# taz.de -- 72-jähriger Aktivist über Blockadeaktion: „Es war sehr, sehr au… | |
> Fridays for Future haben ihn politisiert, sagt Helmut Hallier. Im Mai | |
> blockierte der 72-Jährige ganz allein eine Berliner Straße. Wie ging es | |
> ihm dabei? | |
Bild: Helmut Hallier in seiner Wohnung in Berlin | |
taz: Herr Hallier, im Mai haben Sie ganz alleine Autos blockiert. Warum? | |
Helmut Hallier: Ich habe Kinder, Enkel, denen ich [1][keine zerstörte Welt] | |
übergeben möchte. | |
Warum diese drastische Protestform? | |
Bei Demonstrationen gibt es eine Masse, die einer Öffentlichkeit | |
gegenübersteht. Da ist schon eine Konfrontation drin. In einer Einzelaktion | |
liegt eine andere Energie. Da ist einer allein, der sagt: Ich steh hier für | |
was. Der sich traut, andere gegen sich aufzubringen. Dadurch steigt die | |
Schwelle, ihn anzugreifen. | |
Hatten Sie Angst vor Gewalt? | |
Ja. Es gibt genug aggressive Menschen, die handgreiflich werden. Aber | |
insgesamt ist das weniger, als man denkt. | |
Wie haben die Leute auf Ihre Sitzblockade reagiert? | |
Ganz viele sind stehengeblieben. Bald standen auch einige Autos. Drei | |
Autofahrer haben sich an mir vorbei gequetscht. einer hat gesagt: [2][„Guck | |
doch mal nach China, die sollen sich mal ein bisschen anstrengen.“] Die USA | |
können sie jetzt nicht mehr nennen, jetzt ist es halt China. Einer kam auf | |
mich zugelaufen und sagte, dass der Protest eine Unverschämtheit wäre. | |
Wie sind Sie mit der Verärgerung umgegangen? | |
Ich bin ins Gespräch gegangen, aber es ging nicht darum, hin- und | |
herzuargumentieren. Es ist eine Aktion, die zum Nachdenken anregen soll. | |
Eine Autofahrerin sagte: Das nützt eh nichts, wenn du allein hier sitzt. Da | |
habe ich gesagt: Setzen Sie sich dazu, dann sind wir schon zwei. | |
Sie saßen zwar allein auf der Straße, aber Sie hatten im Hintergrund ein | |
Unterstützerteam dabei. Wie groß ist das? | |
Zu meinem Team gehörte eine Deeskalatorin, die Leute anspricht und ein | |
bisschen von ihrer Aggressivität ablenken sollte, wenn es hoch hergeht. Es | |
gab eine, die notfalls die Polizei ruft, und dann war da noch eine Frau, | |
die Fotos gemacht hat. | |
Wie haben Sie sich als Hindernis auf der Straße gefühlt? | |
Mein Stresslevel war sehr hoch. Vieles, was um mich herum passierte, habe | |
ich nicht wahrgenommen. | |
Was hat Ihnen geholfen? | |
Bewusstes Atmen. Das hilft mir generell, im Alltag gelassener zu sein und | |
Dinge anzunehmen, wie sie sind. | |
Wie das? | |
Die Haltung der Meditation ist, dass ich alles annehme, was kommt. Das | |
fängt erstmal bei mir an, bei meinen Eigenschaften und meinen Gefühlen. Es | |
gibt Sachen, die mag ich an mir, und andere, die mag ich nicht an mir. | |
Und wie nehmen Sie die Dinge dann an? | |
Ich versuche, sie mit freundlicher Aufmerksamkeit zu betrachten. Wenn ich | |
zum Beispiel merke, jetzt steigt in mir die Wut hoch und ich die nicht | |
einfach ausagiere, sondern atme und sage: Hallo Wut, da bist du, ich kenn | |
dich. Dann geht die auch wieder weg. Genauso versuche ich es mit | |
Konfrontation, die mir eventuell entgegenschlägt. | |
Sie sagen: Wenn der Klimakollaps droht, muss man sich auf die Straße | |
setzen? | |
Für mich war der Klimawandel lange weit weg. Dabei lagen alle Fakten auf | |
dem Tisch. Es ist nie was passiert. Ich würde sagen, dass meine Generation | |
versagt hat in dem Thema. | |
Woran liegt das? | |
Wir Menschen können abstrakte Sachen nur schwer verarbeiten. Aber wenn | |
etwas sinnlich erfahrbar ist, wie die extrem heißen Sommer der letzten | |
Jahre, in denen die Straßenbäume braune Blätter bekommen und das Wasser in | |
dem See, an dem wir immer Urlaub machen, um einen halben Meter gesunken | |
ist, dann bringen wir das plötzlich in Verbindung mit den Bränden in | |
Sibirien, Kanada und Australien oder mit der Hungersnot in Madagaskar. | |
[3][Die Überschwemmungskatastrophe in West- und Süddeutschland ist ein | |
Ausrufezeichen.] Dabei dürfte das erst der Beginn der Klimakrise hier in | |
Deutschland sein. | |
Was hätte man anders machen müssen? | |
Hätte, hätte, Fahrradkette. Das ist vorbei. Wir müssen heute gucken, was | |
wir machen können. Ich finde es wichtig, dass man es als | |
gesamtgesellschaftliche Aufgabe sieht. Wie kann man den Diskurs so | |
beeinflussen, dass die Regierung handelt? Wir brauchen eine kritische | |
Masse, die sagt: Wir tragen das jetzt mit. | |
Seit wann engagieren Sie sich für Klimaschutz? | |
Der Auslöser war Fridays for Future. Seit ich mich intensiver damit | |
beschäftige, ist mir die Dringlichkeit, die Gefährlichkeit und die | |
katastrophale Lage bewusster geworden. Und ich sehe auch, dass es nicht nur | |
ein ökologisches Thema ist. Die Länder des Südens schultern schon heute die | |
Hauptlast. Insofern ist es nicht nur eine Verantwortung für uns, wir sind | |
Teil einer Welt. | |
Wie lange hat Ihr ziviler Ungehorsam auf der Straße eigentlich gedauert? | |
Vielleicht 10 Minuten. Eine Autofahrerin hat die Polizei gerufen. | |
Und dann? | |
Die Polizisten haben sich zu mir runter gekniet und gesagt: Wir sind Ihrer | |
Meinung, aber bitte gehen sie von der Straße. Als ich mich weigerte, sagten | |
sie: Sie haben schon so viel Aufmerksamkeit, Sie sind von 50 Handys | |
fotografiert worden. Nach der dritten Verwarnung bin ich aufgestanden, | |
sonst hätten sie mich wegtragen müssen und das wollte ich nicht. | |
Wie war das? | |
Ich war froh, dass ich es geschafft hatte. Man ist doch sehr exponiert. | |
Abends konnte ich nicht einschlafen, weil das Adrenalin noch in meinen | |
Adern rumorte. Ich werde mich auch nicht bei jeder Rebellion of One auf die | |
Straße setzen. Es ist einfach sehr, sehr aufregend. | |
Wie waren die Reaktionen, als Sie aufgestanden sind? | |
Viele haben geklatscht, etliche kamen zu mir und sagten: Toll, dass Sie das | |
gemacht haben. | |
Wann ist eine Aktion für Sie erfolgreich? | |
Wenn Menschen anfangen zu diskutieren, wenn Interaktion passiert, wenn sie | |
überhaupt über das Thema nachdenken. Aber es ist eine Begrenzung, wenn man | |
sich immer fragt: Bringt das jetzt was? | |
Fragt man sich das nicht automatisch, wenn man sich zu etwas überwinden | |
muss? | |
Natürlich ist es nicht gleichgültig. Aber es ist auch eine Form der | |
Integrität. Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber es ist einfach | |
anständig, sich so oder so zu verhalten. Ich bin sehr zufrieden, dass da | |
viele Leute waren, diskutiert haben und zu Hause wieder darüber reden. | |
„Weißt du, was ich gesehen habe? Da war so ein Verrückter, der hat sich da | |
auf die Straße gesetzt.“ Da passiert was. | |
23 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Müller-Güldemeister | |
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