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# taz.de -- Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow: Zum Abschuss freigegeben
> Russlands Präsident Putin droht dem diesjährigen Friedensnobelpreisträger
> Dmitri Muratow. Der Journalist zeigt sich davon unbeeindruckt.
Bild: Dmitri Muratow, Chefredakteur der Zeitung „Nowaja Gaseta“, in Moskau
Anlässlich des Russischen Energieforums in Moskau war Kremlchef Wladimir
Putin in dieser Woche wieder einmal in Höchstform. Aus aktuellem Anlass
arbeitete er sich an dem Chefredakteur der Nowaja Gaseta und
[1][diesjährigen Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow] ab. Wenn Muratow
russische Gesetze nicht verletze und keinen Anlass biete, ihn zu einem
ausländischen Agenten zu erklären, werde das auch nicht passieren, sagte
Putin am Mittwoch – wohl wissend, dass diese Ansage nicht anders denn als
unverhohlene Drohung zu verstehen ist.
Am Freitag vergangener Woche hatte das erstaunlicherweise noch etwas anders
geklungen. Über seinen Pressesprecher Dmitri Peskow hatte der Kreml dem
Ausgezeichneten freundliche Glückwünsche ausrichten lassen und Muratows
Talent, die Treue zu eigenen Idealen sowie seinen Mut gelobt. Was
unweigerlich die Frage aufwarf, ob diesmal mit der Regieanweisung von ganz
oben etwas nicht ganz gestimmt habe. Doch jetzt ist ja, Putin sei Dank,
wieder Klarheit hergestellt.
Mit dem Label „ausländischer Agent“ werden in Russland Medien und
Nichtregierungsorganisationen versehen, die Gelder aus dem Ausland
erhalten. Ihre Liste wird fast täglich länger, der Zuwachs ist in Echtzeit
auf den einschlägigen russischen Nachrichtenportalen zu verfolgen. Wer es
in diesen erlauchten Kreis schafft, ist quasi zum Abschuss freigegeben.
Für den Umgang mit diesen „Schädlingen“, die natürlich alle im Auftrag d…
dekadenten und bösartigen Westens unterwegs sind und jetzt auch gerne als
„Extremisten“ und „Terroristen“ abgestempelt werden, hat Russlands Füh…
einen ganzen Instrumentenkasten parat: Schließung von Organisationen,
Verurteilungen einzelner Personen in Schauprozessen zu langjährigen
Haftstrafen sowie manchmal auch deren Liquidierung – wie das Beispiel von
[2][Anna Politkowskaja] zeigt. Die Journalistin der Nowaja Gaseta war am 7.
Oktober 2006 (rein zufällig Putins 54. Geburtstag) vor ihrer Moskauer
Wohnung erschossen worden.
Auch ihr hat Muratow, der insgesamt bereits sechs seiner
Mitstreiter*innen durch kaltblütige Morde verloren hat, den
Friedensnobelpreis gewidmet. Doch Muratow wäre nicht er selbst, würde er
sich von Putins jüngsten Drohgebärden beeindrucken lassen. „Der Staat kann
tun, was er will, aber wir werden den Preis erhalten, wir werden auf den
Preis nicht verzichten“, zitiert ihn die Agentur Interfax.
## Wie wird das „ausländische“ Preisgeld verbucht?
Diese Äußerung könnte der Kreml, dem an dieser Art von PR nicht gelegen
sein kann, als Kampfansage verstehen – mit allen daraus möglicherweise
folgenden Konsequenzen.
Wir erinnern uns an 1970: das Jahr, in dem dem Schriftsteller [3][Alexander
Solschenizyn] der Literaturnobelpreis verliehen wurde. Die Reise nach
Stockholm anzutreten, wagte er damals nicht – aus Angst, nicht wieder in
seine Heimat zurückkehren zu können. Der Preis für den Preis war ihm zu
hoch. Vier Jahre später – Solschenizyn war zwischenzeitlich ausgewiesen
worden – holte er sich die Auszeichnung dann doch persönlich ab. Damals
bedankte sich Solschenizyn auch im Namen des nicht staatlichen Russland,
dem verboten sei, frei und laut zu sprechen.
Hallo, war da was? Eben. Denn so ist es auch heute wieder. Freie und laute
Stimmen, die es immer noch gibt, werden zum Schweigen gebracht – ohne
Rücksicht auf Verluste. Dass sich daran in naher Zukunft etwas ändern
könnte, ist nicht abzusehen – Nobelpreis hin oder her.
Genau aus diesem Grund gibt es auch zu der Hoffnung wenig Anlass, die hohe
Ehrung könne für Muratow künftig zu einer Art Schutzschild werden. Genau
das Gegenteil könnte der Fall sein, wobei noch die Frage zu klären bliebe,
wie das „ausländische“ Preisgeld verbucht werden wird.
Das alles weiß wohl niemand besser als Muratow selbst. Dennoch wird er
seine Arbeit fortführen und mit seinem Team die so wichtigen investigativen
Recherchen fortsetzen. Der Nobelpreis mag Muratow dabei außer einer
Anerkennung auch eine moralische Stütze sein. Schaden von ihm und anderen
kritischen Journalist*innen abwenden kann er nicht.
14 Oct 2021
## LINKS
[1] /Friedensnobelpreis-fuer-JournalistInnen/!5804003
[2] /Aus-Mangel-an-Beweisen/!5167563
[3] https://www.perlentaucher.de/autor/alexander-solschenizyn.html
## AUTOREN
Barbara Oertel
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