# taz.de -- Gewalt gegen Kinder in Haasenburg: Ex-Heimkinder fordern Entschädi… | |
> Frühere Haasenburg-Bewohnerinnen fordern Wiedergutmachung vom Land | |
> Brandenburg. Die zuständige Ministerin setzt nur auf Einzellösungen. | |
Bild: Auffahrt zum Kinder- und Jugendzentrum Haus Babenberg | |
Hamburg taz | Die 2013 geschlossenen Haasenburg-Heime kamen jüngst durch | |
ein trauriges Ereignis wieder ins Bewusstsein. Der 24-Jährige Jonas L. | |
[1][nahm sich im Februar das Leben]. Er war mit 12 für ein Jahr in das Heim | |
gekommen, seine Mutter sagt, es machte ihn „psychisch kaputt“. Für die | |
Ex-Bewohnerinnen Christina Witt und Daniela S. war dies Anstoß, mit einer | |
Onlinepetition „[2][Entschädigung für die ehemaligen Kinder der Haasenburg | |
Heime]“ zu fordern – sowohl materiell als auch durch Therapien. Bis | |
Mittwoch fanden sie über 33.000 Unterstützer. | |
Politisch gefordert ist damit Brandenburgs Jugendministerin Britta Ernst | |
(SPD). Ihre Vorgängerin Martina Münch (SPD) hatte im Herbst 2013 nach | |
Vorlage eines [3][Untersuchungsberichts] den privaten Betreibern die | |
Erlaubnis entzogen und deren drei Heime in Jessern, Neuendorf und | |
Müncheberg schließen lassen, in denen bis dahin Jugendämter aus ganz | |
Deutschland Kinder untergebracht hatten. | |
Münch [4][entschuldigte sich öffentlich] bei den ehemaligen Bewohnern – | |
dafür, dass sie jederzeit Opfer von Übergriffen und überzogenen Maßnahmen | |
werden konnten und man ihnen hinterher nicht glaubte. Und sie versprach | |
ihnen Unterstützung. | |
„Aber passiert ist seither nichts“, sagt Christina Witt der taz. „Wir | |
Kinder wurden dort sehr schlecht behandelt. 2005 und 2008 starben zwei | |
Mädchen in den Heimen“, schreiben die jungen Frauen in ihrer Petition und | |
schildern einen drastischen Heimalltag, in dem sie körperlich begrenzt, von | |
Erziehern bloßgestellt und vor allem psychisch verletzt worden seien. | |
## Angeblich „keine Rechtsgrundlage“ für Entschädigungen | |
Sie wandten sich auch persönlich mit einer Mail an Ministerin Ernst. | |
Geantwortet habe die bislang nicht. Doch auf eine Anfrage der Linksfraktion | |
in Brandenburg hin erklärte die Landesregierung, für Entschädigungen wegen | |
schlechter Pädagogik gebe es „keine Rechtsgrundlage“. Die Prüfung von | |
Entschädigungsansprüchen könne „nur im Einzelfall“ nach dem | |
„[5][Opferentschädigungsgesetz]“ erfolgen. | |
Die Erfolgsaussichten sind damit aber vage. Christina Witt, Daniela S. und | |
auch Jonas L. gehören zu den rund 50 Betroffenen, die 2013 | |
[6][Strafanzeigen stellten, die fast alle eingestellt wurden] – häufig | |
wegen Verjährung oder Mangel an Beweisen, die für isoliert in Einzelzimmern | |
untergebrachte Kinder schwer zu erbringen waren. | |
Eine weitere Begründung für die Einstellungen lautete: Die Erzieher | |
handelten nach den Regeln und somit nicht vorsätzlich rechtswidrig. Auch | |
das Opferentschädingungsgesetz (OEG) verlangt „vorsätzlich“ rechtswidriges | |
Handeln. Die Betroffenen könnten wieder enttäuscht werden. | |
Die taz fragte Ministerin Ernst, ob sie ein Fallbeispiel für ein Heimkind | |
nennen könne, das als Opfer von Zwangsmaßnahmen erfolgreich Anspruch auf | |
OEG-Entschädigung erstritten habe. In der Antwort, die ihr das Ministerium | |
zusammen mit dem Sozialministerium gab, räumt sie ein, dass ihr dazu aus | |
neuerer Zeit „keine Informationen vorliegen“. Bekannt seien die beiden | |
Fonds, aus dem ehemalige Heimkinder, die von 1949 bis 1975 in der | |
Bundesrepublik und von 1949 bis 1990 in der DDR „schweres Leid und Unrecht“ | |
erfuhren, Hilfe erhielten. | |
## Traumata und Suizidgefahr | |
Christina Witt startete 2014 schon einmal eine Petition. Damals | |
unterschrieben über 42.000 Menschen gegen die drohende Wiedereröffnung der | |
Heime im Rahmen eines juristischen Vergleichsverfahrens. Ministerin Münch | |
traf sich mit Witt. Das Land lehnte den Vergleich ab, die Heime blieben zu. | |
Die taz fragte Ministerin Ernst, ob auch sie die beiden jungen Frauen zu | |
einem Gespräch treffen wird. Darauf antwortete sie vage: „Eine Antwort an | |
die beiden Petentinnen wird derzeit vorbereitet.“ Immerhin ermuntert sie | |
Betroffene, sich wegen individueller OEG-Anträge ans [7][Versorgungsamt] zu | |
wenden. Dort seien „auch die Betroffenen der Haasenburg sehr gut | |
aufgehoben“. | |
Christina Witt fordert indes eine Lösung für alle Betroffenen. Darin | |
unterstützt sie die Linke. Die Antwort auf ihre Anfrage sei „in keiner | |
Weise genügend“, sagt die Landtagsabgeordnete Isabelle Vandre. „Brandenburg | |
hatte die Aufsicht über die Haasenburg-Heime und trägt damit die | |
Verantwortung“. Sie erwarte, dass das Land einen Fonds auflege, der die | |
jungen Menschen materiell entschädige und eine psychosoziale Betreuung | |
„über die Zeit der Haasenburg hinaus“ finanziere. | |
„Es muss gehandelt werden“, sagt auch Ronald Prieß, ehemaliger | |
Jugendreferent der Linken und „Botschafter der Straßenkinder“, der Jonas | |
kannte. Prieß warnt: „Es sind viele traumatisiert. Der Suizid von Jonas | |
wird vielleicht nicht der letzte sein.“ Es gehe hier nicht um Einzelfälle, | |
„das Konzept der Haasenburg war falsch“. Es sei positiv, dass sich | |
Brandenburg, anders als Hamburg, bei den Betroffenen entschuldigte und auf | |
Bundesebene für eine schärfere Heimaufsicht sorgte. „Eben daraus erwächst | |
aber auch die Verantwortung, einen Entschädigungsfonds zu schaffen.“ | |
14 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Tod-eines-ehemaligen-Heimkindes/!5756902 | |
[2] https://www.change.org/p/britta-ernst-entsch%C3%A4digung-f%C3%BCr-die-ehema… | |
[3] /fileadmin/static/pdf/2013-11-06_Endbericht-der-Kommission-zur-Haasenburg_D… | |
[4] https://www.pnn.de/brandenburg/haasenburg-skandal-ich-entschuldige-mich/216… | |
[5] https://www.bmas.de/DE/Soziales/Soziale-Entschaedigung/Opferentschaedigungs… | |
[6] https://isabelle-vandre.de/kleine-anfrage-entschaedigungen-fuer-die-kinder-… | |
[7] https://lasv.brandenburg.de/lasv/de/ | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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