# taz.de -- Kein Gebetsruf in Bremen: Wer hat Angst vorm Muezzin? | |
> Gemeinsames Fastenbrechen gibt es im Ramadan 2020 nicht. Als Ersatz hört | |
> man vielerorts den Ruf des Muezzins. Bremen aber zeigt sich wenig | |
> weltoffen. | |
Bild: In der Fatih-Moschee soll der Gebetsruf öffentlich sein – aber nur zwe… | |
BREMEN taz | „Zu Bremen gehört der Islam ganz selbstverständlich dazu“, | |
sagte Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte am 21. Februar [1][vor der | |
Fatih-Moschee in Bremen-Gröpelingen]. Eineinhalb Tage zuvor waren in Hanau | |
10 Menschen bei einem rechtsextremen Anschlag ermordet worden. Und noch ein | |
paar Stunden zuvor hatte die Bremer Fatih-Moschee eine [2][Bombendrohung | |
mit rechtsextremem Inhalt] erhalten. | |
Nicht ganz so selbstverständlich scheint die Zugehörigkeit der Bremer | |
Muslime in der aktuellen Nachrichtenlage. Den Ramadan, der morgen Abend | |
beginnt, können Muslime aufgrund der Coronakrise nicht wie üblich feiern. | |
Das allabendliche Fastenbrechen mit vielen Menschen und die gemeinsamen | |
Gebete in der Moschee fallen weg. | |
Um den Gläubigen dennoch eine Form des religiösen Erlebens zu erlauben, | |
wollen einige Moscheen, dass während des Ramadans der Muezzinruf öffentlich | |
erschallt. Doch in Bremen und Bremerhaven soll das nicht oder nur im | |
minimalen Ausmaß möglich sein. | |
Der Magistrat in Bremerhaven hat den Antrag der Ditib-Moschee „Merkez | |
Camii“ ganz abgelehnt. Baurechtliche Gründe hätten dagegen gesprochen. „D… | |
Muezzinruf ist in den Baugenehmigungen nicht vermerkt,“ so Pressesprecher | |
Volker Heigenmooser. Ob man angesichts der vielen aktuell veränderten | |
Regeln während des Ramadan im Coronajahr mal eine Ausnahme machen könnte? | |
Heigenmooser lacht. „Nee“, sagt er. | |
Dass neben dem Lärmschutz noch andere Interessen hinter der Entscheidung | |
stehen, hatte der Pressesprecher zuvor bereits gegenüber Radio Bremen | |
geäußert: „Ein solcher Gebetsruf könnte bei der Bevölkerung zu Irritation… | |
führen“, sagte er dort. Was das heißt? „Der Gebetsruf gehört nicht in den | |
akustischen Alltag der Stadt“, so Heigenmooser zur taz. „Das müsste man den | |
Leuten erst erklären. Und ich glaube, wir haben im Moment schon andere | |
Probleme.“ | |
Gedanken macht sich Heigenmooser auch, wie der Muezzinruf in der | |
islamischen Community falsch verstanden werden könnte. Der Gebetsruf solle | |
ja schließlich die Gläubigen in die Moschee rufen. „Und wenn die dann | |
geschlossen ist, wäre das doch auch komisch.“ | |
## Solidarität „nur leere Worte“ | |
Fatih Kurutlu ist nicht nur Ditib-Vorsitzender in Bremerhaven, sondern | |
sitzt auch für die SPD im Stadtrat. Dass das Ansinnen der Moschee komplett | |
abgeschlagen wurde, mache ihn traurig. „Wenn das nicht gewünscht ist, | |
machen wir es eben nicht. Es wäre aber eine schöne Geste gewesen“, so | |
Kurutlu. Viele Zusagen der Solidarität vor wenigen Monaten seien wohl „nur | |
leere Worte“ gewesen. | |
Feiern will man den Fastenmonat dennoch – [3][Gebete laufen online,] viel | |
gehe über soziale Medien wie Facebook und Instagram. Außerdem, so erzählt | |
Kurutlu, würden Muslim*innen aktuell Masken nähen oder Lebensmittelpakete | |
für Bedürftige zusammenstellen und so den Ramadan würdigen. Auch kleine | |
Geschenke mit Süßwaren für Polizei und Krankenhausangestellte hätten die | |
Jugendabteilungen zusammengestellt. | |
## Moschee wollte nicht zu viel fordern | |
In Bremen selbst wird es wohl eine Genehmigung geben, allerdings sehr | |
eingeschränkt. Beantragt hatten die Ditib und der Moscheendachverband | |
Islamische Föderation Bremen (IFB) für jeweils eine Moschee einen Ruf | |
einmal die Woche, am Freitagmittag. | |
„Das gemeinsame Freitagsgebet muss zurzeit ausfallen, da ist das religiöse | |
Bedürfnis besonders groß“, erklärt Vahit Bilmez, Sprecher der IFB. Der | |
öffentliche Ruf sollte eine Alternative anbieten – ähnlich der | |
Kirchenglocken, die in Corona-Zeiten vielerorts häufiger läuten. | |
Andernorts haben Moscheen Gebetsrufe mehrfach die Woche beantragt. Das | |
wollte man in Bremen nicht. „Wir wollten die Menschen nicht reizen“, so | |
Bilmez. Auf den Antrag habe die Senatskanzlei vier Wochen lang nicht | |
reagiert. Erst am Dienstagmorgen sei der IFB mitgeteilt worden, dass der | |
Gebetsruf stattfinden dürfe: Einmal am Anfang, einmal am Ende des Ramadans. | |
## Zwei Gebete als Kompromiss | |
„Ich will nicht bestreiten, dass das auch hätte schneller gehen können“, … | |
Senatspressesprecher Christian Dohle. „Auf der anderen Seite dauert so | |
etwas seine Zeit.“ Bürgermeister Andreas Bovenschulte verteidigt den | |
Beschluss: „Das ist das, worauf sich die Menschen vor Ort geeinigt haben. | |
Ich empfehle, den Kompromiss wertzuschätzen, für den es im Stadtteil eine | |
große Unterstützung gibt.“ | |
Für alles andere gab es diese Unterstützung nicht: Aus der Beiratssitzung | |
in Bremen-Gröpelingen wird berichtet, dass die Vertreter des | |
Stadtteilparlaments Angst hatten, mit einem Beschluss pro Muezzinruf eine | |
Entscheidung für die Zukunft zu treffen. „Wir sind sehr enttäuscht, dass es | |
offenbar so schwerfällt, auf uns zuzugehen“, so Bilmaz. Ob die Gemeinde das | |
Angebot mit nur zwei Gebetsrufen im ganzen Monat annehmen werde, müsse man | |
sich daher noch überlegen. | |
## Vielerorts im Norden keine Angst vorm Muezzin | |
Andere Städte im Norden [4][schrecken vor dem Gebetsruf weniger zurüc]k. In | |
Hannover etwa ist der tägliche Ruf zum Mittagsgebet den fünf städtischen | |
muslimischen Gemeinden während der Coronakrise erlaubt worden. Die Regel | |
gilt seit dem 14. April und auch abseits des Ramadan bis in Hannover wieder | |
Gottesdienste in den Moscheen möglich sein werden. In Hamburg gibt es eine | |
Sondergenehmigung für den Ramadan. | |
Im kleinen Delmenhorst, direkt vor Bremens Haustür, soll der Muezzin jeden | |
Tag fünf Minuten zum Gebet aufrufen dürfen. „Aufgrund des Grundrechtes der | |
Religionsfreiheit und freien Religionsausübung, welches für Kirchen, | |
Moscheen, Synagogen und anderen Religionsgemeinschaften gilt, wurde durch | |
die Stadt Delmenhorst diesem Ansinnen vorwiegend stattgegeben“, teilt ein | |
Sprecher der Stadt mit. Bisher sorgt diese Entscheidung in Delmenhorst für | |
wenig Aufruhr. | |
„Je kleiner die Gemeinde, desto schneller ging es bei vielen Anträgen“, | |
erzählt Emine Oguz aus dem Vorstand des Ditib-Landesverbands | |
Niedersachsen-Bremen. Oft sei die Entscheidung innerhalb weniger Tage | |
gefallen. | |
Viele Gemeinden hätten bis zuletzt auf eine Öffnung der Moscheen für die | |
Zeit des Ramadans gehofft und ihre Anträge erst spät gestellt. Einige | |
wenige Gemeinden hätten daher noch keine Rückmeldung. Klare Absagen wie in | |
Bremerhaven aber gab es ihres Wissens nach sonst nur in Wolfenbüttel. | |
Kurutlu will auch für Bremen und Bremerhaven die Hoffnung noch nicht | |
vollkommen aufgeben. Eigentlich gebe es schließlich guten Kontakt zwischen | |
Parteien und Moscheegemeinden in beiden Städten. „Wenn in 100 Jahren wieder | |
so eine Seuche ausbricht, sind wir hoffentlich weiter.“ | |
21 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /!5663038/ | |
[2] /Muslime-in-Angst/!5665892/ | |
[3] /!5677010/ | |
[4] http://www.islamiq.de/2020/04/04/oeffentlicher-gebetsruf-an-mehr-als-40-mos… | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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