# taz.de -- Ramadan während der Pandemie: Fasten zwischen Koran und Corona | |
> Am Donnerstag beginnt der Fastenmonat Ramadan. Wegen Corona wird vieles | |
> anders sein als sonst. Wie sich Ägyptens Hauptstadt Kairo darauf | |
> vorbereitet. | |
Bild: Die Deko flattert in den Straßen, die Leute feiern daheim | |
Es wirkt ein wenig unwirklich, wenn das dutzendfache Echo der Muezzine zum | |
Abendgebet durch die Straßen Kairos hallt. Denn zwei Dinge sind anders als | |
sonst. Auf den Straßen der 20-Millionen-Einwohner-Stadt, sonst voller | |
Leben, Verkehrslärm und hysterischer Hupgeräusche, herrscht eine | |
gespenstische Stille. Und der Gebetsruf hat am Ende einen wichtigen neuen | |
Zusatz: Statt „kommt zum Gebet“ schallt von den Minaretten die Forderung: | |
„Betet zu Hause.“ | |
Von acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens herrscht in Ägypten seit mehr als | |
drei Wochen eine nächtliche Corona-Ausgangssperre. Und das mit dem neue | |
Gebetsruf habe es in der islamischen Geschichte bereits schon einmal | |
gegeben, erklärt Scheich Nazir Ayad, Chef des Forschungsrats der | |
Islamischen [1][Al-Azhar-Universität Kairo], einer der wichtigsten | |
Rechtsautoritäten im sunnitischen Islam weltweit. | |
„Diesen Gebetsruf haben wir nicht neu erfunden. Es gibt Äußerungen des | |
Propheten Mohammed selbst, in denen er den Menschen rät, sich während einer | |
Epidemie nicht von einem Ort zum anderen zu bewegen.“ Seit Jahrhunderten | |
gebe es diese Möglichkeit, blickt Scheich Ayad zurück. | |
Normalerweise ist dieser Monat für die Muslime nicht nur eine spirituelle | |
Zeit der Besinnung und des Fastens von Sonnenaufgang bis Untergang. Es ist | |
auch eine einmonatige glitzernde Festlichkeit, in der die Straßen mit den | |
farbigen Fanous, den Ramadan-Laternen, leuchten und in der in den letzten | |
Jahren zunehmend bunte Lichterketten made in China wild vor sich | |
hinblinkten. | |
## Tagsüber herrscht in Kairo reger Normalbetrieb | |
Was für die Christen das Weihnachtsfest, ist für die Muslime der Ramadan. | |
Es gibt besondere Veranstaltungen, Konzerte und spezielle Süßigkeiten. Und | |
weil tagsüber gefastet wird, wird im Ramadan in Kairo die Nacht zum Tag, | |
wird nach Sonnenuntergang nicht nur gebetet, sondern auch gefeiert. | |
Die Ausgangssperre wird fast all dem dieses Jahr Einhalt gebieten. Aber sie | |
gilt bisher nur nachts. Tagsüber herrscht in Kairo immer noch ein reger | |
Normalbetrieb. Üblich ist, dass man sich beim Brechen des Fastens bei | |
Sonnenuntergang gegenseitig besucht, in der Familie und unter Freunden oder | |
Kollegen. Das wäre dann die Primetime für die Ausbreitung des Corona-Virus. | |
Noch ist nicht klar, welchen Plan die ägyptischen Behörden haben, dies zu | |
verhindern. Bisher gilt die Ausgangssperre erst ab 8 Uhr abends, also gut | |
eineinhalb Stunden nach dem Fastenbrechen. | |
Doch für gläubige Muslime geht es im Ramadan nicht nur um festliche | |
Familienzusammenkünfte, sondern auch um eine Monat der Besinnung und der | |
Gebete. Zentral sind für viele dabei die kollektiven sogenannten | |
Tarawih-Gebete, zu denen sie sich in den Ramadan-Nächten in den Moscheen | |
treffen. Dort wird dann normalerweise jede Nacht im Ramadan über eine | |
Stunde lang der Koran rezitiert. Für viele ein wichtiges spirituelles | |
Ritual. | |
## Ein medizinisches Thema | |
Aber diesmal sind Moscheen, ebenso wie die Kirchen in Ägypten, wie in den | |
arabischen Nachbarstaaten wegen des Corona-Ausbruchs geschlossen, um | |
religiöse Ansammlungen zu verhindern. „Wenn wir eine Pandemie haben und die | |
Experten in ihren Berichten sagen, dass große Versammlungen und | |
Veranstaltungen eine große Gefahr für Menschen darstellen, dann müssen wir | |
klar sagen, dass die Gesundheit der Menschen Vorrang vor der Einhaltung der | |
religiösen Gebote hat“, referiert Scheich Ayad die Position der Al-Azhar. | |
„Da nun Versammlungen das Ansteckungsrisiko erhöhen, gibt es aus religiöser | |
Sicht keine Einwände dagegen, dass die Moscheen geschlossen sind“, fügt er | |
hinzu. | |
Das zentrale Thema des Ramadan bleibt aber das Fasten selbst. Scheich Ayad | |
gehört einem Komitee aus islamischen Rechtsgelehrten und Ärzten an, das in | |
Corona-Zeiten feststellen soll, ob das Fasten im Ramadan, das neben dem | |
Glaubensbekenntnis, dem Gebet, der Almosensteuer und der Pilgerfahrt nach | |
Mekka als eine der fünf Säulen des Islam gilt, während eine Epidemie | |
ausgesetzt werden kann. | |
„Da das in erster Linie ein Thema der Medizin ist, haben wir uns mit einer | |
Reihe von Experten auf dem Gebiet beraten, also Ärzten aus verschiedenen | |
Bereichen sowie Vertretern der [2][Weltgesundheitsorganisation WHO]“, | |
erzählt er. „Es gibt bislang keine wissenschaftlichen und medizinischen | |
Belege dafür, dass das Fasten im Ramadan in Zeiten des Coronavirus | |
schädlich ist“, lautet die Schlussfolgerung dieser Beratung. | |
## Keine „Gnadentische“ | |
Er betont auch, dass etwa Schwangere oder kranke Menschen ohnehin vom | |
Fasten ausgenommen seien. Das würde auch für jemanden gelten, bei dem das | |
Coronavirus zu einer schweren Erkrankung führt. Auch da sei dann die | |
Meinung des behandelnden Arztes entscheidend. | |
Bei einer anderen Ramadan-Tradition hat der ägyptische Staat, unterstützt | |
von den Scheichs, aber ein klares Verbot ausgesprochen. Normalerweise gibt | |
es an vielen Straßenecken in Kairo bei Sonnenuntergang Armenspeisungen, | |
sogenannte „Gnadentische“. Finanziert von Geschäftsleuten, Schauspielern | |
oder durch kollektive Spenden, werden lange Tafeln aufgestellt und wird das | |
Mahl zum Fastenbrechen serviert. | |
Damit soll sichergestellt werden, dass alle mit einem angemessenen Iftar, | |
also gewissermaßen dem Ramadan-Frühstück versorgt sind. Diese | |
„Gnadentische“ müssen dieses Jahr laut Anweisung des Religionsministeriums | |
in Kairo ebenfalls ausfallen. Zu groß wäre hier die Ansteckungsgefahr. | |
Der Rentner Gamil Banajuti ist in der ganzen Nachbarschaft im Kairoer | |
Viertel Shoubra bekannt. Seit drei Jahrzehnten richtet er mit Hilfe | |
privater Spenden diese Tafeln aus. Dort wurden letztes Jahr jeden Tag | |
Mahlzeiten für 400 Menschen zubereitet. Die kleine Gasse vor seinem Haus | |
war damals mit Zeltplanen abgeriegelt, hinter denen mehrere Reihen von | |
Tischen aufgestellt waren. | |
## Alternative: Lebensmittelpakete | |
Doch dieses Jahr wird er die Straße vor seinem Haus nicht in eine | |
Wohltätigkeitsveranstaltung verwandeln. Der Ort wird auch im Ramadan das | |
bleiben, was er sonst ist: eine von tausend stinknormalen Gassen in Kairo | |
mit parkenden Autos statt Speisetischen. | |
In einem leeren Laden in der Gasse, wo letztes Jahr die Ramadan-Küche | |
eingerichtet war und die Töpfe mit Fleisch, Bohnen und Reis vor sich | |
hindampften und eifrig gerührt und serviert wurde und wo die Menschen für | |
ihr Fastenmal anstanden – dort ist die Laden-Jalousie heruntergelassen. | |
Das Vorhängeschloss wird Banajuti dieses Jahr zu Ramadan-Anfang, | |
voraussichtlich am Donnerstag, nicht aufschließen. „Wir tragen alle | |
Verantwortung für die Gesundheit der anderen. Wenn wir jetzt im Ramadan | |
jeden Tag kochen würden, dann würden in der Küche die Menschen eng | |
zusammenstehen und arbeiten. Das wäre in Zeiten der Epidemie nicht gut“, | |
stimmt Banajuti dem Beschluss des Religionsministeriums zu. | |
Um die mittellosen Fastenden in seinem Viertel nicht im Stich zu lassen, | |
hat sich der 73-Jährige stattdessen für dieses Jahr etwas Neues ausgedacht. | |
Er werde zweimal im Ramadan Lebensmittelpakete verteilen, am Anfang und in | |
der Mitte des Monats, erzählt er. Dort drin seien zwei Kilo Reis, ein Kilo | |
Zucker, getrocknete Bohnen und Kartoffeln, eine Flasche Speiseöl und eine | |
Packung Salz, zählt er auf. „Diesmal müssen die Menschen halt zu Hause | |
selber kochen“, fasst er seinen Plan zusammen. | |
## Vor Corona sind alle gleich | |
Bei seinem Eifer und Pflichtbewusstsein, seine ärmeren muslimischen | |
Mitbürger und Nachbarn im Ramadan zu versorgen, kommt man erst gar nicht | |
darauf, dass Banajuti eigentlich der Minderheit der Kopten Ägypten | |
angehört. Der fromme Christ glaubt fest an die religiöse Einheit zum Schutz | |
des jahrtausendealten Nillandes auch in Zeiten der Corona-Epidemie. | |
„Die Ägypter haben von Natur aus ein starkes Immunsystem, das hilft, | |
solange es kein Mittel gegen Corona gibt. Gott wird dieses Land immer | |
beschützen“, ist er überzeugt. „Ägypten wurde schließlich in der Bibel … | |
im Koran erwähnt“. | |
Was für die Deutschen und Österreicher das Vertrauen in ihr | |
Gesundheitssystem ist, ist für die Ägypter, die auf Derartiges nicht zählen | |
können, ihr Vertrauen in Gott. Dass sein eigenes orthodoxes Ostern ebenso | |
wie der bevorstehende Ramadan nicht kollektiv gefeiert werden kann, trägt | |
er mit Fassung. „Das ist alles Gottes Wille. Irgendwann, in einem Jahr wird | |
das Ganze wieder vorbei sein und dann kommen wir alle wieder zusammen und | |
feiern Ostern und Ramadan.“ | |
Bis es so weit ist, beten jetzt in Ägypten erst einmal alle zu Hause, egal | |
ob Christen oder Muslime. Insofern hat das Coronavirus zumindest für eines | |
gesorgt: Alle Religionsgemeinschaften teilen das gleiche Schicksal. Vor dem | |
Coronavirus sind sie alle gleich. | |
22 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nbe.com.eg/NBE/E/#/EN/Home | |
[2] https://apps.who.int/iris/handle/10665/331767 | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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