# taz.de -- Die Wahrheit: Das Fliederfest der Frösche | |
> Ostern? Himmelfahrt? Muttertag? Wege aus der aktuellen Bastel- und | |
> Dekokrise. Ein Sittengemälde aus deutschen Vororten. | |
Bild: In der Dekokrise nach Ostern werden auch die neumodischen Pinatas aus Pap… | |
Die meisten von uns bemerken erst, wie sehr sie gewisse Dinge schätzen, | |
wenn diese auf einmal nicht mehr da sind. Wie gut, dass es noch | |
hypersensible Menschen gibt, die sehen und handeln, bevor eine entsetzliche | |
Lücke entsteht und Dinge verschwinden. Eine solche stille Heldin ist Marie | |
Puschmann aus Taufkirchen bei München. Sie vermag Zeichen zu setzen, die | |
weit über den eigenen Gartenzaun hinausgehen. | |
„Manchmal“, sagt Puschmann, „manchmal reicht es eben nicht, nur eine | |
weitere WhatsApp-Gruppe zu gründen.“ Die gepflegte Mittvierzigerin hat uns | |
jetzt, kurz nach Ostern, an ihre liebevoll gedeckte Tafel gebeten. Wir | |
befinden uns im „großen Esszimmer“, das normalerweise engen Freundinnen und | |
Fernsehteams vorbehalten ist. Denn trotz ihrer vielen Verpflichtungen wie | |
etwa Instagram schafft es die zweifache Mutter und | |
Schmuckdesignerin-Beraterin noch, perfekte Dinner kochen zu lassen. | |
„Mir persönlich ist ja schon Anfang Februar aufgefallen, dass wir auf eine | |
dramatische Katastrophe zusteuern“, berichtet Puschmann, und das Strahlen | |
in ihrem Gesicht scheint sich trotz perfekter indirekter Beleuchtung für | |
einen Moment zu verflüchtigen. Beim Arrangieren der Valentinstags-Gestecke | |
im „kleinen Esszimmer“ wurde ihr klar: „Mir fehlt ein Feiertag! Zwischen | |
Ostern und dem ersten Mai droht meine Doppelhaushälfte völlig undekoriert | |
und mottofrei dazustehen. Kalt, nackt, geradezu verlassen.“ | |
## Kein zielgerichtetes Basteln | |
Doch Löwenmutter Puschmann kam auf einen ungewöhnlichen Gedanken: | |
„Nachbarinnen sind ja nicht zwangsläufig Konkurrentinnen. Die haben doch | |
genauso viel Druck wie ich: mindestens zwei Wochen lang nach Ostern kein | |
zielgerichtetes Basteln! Nicht mal farbliche Vorgaben, und bevor unsere | |
gesamte Spielstraße hier verkommt, hab ich die Damen spontan eingeladen.“ | |
Da erschallt die Türglocke, Puschmann begrüßt ihre Gäste. Trotz raffiniert | |
gesetzter Highlights bei Frisur und Make-up wirken die Damen von leichter | |
Düsternis umweht. Reichlich niedlich dekorierte Cupcakes aus dem Thermo-Mix | |
machen die Runde. Ist es etwa schon zu spät, um einen Interims-Anlass zu | |
finden, der den gewohnten monatlichen Drapierwahn in Taufkirchen und | |
Umgebung auszulösen vermag? Kann die Deko-Industrie überhaupt noch | |
eingebunden werden? Die Bildschirme der allseits gezückten Tablets sind | |
schwarz, die Gesichter ratlos. Doch nun wird klar, welche Energien in | |
Puschmann stecken. Als ehemalige erfolgreiche Insolvenz-Anwältin und | |
vierfache Elternbeiratsvorsitzende ist sie als „Puschi, die Peitsche“ | |
gefürchtet. Blitzschnell verteilt sie Hand-outs mit den | |
Tagesordnungspunkten. | |
Das Briefing lässt keinen Zweifel daran: Dieses Treffen ist keine | |
Schwafelrunde; Puschmann hat aufgrund der Dringlichkeit der heimischen | |
Deko-Problematik vorgearbeitet. „Meine Damen! Wir sind in einer Krise. Doch | |
jede von uns kann es da herausschaffen!“ Vital beißt sie in einen Cupcake. | |
„Hier also der Schlachtplan: Sofort verschwinden aus unseren Häusern alle | |
bemalten Eier und Häschen. Auch Weidenkätzchen werden nicht mehr geduldet. | |
Danach herrscht ein dreitägiger Waffenstillstand, den die Gärtner oder | |
unsere Männer für Vertikutieren, Planieren und Rasensaat nutzen können. Das | |
sage ich nur, falls eine von euch dachte, sie käme mit ein paar | |
wildwachsenden Frühblühern bis Pfingsten durch!“ | |
Die Runde errötet leicht unter dem Make-up. Puschmann prescht weiter vor: | |
„Bis zum Setzen der Maibäume bleiben uns jetzt noch knapp drei Wochen, die | |
dekothematisch gestaltet werden müssen. Da weder im christlichen Kalender | |
noch vom US-Markt her Vorgaben bestehen, brauchen wir Unterstützung bei der | |
Mottofindung. Consuela, bitte!“ | |
Das Au-Pair-Mädchen tritt schüchtern aus der Besenkammer, liest von einem | |
Zettel ab: „In meiner Heimat Ecuador wird jedes Jahr im April das Fest der | |
Pfeilgiftfrösche gefeiert. Um die braven Tiere zu ehren, schmücken wir die | |
Häuser …“ | |
„Das reicht, gracias, Consuela.“ Puschmann blickt in die Runde, die Ersten | |
melden sich zu Wort: „Also, meine Schwiegermutter hat ja Frösche gesammelt, | |
in jeder Größe!“ Die Augen der Doppelhausherrin verengen sich zu Schlitzen: | |
„Sylvia, ich denke nicht, dass wir den Sperrmüll auf die Straße stellen | |
wollen, oder?“ Sylvia sinkt in sich zusammen, ihre Tischnachbarin feixt: | |
„Diese Pfeilgiftfrösche sind doch schön bunt, echt zum kreativ Austoben!“ | |
Puschmann blickt so eisig, dass unsere Smoothies zu Sorbet werden: | |
„Natalie, du hast dich wohl noch nicht vom Fasching erholt? Ich will hier | |
keinen Basar, ich will: Mauve! Bestenfalls Flieder! Lavendel-Frösche!“ | |
Dann schüttelt sie mitleidig den Kopf: „Ach, ihr Lieben, wie gut, dass ich | |
schon etwas vorgearbeitet habe. Consuela!“ Das Au-Pair-Mädchen erscheint | |
jetzt mit einem Teewagen, auf dem sich pastellfarbene Luftschlangen, | |
Lichterketten und Fliedersträuße um ein Wesen aus Pappmaché ranken. Es ist | |
so groß wie ein sitzender Labrador. Wirkt das Geschöpf durch seinen zart | |
zwischen Mauve und Rosé changierenden Grundton leicht unbekleidet, so krönt | |
sein Haupt doch ein herrlicher Fliederbusch. Puschmann lächelt: „Ja, | |
Balthasar und Lenchen haben hier mithelfen dürfen. Dieser wunderbare | |
Frosch: als Anregung für euch.“ | |
## Prototyp mit Fliederkrone | |
Geradezu verliebt tätschelt sie ihren Prototypen. Dessen Fliederkrone neigt | |
sich sachte zu seiner Schöpferin. „Ja, die Blumen hole ich am Samstag noch | |
einmal frisch“, Puschmann übt sich in Selbstkritik. „Wie jede von euch, | |
nicht wahr? Im Übrigen: Setzt Akzente, auch farblich! Akzente stehen für | |
Persönlichkeit.“ | |
Den eingeladenen Nachbarinnen huscht ein zuckersüßes Lächeln über die | |
Lippen. Puschi, die Peitsche, klatscht in die Hände, Consuela salutiert. | |
Hurtig verabschiedet man sich in die jeweiligen Nähzimmer, wo die geladenen | |
Heißklebepistolen stets einsatzbereit liegen. | |
Als wir einige Tage später wieder durch die Straßen Taufkirchens fahren, | |
grüßen uns aus jedem Vorgarten, vor jeder Haustür, von allen Zäunen und | |
Hecken die Abbilder eines Wesens, das uns seltsam vertraut erscheint. Denn | |
auf den Köpfen der zahllosen mauvefarbenen Frösche wurden Akzente, nein | |
persönlichkeitsstiftende Blütenkronen gesetzt. Großzügig drapierte Gräser | |
erwecken den Anschein, als hätten die teils mannshohen Nacktkröten | |
Frisuren, wenn nicht gar Haarteile, die lustig im Winde winken. Gänzlich | |
alle Nachbarinnen hier im malerisch dahingegossenen Taufkirchen haben dafür | |
einen kräftigen Orangeton gewählt. Ein reizvoller Kontrast zum Mauve, | |
gewiss, doch diese Armee von bläulichen Kreaturen wirkt kaum mehr | |
froschhaft, dafür aber modern, ja präsidial. | |
Ob dies auch international ein Weg aus der Deko-Krise sein wird, liegt | |
vielleicht nicht mehr in Marie Puschmanns Händen. Aber wenn wir sie an | |
diesem Aprilsamstag nun sehen, wie sie mit geblähter Kehle in ihrer | |
Einfahrt auf- und abspringt, ihr eigener Teint scharf ins Magentafarben | |
spielend, erinnert sie doch an eines jener Tiere, die heuer gefeiert werden | |
sollten. Notfalls bis zum Muttertag. | |
16 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Katinka Buddenkotte | |
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