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# taz.de -- Experten über bundesweiten Mietendeckel: „Neu justiert, was es s…
> Ein bundesweiter Mietendeckel ist möglich, sagen der Soziologe Andrej
> Holm und Anwalt Benjamin Raabe. Sie haben für die Linke ein Konzept
> entwickelt.
Bild: Mieten sind der neue Brotpreis: Demonstration gegen das Karlsruher Urteil…
taz: Herr Holm, Herr Raabe, wann sind Sie das letzte Mal umgezogen und wie
wohnen Sie?
Benjamin Raabe: Ich wohne seit 20 Jahren in Steglitz.
Andrej Holm: Ich bin 2008 das letzte Mal umgezogen.
Also, bevor es so richtig umkämpft wurde auf dem Berliner Wohnungsmarkt.
Holm: Ja, und in eine Gegend, die damals noch als übersehener Stadtteil
galt. Ich wohne in Moabit. Jetzt sind wir dort die mit den goldenen
Altmietverträgen.
Neu-Berliner*innen haben hingegen verschwindend geringe Chancen, eine
angemessene Wohnung zu finden. Mit Müh und Not lässt sich vielleicht ein
WG-Zimmer finden.
Raabe: Als Student findet man schon etwas über WG-Gesucht oder so, aber
dann zahlst du auch mindestens 450 Euro.
Holm: Das hängt mit den hohen Angebotsmieten zusammen. Es gibt eine
deutlich rückgängige Fluktuation. Vor 15 Jahren lag die Umzugsrate bei zehn
bis zwölf Prozent pro Jahr. Jetzt ist sie eher bei fünf Prozent.
Was heißt das konkret?
Holm: Bei uns steht das Problem bald an: Unsere Kinder ziehen aus und
fangen an zu studieren. Normalerweise würden wir uns unter diesen
Bedingungen eine kleinere Wohnung suchen. Wenn aber aufgrund der
Neuvermietungspreise eine neue und kleinere Wohnung teurer ist als unsere
jetzige große Wohnung, gibt es für uns keinen Anreiz, umzuziehen. Das hat
zur Folge, dass wir Wohnraum blockieren, in dem ansonsten eine Studenten-WG
unterkommen könnte. Freunde der Marktwirtschaft sagen ja immer: Der Markt
ist ein ideales Verteilungssystem. Das große Auseinanderklaffen der
Bestands- und Angebotsmieten sorgt aber derzeit dafür, dass selbst die
Verteilungseffekte in Städten wie Berlin scheitern. Da bleibt eigentlich
wenig Überzeugendes, was der Markt zu bieten hat. Und das hängt auch damit
zusammen, ob Neuvermietungsmieten reguliert sind oder nicht.
Sie fordern in angespannten Wohnungsmärkten genau das: eine Regulierung.
Sie haben für die Linke ein [1][Konzept für einen bundesweiten
Mietendeckel] erarbeitet, der in Städten mit Wohnungsnot sogar
Bestandsmieten senken soll und Angebotsmieten anhand des städtischen
Durchschnittseinkommens deckelt. In Berlin hat der mittlerweile vom
Verfassungsgericht gekippte Deckel neben sinkenden Mieten allerdings auch
dafür gesorgt, dass ein Drittel weniger Wohnungen angeboten wurden. Umzüge
würden also noch schwieriger, oder?
Holm: Es hieß immer: Da verschwinden Wohnungen vom Markt. Was sich aber
tatsächlich deutlich reduziert hat, waren Angebote auf Online-Plattformen.
Und es sind vor allem hochpreisige Angebote weggefallen. Das heißt aber
nicht, dass diese Wohnungen nicht auf anderen Wegen vermietet wurden.
Mittlerweile hat selbst das Institut für Wirtschaft in Köln festgestellt,
dass Vermieter häufig auf andere Verteilungswege umstellen, weil
Angebotsportale bei sehr großer Nachfrage zu hohen Aufwand bedeuten. Gerade
diejenigen, die sich an Preise gehalten haben, haben die Wohnungen
vielleicht eher über personenbezogene Netzwerke oder die Nachbarschaft
vergeben. Zudem spiegeln die Angebotszahlen nur einen Ausschnitt des
Wohnungsmarktes wider. Daraus sind keine allgemeingültigen
Schlussfolgerungen abzuleiten.
Sie haben den Wohnungsmarkt in 42 Städten analysiert und die Wirkung des
rechtlich gescheiterten Berliner Mietendeckels ergründet. Die Immo-Lobby
und die Union behaupten, dass der Deckel nicht funktioniert hat. Sie
nannten das Instrument einen „politischen Erfolg“ trotz seines
[2][Scheiterns nach einem Jahr vor dem Bundesverfassungsgericht]. Warum?
Holm: Der Mietendeckel in Berlin hatte eine extrem kurze Laufzeit, weil er
sofort beklagt wurde, zudem hatten wir eine Pandemie. Aus dieser kurzen
Zeitspanne zu schließen, dass der Deckel nicht funktioniert, finde ich
gewagt. In der kurzen Zeit aber stagnierte zumindest der Anstieg der
Neuvermietungspreise. Und seitdem der Deckel aufgehoben ist, steigen die
Preise wieder. Uns ging es in der Analyse darum, die Anwendung dieser
Regelung zu simulieren. Und wir konnten deutlich in allen Bereichen zeigen,
dass ein bundesweiter Mietendeckel einen positiven Effekt auf die soziale
Grundversorgung mit Wohnraum hätte.
Kritiker*innen sagen, dass die Falschen vom Deckel profitiert hätten:
Ärztinnen oder Professoren mit schicker und großer Altbau-Wohnung am
Ku'damm hätten die Miete senken können.
Holm: Dieser Professor ist eine Universalfigur, die immer wieder in
wohnungspolitischen Diskursen bemüht wird. Manchmal steht er für die
Fehlbelegung im sozialen Wohnungsbau: Als Student eingezogen, wohnt der
Professor noch immer in der geförderten Wohnung. Jetzt wohnt er in einer
großen Altbauwohnung und freut sich über den Mietendeckel. Wenn wir uns
aber in der Realität die Wohnsituation von Professorinnen und Professoren
anschauen, stellen wir vermutlich fest: Die allermeisten der Haushalte mit
sehr hohen Einkommen leben im selbstgenutzten Eigentum. Das ist eine
ziemliche Gespensterdebatte, die da aufgeführt ist und definitiv kein
Massenphänomen. Erstaunlich auch, dass gerade von denen, die sonst keine
Hemmungen haben, die Besserverdienenden zu entlasten, hier eine
Neid-Debatte eröffnet wird.
Es ist allerdings weiter umstritten, ob ein Deckel vorm
Bundesverfassungsgericht Bestand hätte: Das Berliner Gesetz wurde aus
formalen Gründen verworfen, weil der Bund für das Preisrecht zuständig ist.
Inhaltlich hat sich Karlsruhe nicht zum Instrument geäußert. Warum sind Sie
positiv gestimmt, dass der Linken ein Bundesdeckel nicht ebenso um die
Ohren fliegen würde?
Raabe: Die Kompetenzfrage stellt sich auf Bundesebene nicht.
Anders sieht es aber bei der Frage nach Eigentumsrechten aus …
Raabe: Wir haben das mit Blick auf Artikel 14 Grundgesetz genau geprüft.
Das ist insofern ein besonderer Artikel, als dass er sagt: Inhalt und
Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. Die Ausgestaltung ist also
offen. Das ist auch gut so: Ich muss bei einem Atomkraftwerk wesentlich
mehr regeln, als wenn mir ein Wald gehört, den ich nutzen will. Auch bei
Wohnungen ist es so, dass es ein stärkeres Gemeinwohlinteresse gibt als bei
meinem Garten zum Beispiel. Klar ist aber auch: Ich darf das Eigentum nicht
aushöhlen. Eingriffe müssen verhältnismäßig sein; dies wäre dann nicht me…
der Fall, wenn Eigentümer*innen dauerhaft Verluste machen würden.
Dennoch gibt es kaum Entscheidungen des Verfassungsgerichts, die zu Lasten
einer Mieter schützenden Norm ergangen wären: das Vergleichsmietensystem,
die Absenkung der Kappungsgrenzen, Zweckentfremdung und Mietpreisbremse
haben alle vorm Verfassungsgericht gehalten.
Holm: Und im Unterschied zum Berliner Mietendeckel haben wir zudem
Instrumente ausgegraben und neu justiert, die es in der Vergangenheit schon
gab. Das würde es bei einer verfassungsrechtlichen Prüfung nochmal
erschweren, eine Regelung zurückzuweisen. Wir müssten keinen Angstschweiß
auf der Stirn haben, dass unser Vorschlag nicht verfassungsgemäß wäre.
Aber würden nicht wie bei der Mietpreisbremse von der Union regierte Länder
ebenfalls die Umsetzung blockieren, wenn ein Bundesdeckel kommt? Wie soll
die konkrete Umsetzung vor Ort funktionieren?
Raabe: In einer Verordnung. Diese müsste in Kraft gesetzt werden, wenn die
Länder zum Erlass verpflichtet werden, sobald die bundesrechtlich
geregelten Voraussetzungen für die Wohnungsnotlagengebiete oder die
angespannten Gebiete vorliegen. Die könnte dann auch ein individuell
einklagbares Recht beinhalten. Aber es ginge auch mit einer Kann-Regelung.
Außerdem wollen wir im Bundesgesetz die Ausnahmen bei der Mietpreisbremse
streichen und Paragraf 5 Wirtschaftsstrafgesetz zur Begrenzung überhöhter
Mieten wieder einführen. In dem Bereich käme man bei überhöhten Mieten weg
vom Vermieter-Mieter-Dilemma. Mieter könnten sich über das Amt überhöhte
Mieten zurückerstatten lassen. Die zuständige Behörde könnte Bußgelder
verhängen. Natürlich kann ich auch diese Ansprüche zivilrechtlich
durchsetzen.
SPD und Grüne wollen die Mietpreisbremse schärfen und regional Mietenstopps
ermöglichen – also Deckelung ohne Absenkung, das ginge schneller als ein
neues Instrument, gegen das erneut geklagt würde. Warum ist aber aus Ihrer
Sicht ein bundesweiter und einheitlicher Mietendeckel inklusive Absenkungen
der Bestandsmieten erforderlich?
Holm: Weil die bisher genutzten Instrumente ganz offensichtlich nicht
ausreichen, um in den großen Städten im Bestands- und Angebotsmietbereich
nachhaltig einen dämpfenden Effekt zu erzielen. Wir haben das in unserer
Analyse für 42 Städte untersucht: Die Mieten steigen unabhängig davon, ob
in Städten viel gebaut wurde oder nicht oder ob die Mietpreisbremse
angewendet wird oder nicht. Es gibt sogar das Paradox, dass in Städten mit
Mietpreisbremse die Mietpreisdynamik noch stärker war als in Städten ohne.
Betrachtet man unterm Strich die sozialen Effekte und fragt, ob die
Instrumente bisher wirksam waren, muss man deutlich sagen: nein. Aber
letztlich unterscheiden sich die Vorschläge nicht so groß. Eine
Öffnungsklausel für Städte mit angespannten Märkten zielt in eine ähnliche
Richtung.
Holm: Was sich sehr deutlich vom Einkommen entkoppelt hat, sind die
Angebotsmieten. Das ist in allen Analysen unstrittig. In schnell wachsenden
Städten wie Berlin ist das nochmal auffälliger als in anderen. Bei den
Bestandsmieten ist es in der Summe aller Großstädte so, dass die in etwa
mit dem durchschnittlichen Einkommen gestiegen sind. Die mittlere
Mietbelastungsquote hat sich zwischen 2006 bis 2018 kaum verändert und
liegt bei etwa 30 Prozent.
Das klingt doch gar nicht allzu schlimm.
Holm: Aber doch! Trotz der Einkommenszuwächse in den letzten Jahren
überschreiten immer noch fast die Hälfte der Großstadthaushalte die Grenzen
der Leistbarkeit und geben mehr als 30 Pozent ihres Einkommen für die Miete
aus. Die Mietbelastung ist auf unverändert auf einem sehr hohen Niveau.
Fast jeder vierte Haushalte gibt inzwischen sogar mehr als 40 Prozent des
Einkommens für die Miete aus. Haushalte mit geringen Einkommen haben
Versorgungsnöte und bleiben auf der Strecke.
Ist die Durchschnitts-Kaufkraft also gar nicht entscheidend für die
Wohnraumversorgung?
Holm: Die mittlere Kaufkraft sagt nichts über die soziale Lage der
Wohnversorgung aus, weil das Medianeinkommen natürlich nicht abbildet, ob
sich Einkommensverhältnisse polarisieren und soziale Ungleichheit zunimmt.
Selbst wenn man Hartz-IV-Bezieher und Wohngeldberechtigte aus der Statistik
raus nimmt, bleiben noch Millionen Haushalte ohne Anspruch auf
Transferleistungen übrig, die extrem hohe Mietbelastungsquoten haben. Über
zwei Millionen Haushalte haben nach Abzug der Miete ein Resteinkommen
unterhalb des Existenzminimums.
Wie bewerten Sie das politisch?
Holm: Haushalte mit geringen Einkommen kommen durch die hohen
Mietbelastungen in einen existenziellen Prioritätskonflikt: Soll ich Strom,
Essen oder Miete bezahlen? Das ist eine unhaltbare Situation. Die
Bundesrepublik ist das reichste Land in Europa. Es ist doch unvorstellbar,
dass es hier aus der Wohnsituation entstehende Armut gibt. Aber zum
Gesamtbild gehört ja auch eine Binsenweisheit, die in der Debatte häufig zu
kurz kommt: Soziale Wohnversorgung kann nicht mit einem Instrument sicher
gestellt werden, da gibt es keinen Königsweg. Soziale Wohnungspolitik setzt
ein wohnungspolitisches Gesamtkonzept voraus – ein bundesweiter
Mietendeckel ist nur ein Element davon. Auch mit einem Mietendeckel braucht
es Förderprogramme, kommunalen Wohnungsbau oder auch die Einführung der
Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit.
Manche kritisieren trotz der mit Zahlen belegten Situation dickfellig
Alarmismus beim Thema – etwa den Begriff Wohnungsnot, weil er Assoziationen
zu Mietskasernen zur Industrialisierung oder ausgebombten Städten nach dem
Zweiten Weltkrieg weckt. Finden Sie den Begriff Wohnungsnot angemessen?
Holm: Gibt es Armut in Deutschland, weil niemand mehr verhungert? Armut und
Wohnungsnotlagen muss man relational zu den als üblich geltenden Standards
betrachten. Wir haben Wohnungsnotsituationen überall dort, wo Mieten
überdurchschnittlich stark gestiegen sind und die Mietbelastungsquoten für
immer mehr Haushalte die Grenze der Leistbarkeit überschreiten. Wir
definieren es als Notlage, weil große Teile der Bevölkerung von einer
Versorgung mit leistbaren, angemessen und bedarfsgerechten Wohnungen
ausgeschlossen sind. In Berlin waren von allen Online-Angeboten nur vier
bis fünf Prozent innerhalb der Bemessungsgrenzen für
Hartz-IV-Empfängerinnen. Im Angebot verwandelt sich Berlin in eine
Hartz-IV-freie Zone. Man sollte die Situation nicht vergleichen mit
hygienischen Katastrophalbedingungen, die es im vorletzten Jahrhundert gab,
sondern die Frage stellen: Haben alle Menschen die Chance, ein Zuhause für
sich zu finden und können sie dort sicher wohnen? Wenn nein, sollten wir in
den Städten von Wohnungsnotlagen sprechen, in denen sich diese Probleme
sehr deutlich häufen.
23 Sep 2021
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## AUTOREN
Gareth Joswig
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