden und das
Abendläuten an die Menschwerdung eines jüdischen Wanderpredigers aus
Palästina erinnern soll.
Mag sein, dass die Kirche einst dem Landmann an seinem Pflug signalisierte,
dass es Zeit für den Heimweg war. Selbst dieser im Kern schlicht
telekommunikative Zweck ist mit der Zeit flöten gegangen.
Landauf, landab läutet es also in den Türmen weitgehend leerer Kirchen
weniger aus christlicher, vielmehr aus folkloristischer Motivation. Es
läutet, weil es immer läutete und weiterläuten wird bis zum Jüngsten Tag.
Diese aus zugegeben agnostischer Sicht recht sinnlose Lärmentwicklung
bleibt hierzulande weitgehend unproblematisiert.
In säkularen Ohren ist das kirchliche Geklingel kaum vom Röhren zu
unterscheiden, mit dem ein Sven oder Mohammed auf seinen tiefer gelegten
Subaru mit Rennauspuff aufmerksam zu machen versucht. Beides sind
akustische Machtdemonstrationen mit dem Ziel, aus dem Dauerrauschen von
Landmaschinen (Land) oder Verkehr (Stadt) hervorzutreten und „Ich bin da!
Mich gibt es!“ zu sagen. Es gibt bereits ein Bundes-Immissionsschutzgesetz,
es müsste nur zur Anwendung gebracht werden.
## Wie wäre es mit einem gleichen Lärmrecht für alle?
So betrachtet spricht also nichts dagegen, den Muezzin vom Minarett seiner
nicht ganz so leeren Moschee singen zu lassen – gleiches Lärmrecht für
alle. Die Auflage, dies nur innerhalb eines eng begrenzten Zeitfensters zu
tun, sollte fairerweise auch auf christliche Kirchen erweitert werden – mit
Ausnahmen vielleicht an hohen Feiertagen. Gerne kann es, etwa an einem
Bundesbimmeltag, immer mal wieder laut werden – gerne analog, besser noch
parallel zum bundesweiten Test der Alarmsirenen zur Warnung der
Zivilbevölkerung.
Wünschenswert in spirituellem wie sportlichem Sinne wäre es natürlich, die
Automatisierung der Glocke wie des Muezzins zu untersagen. Es gibt keinen
Grund, leierndem Geplärre vom Tonband zu lauschen. Ebenso wenig ist
einsehbar, weshalb der Pfarrer für die wenigen Schäfchen seiner Gemeinde
das abendliche Angelusläuten auf seinem Touchscreen programmiert.
Eine Religion, die nicht mit Lungen- oder Muskelkraft auf ihr liturgisches
Brimborium aufmerksam machen möchte, hat den Respekt vor sich selbst
verloren – und folglich auch keinen verdient. Es sollte selbstverständlich
sein, dass der Pfaffe persönlich die Glocke und der Mohammedaner selbst die
Stimmbänder in Schwingung versetzt. Im Contest erwiese sich auch gleich,
welches die vitalere Religion ist. Und etwas leiser wäre es wohl auch.
***
Anmerkung: In einer früheren Version des Textes hatten wir geschrieben, der
Neubau der Ditib Zentralmoschee in Köln stamme von Gottfried Böhm. Das ist
falsch, er stammt von Paul Böhm. Wir bitten um Entschuldigung für diesen
Fehler.
17 Oct 2021
## LINKS
[1] /Rechtsextreme-in-Frankreich/!5755769
[2] http://www.zentralmoschee-koeln.de/
## AUTOREN
Arno Frank
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