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# taz.de -- Die Wahrheit: Zermürbt, nicht zerrüttet
> Wer wird nach Daniel Craigs letztem Einsatz der neue James Bond? Eine
> hochprozentige Spurensuche im Geheimdienstmilieu.
Bild: Das ewige Nachwuchstalent Prince Charles blieb auch beim Bond-Casting cha…
Ich habe den neuen James-Bond-Film noch nicht gesehen. Keine Zeit zu
gucken. In den drei Stunden, die ich abgeschottet von der Welt im
Lichtspielhaus absitzen müsste, kann so viel geschehen, gerade in der
Politik.
Da könnten ratzfatz ganz neue Bündnisse geschlossen werden, auch auf
internationaler Ebene. Da will ich nicht mit am Kuschelpulli klebenden
Popcornresten in die Dämmerung taumeln und als Letzte erfahren, dass nach
zähen Sondierungsgesprächen noch immer klar ist, wer Deutschland in den
nächsten vier Jahren auf keinen Fall regieren wird, dass aber dafür der
Nachfolger von Daniel Craig ausgeknobelt wurde. Der hört nach dem gerade
angelaufenen Bond-Streifen „Keine Zeit zu sterben“ nämlich als Agent ihrer
Majestät auf.
Natürlich wäre weder die eine noch die andere Nachricht eine wirkliche
Neuigkeit für mich, aber ich bin nun schon so lange beim Geheimdienst
tätig, dass ich mir für meine Demaskierung einen würdevolleren Rahmen
wünsche als die zugemüllte Bushaltestelle vor dem Cineplex.
## Nachdenken beim Gin
Es mag sein, dass mein Posten als führende Medienbeobachterin aller
Schlapphüte meine snobistischen Tendenzen gefördert haben. Aber wie sonst
hätte ich mich in die Sehnsüchte der Seele der britischen Upperclass
einfühlen können, wenn nicht durch das unablässige Verzehren hauchdünner
Minzschokotäfelchen, während ich die Serie „Bridgerton“ bingte? Gut, es
brauchte eine halbe Flasche Beefeater auf Eis, bis ich meine Innereien
entzuckert hatte, aber dann riss der pastellfarbene Vorhang vor meinem
inneren Auge entzwei, und ich sah glasklar, wer letztendlich ganz allein
darüber entschied, welcher Mime die Lizenz zum Töten erhalten würde: Sie.
Die Königin von Britannien. Uns Lilibet. Eigentlich logisch, wenn man
darüber nachdenkt.
Wenn man dann noch eine halbe Flasche Gin länger darüber nachdenkt, weiß
man nicht nur, warum die Queen schon immer die Hoheit über das Casting
hatte, sondern kann auch berechnen, wer der nächste Bond wird. Angeblich
lässt sich Elisabeth II. ja nicht durch politische Irrungen und Wirrungen
aus dem Palästchen bringen, aber in der Rückschau fällt auf: Wenn sie vom
Zustand ihres Reiches not amused war, hat sie dem MI5 eine brandneue
Superwaffe untergejubelt und die Lizenz zum Töten neu vergeben.
## Rätselhafte Vorlieben
1969 beispielsweise demonstrierte die Queen ihrem Volk, wie kalt es auf der
Insel werden kann, wenn das wärmende und für alle britannischen Stämme
ausreichende Brusthaar des Ur-Bond Sean Connery entzogen wird, indem sie
George Lazenby für einem einzigen Film in den Dienst ihrer Majestät setzte
und dann bauernopferte. Danach gab sie ihren Untertanen den schönsten aller
Schotten zurück, allerdings nur für eine Episode.
In den 1970ern stellte sie den blasierten Dandy Roger Moore als Verteidiger
des freien Westens gegen Sowjets und andere Dunkelmänner auf, um ein
bisschen von der peinlichen Verhärmung des UK in der Thatcher-Ära
abzulenken. Die Superschurkin aus der Downing Street komplimentierte sie
mit der Waliser Allzweckwaffe Timothy Dalton aus dem Amt, der aber bloß
zwei der strapaziösen Bond-Abenteuer durchhielt.
Das ausgehende Jahrhundert überließ ihre Majestät dann dem fünften Bond,
Pierce Brosnan, um zu betonen, dass der Spion, den alle lieben, zur Not
sogar Ire sein darf. Vielleicht wollte sie auch andeuten, dass sie dieses
seltsame EU-Ding schon heimlich unterstützte, irgendwie. Es können aber
auch private Vorlieben im Spiel gewesen sein, so wie bei ihrem zunächst
rätselhaft wirkenden Votum für Daniel Craig, der 2006 als James Bond die
Filmbühne betrat.
Doch spätestens als Craigs Falten dann leinwandfüllend ausgeleuchtet
wurden, war deutlich zu spüren, dass die Queen sich auch mit dem alten Sack
an ihrer Seite endlich abgefunden hatte. Nun durfte auch 007 schön
melancholisch neben seiner Königin heraltern. Ein Quantum Trost auch für
den mittlerweile verblichenen Prinz Philip. Nicht einmal an dem schon
damals gesichtsältesten Royal hätte die Smokingjackett frisch gebügelter
ausgesehen als an Knittergesicht Craig.
## Rochade auf der Besetzungscouch
So. Und wegen all dieser Entwicklungen der letzten Jahrzehnte weiß ich nun,
wer der neue James Bond wird.
Prinz Philip ist von uns gegangen, dafür sind Covid und Brexit über die
Briten gekommen. Die Sehnsucht der Queen nach Einheit, einem schrulligen
Zausel an ihrer Seite und einem Verbindungsmann zu Europa wird immer
größer, immer deutlicher. Deswegen kann es Idris Elba nicht werden. Der
könnte alles spielen, aber keinen Bond, der einen Boris Johnson und seine
Brexiteers gegen die Wand blödelt. Außerdem heißt der Londoner Schauspieler
eine Spur zu provokant. Für Engländer ist Elba immer noch ein verfluchter
Ort, an dem man vergeblich einen unbotmäßigen Franzosen zu entsorgen
versuchte.
Rowan Atkinson kommt auch nicht in Frage, wegen seiner blasphemischen
Agenten-Parodien als Johnny English wurde er längst von der Bond-Liste
gestrichen und auf die der möglichen Schurken gesetzt.
## Einvernehmliche Billiglösung
Also opfert die greise Königin die Krone des britischen Films in der
Hoffnung, ihr krisengeschütteltes Reich zur retten. Sie besetzt die Rolle
mit einem Ausländer. Schlimmer noch, mit einem Mann, der nicht spielen
kann, sondern gerade aus seinem eigenen Spiel vertrieben wurde. Mit einem
Mann, den die Aura des Versagens umgibt, der aber trotzdem immer Spässken
hat, wenn er durch den Fettnapfmarathon schlittert.
Meine Antwort könnte allerdings Teile der cineastisch sensiblen Bevölkerung
verunsichern. Ja, genau: Armin Laschet wird der neue Bond. Der Deal wurde
gerade von meinen Kollegen bei MI5, BND, Mossad, CIA und sämtlichen
Aachener Karnevalsvereinen bestätigt. Sogar Bond-Produzentin Broccoli ist
mit der Billiglösung einverstanden. Die FDP hat zwar dagegen gestimmt, aber
die CSU wollte Laschet unbedingt außerhalb der EU-Grenzen schaffen. Junge
Union und Jusos haben zusammengelegt und Laschets Fährpassage nach Dover
bezahlt. Als Mitgift sollen noch 5.000 Tanklastwagenfahrer mit dem Aachener
reisen. Schon Karneval 2022 soll der glücklose Ex-Kandidat die Lizenz zum
Tröten bekommen.
Und wenn ich mit meinen Berechnungen wirklich recht hatte, sehen Sie das
Ergebnis bald in Ihrem Lichtspieltheater. Wenn es dann noch Kinos gibt.
Oder das UK. Apropos: Gott schütze Großbritannien. Vor allem seine Königin.
Cheers.
6 Oct 2021
## AUTOREN
Katinka Buddenkotte
## TAGS
Die Wahrheit
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Großbritannien
Schwerpunkt Brexit
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